19.06.2024 13:48:46 - dpa-AFX: POLITIK/Nur 'esoterisch angehaucht'?: Anwälte kontern in: 'Reichsbürger'-Prozess

MÜNCHEN (dpa-AFX) - Im Münchner "Reichsbürger"-Prozess gegen mutmaßliche
Mitglieder der Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß haben zwei Verteidiger
zentrale Anklagevorwürfe zurückgewiesen. Sie versuchten am Mittwoch vielmehr,
ihre Mandanten als harmlos und ungefährlich darzustellen: esoterisch angehaucht
und Waldorfschüler oder eine "geliebte Ärztin", die Gewalt abgelehnt habe. So
äußerten sich die Anwälte des Juristen G. und der Ärztin R. am zweiten
Verhandlungstag vor dem Münchner Oberlandesgericht.

Dort stehen seit Dienstag acht mutmaßliche Mitglieder der Gruppe Reuß vor
Gericht. Das ist die Gruppe, die nach einer großangelegten Anti-Terror-Razzia in
mehreren Bundesländern und im Ausland Ende 2022 bekanntgeworden war. Die aktuell
26 Beschuldigten sollen einen gewaltsamen Umsturz der Bundesregierung geplant
und dabei bewusst Tote in Kauf genommen haben. Als Oberhaupt einer neuen
Staatsform hätte Reuß fungieren sollen. Aber auch mehrere der in München
Angeklagten, darunter G. und R., sollen dem "Rat" der Vereinigung angehört haben
- ähnlich einem Kabinett einer rechtmäßigen Regierung.

Ob G. tatsächlich ein Terrorverdächtiger, ein Terrorist sein könne, fragte
dessen Anwalt, und versuchte selbst eine Antwort zu geben: G. sei
Waldorfschüler. "Der hat sich im Suff nicht geprügelt. Der ist ein bisschen
esoterisch angehaucht." Ob G. wirklich an Echsenmenschen geglaubt habe, nur weil
bei ihm ein entsprechendes Buch gefunden worden sei? Jedenfalls habe die
Bundesanwaltschaft auch Einträge in einem Tagebuch von G. aus dem Zusammenhang
gerissen. Und in einem kurzen Vortrag, den der designierte "Außenminister"
einmal intern gehalten habe, sei es nur um eine "esoterische gesunde
Außenpolitik" gegangen. Jedenfalls habe sich G. am Ende auch von der ganzen
"Sache" distanziert.

Ein Verteidiger der Ärztin R. argumentierte, seine Mandantin haben keine
Gewalt toleriert, keinen Umsturz geplant, von ihr sei keine konkrete Gefahr
ausgegangen. Er zog komplett in Zweifel, dass die von der Anklage angenommene
Radikalisierung R.'s so stattgefunden habe.

Die Bundesanwaltschaft wirft den acht Angeklagten in München unter anderem
die Gründung beziehungsweise Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung
und die Vorbereitung eines sogenannten hochverräterischen Unternehmens vor. Es
ist nach Stuttgart und Frankfurt der bundesweit dritte Terrorprozess gegen die
Gruppe Reuß. In Frankfurt stehen Reuß und die mutmaßlichen Rädelsführer vor
Gericht. In Stuttgart hat die Bundesanwaltschaft mutmaßliche Mitglieder des
"militärischen Arms" angeklagt.

Mehrere Verteidiger kritisierten am Mittwoch die Aufteilung in drei
Verfahren. Teilweise beklagten sie zudem, München sei örtlich nicht zuständig,
und beantragten die Einstellung des Verfahrens. Zudem gab es Anträge, den
Prozess auszusetzen, bis weitere Akteneinsicht etwa in
Telefonüberwachungs-Aufnahmen gewährt werde. Vor Gericht aussagen will aktuell
nur eine der acht Angeklagten: die selbst ernannte Astrologin L. Ein Termin
dafür ist offen./ctt/DP/mis

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