20.05.2024 10:30:03 - dpa-AFX: HINTERGRUND: Hohe Hürden - Ausländische Ärzte in Deutschland im Behörden-Stau

BERLIN (dpa-AFX) - Die Bewerberinnen und Bewerber kommen aus der Türkei, aus
Syrien, der Ukraine und vielen anderen Ländern. Sie alle wollen als Ärztin oder
Arzt in Deutschland arbeiten. Viele Kommunen und Krankenhäusern sind darüber
froh. Regionaler Ärztemangel reißt längst Lücken in die Versorgung. Doch vor dem
Einsatz der ausländischen Mediziner in deutschen Praxen, Versorgungszentren oder
Kliniken stehen langwierige Verfahren. In den Behörden, die für Anerkennung und
Arbeitserlaubnis zuständig sind, stauen sich derzeit viele Anträge - zum Ärger
von Betroffenen. Werden am Ende die Patientinnen und Patienten deshalb
schlechter versorgt? Was könnte helfen?

Probleme vor Ort - aktuelle Fälle

Ob im Südschwarzwald oder an der Mecklenburgischen Seenplatte, im Taunus
oder in Thüringen: Ausländische Ärztinnen und Ärzte sind in vielen deutschen
Städten begehrt. Im badischen Bad Säckingen zum Beispiel schien die Suche nach
einem Nachfolger für die gynäkologische Praxis im örtlichen Medizinischen
Versorgungszentrum (MVZ) schon erfolglos. Dabei wurde schon ein Arbeitsvertrag
mit einem türkischen Bewerber geschlossen - doch die Zulassung ließ auf sich
warten. Medizinischen Fachangestellten wurde bereits gekündigt. Nach bangen
Wochen fand das MVZ laut "Badischer Zeitung" doch noch einen Gynäkologen aus der
Region. Unterdessen kämpft in Aalen auf der Ostalb ein Mediziner aus Venezuela
seit Monaten um seine Anerkennung, um als Hausarzt zu arbeiten.

Im thüringischen Eisenach wartet eine Ukrainerin, die bereits seit 27 Jahren als Kinderärztin in ihrer Heimat gearbeitet hatte, auf die Anerkennung ihres
Studienabschlusses. "Schade, dass es sehr, sehr lange dauert", sagte sie dem
MDR. Für sie blieb in der Kinderstation zunächst nur der Einsatz als
Hospitantin. Im hessischen Bad Schwalbach wuchs unterdessen bei einem
kolumbianischen Arzt die Wut: Einen Arbeitsvertrag bei einer Klinik hatte er
schon - nur die beantragte Approbation ließ auf sich warten, und die zuständige
Landesbehörde erreichte er erst gar nicht für Nachfragen, wie er dem Hessischen
Rundfunk sagte.

Immer mehr ausländische Ärzte - Tendenz steigend

Dabei ist die Zahl ausländischen Ärztinnen und Ärzte vergangenes Jahr auf
eine neue Höchstmarke gestiegen - auf knapp 64 000. Nach einer verlangsamten
Zuwanderung während der Corona-Pandemie steigt ihr Zuzug wieder, wie die
Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, Ellen Lundershausen, sagt. "Die
Einwanderung von ausländischen Ärztinnen und Ärzten wird sich voraussichtlich
auch in den kommenden Jahren fortsetzen." Syrien lag bei den Herkunftsländern im
Jahr 2023 vorn (6120 Ärztinnen und Ärzte), gefolgt von Rumänien (4668),
Österreich (2993), Griechenland (2943), Russland (2941) und der Türkei (2628).
"Seit rund eineinhalb Jahren erleben wir einen großen Anstieg aus der Türkei",
berichtet die Leiterin der Gutachtenstelle für Gesundheitsberufe, Carola
Dörfler. Die verbreitete Unzufriedenheit mit der politischen und
wirtschaftlichen Lage in dem Land könne der Grund sein. Seit rund einem Jahr
steigen auch die Bewerberzahlen ukrainischer Kriegsflüchtlinge.

In Dörflers Einrichtung überprüfen unter anderem Ärzte und Therapeuten sowie Dokumentare und Dokumentarinnen im Auftrag der Bundesländer die eingereichten
Abschlüsse und Dokumente auf ihre Gleichwertigkeit in Deutschland. In vielen
Regionen wird auch einiges für den Zuzug ausländischer Ärzte getan. So gewann
das Klinikum in Neubrandenburg mit einem Programm der Agentur für Arbeit elf
Jung-Medizinerinnen und Mediziner aus Mexiko zur weiteren Qualifikation.
Baden-Württemberg will die Verfahren per gebündelter Behörden-Anlaufstelle
erleichtern, Bayern auch mit künstlicher Intelligenz.

