17.06.2024 12:30:55 - dpa-AFX: POLITIK/ROUNDUP 2: Geteiltes Echo nach Entlassung von Bildungsstaatssekretärin

(neu: Reaktion Grüne)

BERLIN (dpa-AFX) - Die Entscheidung von Bundesbildungsministerin Bettina
Stark-Watzinger, sich im Zuge einer Fördergeld-Affäre von ihrer Staatssekretärin
Sabine Döring zu trennen, ist auf ein geteiltes Echo gestoßen. Vom
Koalitionspartner SPD wird der Schritt begrüßt. Unionspolitiker kritisieren ihn
scharf, sprechen von einem Bauernopfer und fordern Stark-Watzinger dazu auf,
selbst zurückzutreten.

Die FDP-Politikerin hatte am späten Sonntagabend mitgeteilt, dass sie
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) darum gebeten habe, ihre Staatssekretärin in den
einstweiligen Ruhestand zu versetzen. Hintergrund sind öffentlich gewordene
E-Mails aus ihrem Ministerium, bei denen es um den Umgang mit einem offenen
Brief von Berliner Hochschullehrern ging, die die Räumung eines Protestcamps
propalästinensischer Demonstranten an der FU Berlin kritisiert hatten. Erwogen
wurde in den E-Mails demnach die Streichung von Fördermitteln für die
Briefschreiber.

Kontroverse um Berliner Protestbrief nach Räumung von Camp

Die Affäre steht im Kontext der gesellschaftlichen Kontroverse, die sich
nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober und im Zuge des folgenden
Gaza-Krieges auch in Deutschland entwickelt hat. An Universitäten kam es zu
Protesten. Im Mai hatten mehr als 100 Dozenten mehrerer Berliner Hochschulen
einen offenen Brief geschrieben und darin die Räumung eines Protestcamps
propalästinensischer Demonstranten an der Freien Universität Berlin kritisiert.
"Unabhängig davon, ob wir mit den konkreten Forderungen des Protestcamps
einverstanden sind, stellen wir uns vor unsere Studierenden und verteidigen ihr
Recht auf friedlichen Protest, das auch die Besetzung von Uni-Gelände
einschließt", schrieben sie.

Stark-Watzinger hatte das Schreiben kritisiert und ist nach eigener Aussage
"bis heute fassungslos, wie einseitig in diesem Brief der Terror der Hamas
ausgeblendet wurde. Und wie dort etwa pauschal gefordert wurde, Straftaten an
den Universitäten nicht zu verfolgen, während gleichzeitig antisemitische
Volksverhetzung und gewalttätige Übergriffe gegen jüdische Mitbürgerinnen und
Mitbürger zu beobachten sind", wie sie am Sonntagabend schrieb. Über die Haltung
der Ministerin und die der Hochschullehrer, die den Brief gezeichnet hatten,
wird seit Wochen vor allem in sozialen Netzwerken kontrovers diskutiert.

E-Mails belasten Ministerin

Die Ministerin geriet nun selbst in den Fokus, nachdem das ARD-Magazin
"Panorama" in der vergangenen Woche E-Mails veröffentlichte, aus denen
hervorging, dass jemand an hoher Stelle im Ministerium um Prüfung gebeten hatte,
inwieweit Aussagen im Protestbrief der Berliner Hochschullehrer strafrechtlich
relevant sind und ob das Ministerium als Konsequenz Fördermittel streichen
könnte. Aus dem Mailwechsel ergibt sich dem Bericht zufolge, dass Mitarbeiter
des Ministeriums Bedenken gegen eine solche Prüfung äußerten. Aber schon solche
Erwägungen sind nach Ansicht von Kritikern ein Eingriff in die vom Grundgesetz
garantierte Freiheit der Wissenschaft.

Stark-Watzinger äußerte sich zunächst nicht und teilte dann am Sonntagabend
mit, dass es tatsächlich eine solche Prüfbitte bei den zuständigen Fachreferaten
ihres Ministeriums gab und dass dieser Prüfauftrag von Staatssekretärin Döring
veranlasst worden sei. Als Konsequenz muss diese jetzt ihren Posten räumen. Nach
eigenen Angaben erfuhr Stark-Watzinger von der betreffenden E-Mail am
vergangenen Dienstag. "Ich verteidige die Wissenschaftsfreiheit in jede
Richtung. Wissenschaftsförderung erfolgt nach wissenschaftlichen Kriterien,
nicht nach politischer Weltanschauung. Das ist ein Kernprinzip der
Wissenschaftsfreiheit", teilte sie mit.

Prien spricht von "Bauernopfer"

Diskutiert wird nun darüber, ob dies für die Ministerin ein Befreiungsschlag sein kann. Schleswig-Holsteins Bildungsministerin und CDU-Vize Karin Prien - die
Bildungsministerin Stark-Watzinger auch bei anderen Themen immer wieder hart
kritisiert - schrieb bei X, Döring werde "zum Bauernopfer gemacht", damit zeige
sich Politik von ihrer hässlichen Seite. "Bundesministerin Stark-Watzinger hat
recht: Ein personeller Neuanfang im BMBF ist notwendig. Sie muss diesen Schritt
jetzt selbst vollziehen", erklärte der bildungspolitische Sprecher der
CDU/CSU-Fraktion, Thomas Jarzombek.

Der Koalitionspartner SPD begrüßte zunächst den Schritt der Ministerin: "Es
ist gut, dass Bundesministerin Stark-Watzinger jetzt aufklärt und schwerwiegende
Konsequenzen zieht. Nun muss verloren gegangenes Vertrauen zurückerkämpft und
sichergestellt werden, dass sich solche Vorgänge nicht wiederholen und
Förderentscheidungen so wie bisher ausschließlich wissenschaftsgeleitet sind",
schrieb der bildungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Oliver
Kaczmarek bei X. Wissenschaftsfreiheit sei nicht verhandelbar und das Fundament
auch für die Zusammenarbeit in der Ampel-Koalition.

Ähnlich äußerte sich der Vorsitzende des Bundestagbildungsausschusses, Kai
Gehring (Grüne). Die Leitung des Ministeriums "hat den schwerwiegenden Vorgang
intern aufgearbeitet und ist dabei zu der Entscheidung gelangt, dass personelle
Konsequenzen unausweichlich waren", sagte er. Es sei wichtig, dass sich die
Spitze des Hauses klar zur Wissenschaftsfreiheit bekannt habe. "Dieser klare Weg
muss nun glaubwürdig fortgesetzt werden, um verloren gegangenes Vertrauen
wiederherzustellen."/jr/DP/jha

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