14.05.2024 08:04:57 - dpa-AFX: POLITIK/Von Giraffe bis Wiedervereinigung: 75 Jahre Grundgesetz

BERLIN (dpa-AFX) - Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, verkündet
am 23. Mai 1949, Grundpfeiler einer stabilen Demokratie, entstand in
unmittelbarer Erinnerung an die Schrecken und Verbrechen des
Nationalsozialismus. Doch auch die Erkenntnis, welche Schwächen die erste
demokratische Weimarer Verfassung hatte, sowie internationale Ideen für
Menschenrechte flossen mit ein. Später diente das Grundgesetz als Vorbild für
Staaten, die auch aus einer Diktatur kamen, zum Beispiel Spanien, Portugal,
Ungarn und Tschechien.

Warum "Grundgesetz" und nicht "Verfassung"?

Das Grundgesetz hieß 1949 zwar nicht Verfassung, aber es war eine. Die
bescheiden klingende Namensgebung hat mit der deutschen Teilung nach dem Zweiten
Weltkrieg zu tun. Mit Blick auf eine Wiedervereinigung war das Grundgesetz bis
zu einer gesamtdeutschen Verfassung als Provisorium gedacht. Es galt allein für
die Bundesrepublik Deutschland, die DDR gab sich Ende Mai 1949 eine eigene
Verfassung.

Das Grundgesetz hielt von Anfang an zwei Wege zu einer Wiedervereinigung
offen: einen Beitritt nach dem damaligen Artikel 23
- oder eine Lösung nach Artikel 146. Danach muss eine neue Verfassung
ausgearbeitet und als Referendum angenommen werden. Nach dem Mauerfall
verabschiedete die Volkskammer der DDR Ende August 1990 mit großer Mehrheit das
Gesetz über den Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes nach Artikel 23.
Seit dem 3. Oktober 1990 gilt das Grundgesetz für ganz Deutschland.

Was Giraffen mit dem Grundgesetz zu tun haben

Der Parlamentarische Rat, der von September 1948 bis Mai 1949 das
Grundgesetz ausarbeitete, begann seine Arbeit an ungewöhnlichem Ort: im Bonner
Museum Koenig. Das Hauptgebäude des repräsentativen Naturkundemuseums war im
Zweiten Weltkrieg nicht zerstört worden. Hartnäckig hält sich die Geschichte,
dass beim Festakt ausgestopfte Giraffen zu sehen waren. Fotos davon gibt es
jedoch nicht. Nach Berichten waren die präparierten Tiere hinter Vorhängen
verborgen.

Der Staatsrechtler Carlo Schmid, Mitglied des Rats, schreibt dennoch in
seinen Erinnerungen, kaum ein Staatsakt habe wohl in einer derart skurrilen
Umgebung stattgefunden - "unter den Bären, Schimpansen, Gorillas und anderen
Exemplaren exotischer Tierwelt kamen wir uns ein wenig verloren vor". Zum
Festakt 75 Jahre Parlamentarischer Rat im September 2023 am selben Ort waren die
Giraffen zu sehen.

Nicht nur Väter des Grundgesetzes, auch Mütter

Dem Parlamentarischen Rat gehörten neben 61 Männern nur vier Frauen an. Der
Satz "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" in Artikel 3 des Grundgesetzes
war im Jahr 1949 keine Selbstverständlichkeit, sondern eine Sensation.
Durchgeboxt hat ihn vor allem die Kasseler Juristin Elisabeth Selbert, Mitglied
des Rats für die SPD. Der Artikel bedeutete, dass viele Eheregelungen aus dem
Bürgerlichen Gesetzbuch von 1900 geändert werden mussten.

Die Realität in der jungen Bundesrepublik wurde dennoch lange weiterhin von
einem patriarchalischen Eheverständnis geprägt: Der Mann entschied in letzter
Instanz. Erst 1957 beschloss der Bundestag das erste Gleichberechtigungsgesetz.
Frauen konnten nun beispielsweise auch gegen den Willen ihres Mannes arbeiten,
ein Konto eröffnen oder den Führerschein machen. Erst seit 1994 fördert das
zweite Gleichberechtigungsgesetz die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Was ewig gelten soll, was geändert werden kann

Die Urschrift des Grundgesetzes ist 1396 Gramm schwer und 35 mal 24
Zentimeter groß. Es gibt Passagen, die nicht geändert werden dürfen. Dazu zählt
Artikel 1 mit dem Grundsatz: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Artikel
20 beschreibt unumstößliche Staatsprinzipien wie Demokratie, Rechtsstaat und
Sozialstaat sowie den Föderalismus.

Eine Änderung des Grundgesetzes an anderen Stellen ist möglich, wenn zwei
Drittel des Bundestages sowie zwei Drittel des Bundesrates zustimmen. Durch
solche Änderungen hat sich die Zahl der Vorgaben bis Ende 2023 von 146 auf 202
erhöht. Dennoch endet das Grundgesetz wie bereits 1949 mit Artikel 146, denn
alle Ergänzungen wurden in Absätzen und nicht als neue Artikel eingefügt.

Eine wichtige Änderung des Grundgesetzes wurde 1994 im Artikel 3 festgelegt: "Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden." Grundrechte sind
seit 1949 aber auch durch Ergänzungen eingeschränkt worden, zum Beispiel 1993
das Asylrecht für politisch Verfolgte in Artikel 16a./vl/DP/jha

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