Die Hürden für Bewerber - oft ein Teufelskreis

Doch statt Freude herrscht vielerorts Frust. "Der Anstieg der Bewerberzahlen aus der Türkei und der Ukraine hat zu einem Stau geführt", räumt
Gutachtenstellen-Leiterin Dörfler ein. "Die Personalausstattung der Behörden
hinkt der Entwicklung hinterher." Die Dauer der Gleichwertigkeitsprüfung in
ihrem Haus: ein halbes Jahr, acht Monate oder vereinzelt bis zu einem Jahr.
Ärztekammer-Vizepräsidentin Lundershausen sagt: "Zweifelsohne besteht aufgrund
des komplexen Anerkennungsverfahrens die Gefahr langer Wartezeiten oder
Hängepartien." Häufig erschienen die Abläufe der verschiedenen Behörden
widersprüchlich.

Von den praktischen Problemen kann Elitsa Seidel ein Lied singen. Mit ihrer
Mainzer Agentur "inmed personal" hilft sie Bewerberinnen und Bewerbern bei der
Anerkennung. Seidel beklagt die unterschiedlichen Anforderungen in den
Bundesländern - von der Form der Beglaubigung der Unterlagen bis hin zur
Wartezeit auf die ebenfalls nötige Fachsprachprüfung. "Das dauert zwei Monate
bis zu einem halben Jahr." Manche Bewerberinnen und Bewerber gerieten in einen
Teufelskreis. "Die Kliniken brauchen Planungssicherheit und akzeptieren daher
nur voll anerkannte Bewerber", so Seidel. Viele Approbationsbehörden verlangten
aber einen Einstellungsnachweis, bevor sie den Antrag überhaupt bearbeiten - vor
allem, wenn die Ärzte noch keinen deutschen Wohnsitz haben.

Die ausländischen Dokumente - oft ein Drama

"Oft erscheint alles ganz einfach: Eine Klinik oder ein MVZ will einen Arzt
einstellen, der Arzt will eingestellt werden", sagt Agentur-Chefin Seidel. Für
die Bewerber entwickelt sich das Herbeischaffen aller Dokumente und der
Vergleich mit den deutschen Anforderungen trotzdem nicht selten zum Drama.
Seidel erläutert, es könne schnell zwei, drei Monate länger dauern, wenn der
Anerkennungsbehörde ein Zeugnis fehlt. "Die Anerkennungsverfahren ziehen sich in
die Länge, wenn die Unterlagen nicht vollständig vorliegen oder die
Personalressourcen in den Behörden eine schnelle Prüfung nicht zulassen", meint
Lundershausen. "Oft liegt es auch nicht an den Behörden, etwa wenn Dokumente
nachgereicht werden", sagt Dörfler. Sie findet: Es könnte alles auch einfacher
sein. Denn heute müssen Antragsteller ihre Dokumente auf jeden Fall erst auf
Gleichwertigkeit in Deutschland prüfen lassen. Aber bei rund drei von vier
Bewerbern reichen die Zeugnisse nicht. Sie müssen in eine persönliche
Arztprüfung, die Kenntnisprüfung. Dörfler schlägt vor, dass die Betroffenen
künftig vorher wählen dürfen, ob sie ihre Dokumente überprüfen lassen. Bei
mangelnder Erfolgsaussicht sollten sie sich gleich auf die Kenntnisprüfung
konzentrieren können. Dörfler wirbt für die Idee: "Es würde eine Menge
Behördenarbeit einsparen."

Forderungen und Kritik - ein Ausblick

Die Expertinnen sind sich einig: Die Zusammenarbeit der Behörden sei
ausbaufähigen, so Ärztekammer-Vize Lundershausen. Seidel: "Es wäre wichtig,
bürokratische Hürden zu senken ? im Gegensatz zu den sprachlichen und fachlichen
Voraussetzungen, die einfach gegeben sein müssen." Doch sind die fachlichen
Qualifikationen für den Einsatz an den Patienten auch immer gegeben? "Wir haben
es mit einem sehr heterogenen Feld an Bewerbern und Bewerberinnen zu tun", mahnt
der Leiter des Instituts für Ausbildung und Studienangelegenheiten an der
Medizin-Fakultät in Münster, Bernhard Marschall. "Dass jemand sehr versierte
Erfahrungen mitbringt, ist sehr selten." Zum Schutz der Patientinnen und
Patienten seien gründliche Anerkennungsverfahren unabdingbar.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) räumte auf dem Ärztetag im
Mai ein, über Jahre seien auch aus Spargründen zu wenig Ärztinnen und Ärzte
hierzulande ausgebildet worden. Stattdessen hole Deutschland immer mehr
ausländische Mediziner ins Land. "Das ist nicht ethisch und kann so nicht
weitergehen." Marschall weist auch auf eine anderes Ungleichgewicht hin: Wegen
ungleichmäßiger Verteilung der insgesamt 428 000 Ärztinnen und Ärzte in
Deutschland landeten die ausländischen Mediziner oft in strukturschwachen
Regionen. Dort, wo die Arbeit und das Leben den hier ausgebildeten Ärzten
weniger attraktiv erscheine - und Patientinnen und Patienten sich womöglich
schon abgehängt fühlten./bw/DP/men

--- Von Basil Wegener, dpa ---
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