27.05.2024 07:30:03 - dpa-AFX: HINTERGRUND: Wie Russland die Europawahl manipulieren kann

BRÜSSEL (dpa-AFX) - Kurz vor der Europawahl wächst erneut die Sorge vor
russischer Beeinflussung: Es gibt Cyberattacken auf Einrichtungen der EU-Länder,
prorussische Internetplattformen sollen Propaganda in der EU verbreiten und
sogar von Geldzahlungen an europäische Politiker ist die Rede. Wie groß ist die
Gefahr?

Lea Frühwirth forscht beim Center für Monitoring, Analyse und Strategie
(CeMAS) in Berlin zu dem Thema Wahlbeeinflussung. Ihr zufolge fällt Russland
seit Jahren mit illegitimer Einflussnahme auf
- beispielsweise durch Desinformationskampagnen mit gefälschten
Medienseiten, die über Werbeanzeigen und nicht authentische Accounts verbreitet
werden.

EU-Wahl als erwartbares Ziel für Einflussversuche

"Die Wahl zum Europäischen Parlament Anfang Juni ist ein erwartbares Ziel
für solche Einflussversuche", sagt sie. Typische Beispiele seien die
Diskreditierung von Parteien sowie Politikern und Politikerinnen oder das Säen
von Misstrauen gegenüber der Legitimität des Wahlprozesses. Kampagnen könnten
Wählerinnen und Wähler aber auch indirekt beeinflussen. Wer das Vertrauen in
demokratische Institutionen zersetzen wolle, könne das auch tun, indem er
unzureichenden Schutz der Bevölkerung suggeriert.

Nach Angaben der Expertin mischt sich Russland nicht nur bei Wahlen ein.
Solche Kampagnen seien eher eine Art Grundrauschen, sagt Frühwirth. Zu
bestimmten Anlässen oder um polarisierende Debatte noch einmal anzuheizen, nehme
das dann noch einmal zu.

Bestes Beispiel dafür ist der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die East StratCom Task Force, die zum diplomatischen Dienst der EU gehört,
berichtet, dass Desinformationsfälle, die die Ukraine ins Visier nehmen, mehr
als 40 Prozent aller Fälle in ihrer Datenbank ausmachen.

Wer hinter Desinformationen steckt, ist oft unklar

Ein Mitte März 2024 in sozialen Medien kursierendes Video zeigt
beispielsweise, wie ein Panzer mit einer blauen Flagge - die ein wenig der
EU-Flagge ähnelt - durch die Landschaft fährt. Das soll angeblich in Russland
nahe der ukrainischen Grenze sein. Wie Faktenchecker der dpa prüften, erinnert
das Emblem auf der Fahne im Video zwar an den Sternenring des EU-Banners -
gehört aber tatsächlich zur Legion "Freiheit Russlands", die aufseiten der
Ukraine kämpft. Von wem genau solche Videos letztendlich stammen und wer sie
verbreitet, lässt sich nicht immer eindeutig feststellen.

Den Expertinnen und Experten der East StratCom Task Force zufolge zielen
Kampagnen zum Ukraine-Krieg unter anderem darauf ab, die europäische
Unterstützung für die Hilfe für das angegriffene Land mit finanzieller,
militärischer und humanitärer Hilfe zu untergraben.

Cyber-Angriffe auf die SPD

Doch der russische Einfluss geht über Desinformationskampagnen hinaus. Immer wieder wird dem Kreml vorgeworfen, Drahtzieher von Cyberattacken zu sein. "Es
können verschiedene Ziele dahinterstecken, beispielsweise das Abgreifen von
Daten, das Schwächen kritischer Infrastruktur oder eine Kommunikationswirkung",
erklärt Forscherin Frühwirth. Eingriffe in kritische Infrastruktur würden
konkrete Abläufe stören, sollen aber auch das betroffene Land vorführen und
vermitteln, dass die Regierung nicht in der Lage sei, die Bürgerinnen und Bürger
zu schützen.

Bei schon länger zurückliegenden Cyber-Angriffen auf die SPD und deutsche
Unternehmen aus den Bereichen Logistik, Rüstung, Luft- und Raumfahrt und
IT-Dienstleistungen benannte Außenministerin Annalena Baerbock Russland ganz
klar als Täter. "Staatliche russische Hacker haben Deutschland im Cyberraum
angegriffen", sagte die Grünen-Politikerin im Mai. Die Bundesregierung macht
eine Einheit des russischen Militärgeheimdienstes - APT28 - verantwortlich.

Nicht nur Deutschland ist in Russlands Visier: Laut EU waren zuvor bereits
andere staatliche Institutionen, Agenturen und Einrichtungen in den
Mitgliedstaaten, darunter in Polen, Litauen, der Slowakei und Schweden, vom
gleichen "Bedrohungsakteur" angegriffen worden.

Prorussische Plattform soll Geld an europäische Politiker gezahlt haben

Ein besonders prominentes Beispiel von möglicher russischer Einflussnahme
ist die Plattform Voice of Europe - mit Sitz in Prag. Diese steht unter
Verdacht, prorussische Propaganda in der EU verbreitet und Geld an europäische
Politiker gezahlt zu haben. Auf dem Portal waren unter anderem Interviews mit
dem AfD-Politiker Petr Bystron und seinem Parteikollegen Maximilian Krah
erschienen. Die tschechische Zeitung "Denik N" hatte Anfang April berichtet, im
Fall Bystron sei möglicherweise auch Geld geflossen. Der
AfD-Bundestagsabgeordnete hat das mehrfach zurückgewiesen. Auch Krah bestreitet,
Geld aus dem Umfeld von Voice of Europe angenommen zu haben.

Infolge dieser und anderer Berichterstattung hatte die Staatsanwaltschaft in München im Fall Bystron sogenannte Vorermittlungen eingeleitet, um zu prüfen, ob
sich ein Anfangsverdacht wegen eines strafbaren Verhaltens einer
Abgeordnetenbestechung ergibt. Bei den eingeleiteten Ermittlungen geht es nach
dpa-Informationen um die Vorwürfe im Zusammenhang mit Voice of Europe.

EU sperrt Voice of Europe

Im Fall von Voice of Europe wurde Mitte Mai ein Sendeverbot in der EU
beschlossen. Neben der Plattform wurden damit auch drei russische Medien in der
gesamten EU gesperrt. Dass das Sendeverbot nun ausgekoppelt von einem geplanten
14. Sanktionspaket gegen Russland kam, hat wohl auch mit der Sorge vor der
Beeinflussung vor der Europawahl zu tun.

Forscherin Frühwirth mahnt an, dass das sich Angriffe auf die Legitimität
von Wahlergebnissen auch im Nachgang abspielen und nachhaltig Probleme
verursachen können. "Das Ende des Wahlkampfs muss nicht das Ende von
wahlbezogenen Einflussversuchen sein."/svv/DP/stk

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