07.05.2024 15:33:09 - dpa-AFX: ROUNDUP: Lauterbach stimmt auf Zeitenwende im Gesundheitswesen ein

MAINZ (dpa-AFX) - Deutschlands Patienten und Ärzte stehen nach den Worten
von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach vor tiefgreifenden Veränderungen
in der ärztlichen und pflegerischen Versorgung. "Wir sind tatsächlich im
Gesundheitssystem derzeit im wahrsten Sinne des Wortes in einer Zeitenwende",
sagte der SPD-Politiker am Dienstag zur Eröffnung des 128. Deutschen Ärztetags
in Mainz. Ausdrücklich lud Lauterbach die Ärzteschaft dazu ein, mit eigenen
Vorschlägen "an dieser Zeitenwende teilzunehmen".

Zuvor hatte Ärztepräsident Klaus Reinhardt an die Rede von Kanzler Olaf
Scholz (SPD) zu einer "Zeitenwende" nach dem russischen Angriff auf die Ukraine
erinnert. Reinhardt warnte vor wachsenden Engpässen bei Medizin und Pflege. Der
Ärztepräsident forderte einen Gesundheitsgipfel bei Scholz. "Es ist völlig
unverständlich, dass wir einen Chemie- und Autogipfel im Kanzleramt haben, aber
keinen Gesundheitsgipfel", sagte Reinhardt.

"Man kann nicht über die Zeitenwende reden und dann nicht die Zeichen der
Zeit verstehen", so der Ärztepräsident unter Beifall der Delegierten und
Besucher. Reinhardt mahnte, die Zahl der Praxen, die aus Altersgründen
aufgegeben würden, steige bedrohlich. Auch in den Kliniken gingen in den
nächsten Jahren viele Kolleginnen und Kollegen in den Ruhestand. "Es bleibt uns
nicht mehr viel Zeit."

Lauterbach arbeitet an 15 Gesetzen

Lauterbach räumte ein, über Jahre seien auch aus Spargründen zu wenig
Ärztinnen und Ärzte ausgebildet worden. Stattdessen hole Deutschland immer mehr
ausländische Mediziner ins Land. "Das ist nicht ethisch und kann so nicht
weitergehen." Zudem müssten die Kliniken zu stark ökonomischen Zwängen folgen.
Und bei der Digitalisierung und Forschung liege Deutschland hinter seinen
Nachbarländern zurück.

Lauterbach rief zur Unterstützung für vorgesehene Verbesserungen auf.
Reformen sind nach seinen Worten auf allen zentralen Feldern geplant. "Wir
arbeiten derzeit an insgesamt 15 Gesetzen." Aber, so Lauterbach: "Diese Reformen
sind noch nicht fertig, sie sind jetzt in einer ganz kritischen Phase." So werde
man eine Länder-Stellungnahme zur geplanten Klinik-Reform mit vielen
Änderungswünschen prüfen, kündigte Lauterbach an. Auch gute Vorschläge seien
enthalten, sagte der Minister. Die Länder liegen mit Lauterbach über das
Großprojekt Klinik-Reform teilweise im heftigen Clinch. Zuletzt forderten sie
zahlreiche Änderungen.

Lauterbach will mit der Krankenhaus-Reform heutigen Missständen an Kliniken
begegnen, wie er bekräftigte. Vor allem in kleinere Kliniken würden Patientinnen
und Patienten oft aufgenommen, weil die Klinik die Einnahmen brauche. Dann
würden auch kompliziertere Eingriffe gemacht, die besser in erfahreneren Häusern
oder gar nicht durchgeführt würden. Geplante Abhilfe durch die Klinik-Reform:
Künftig solle 60 Prozent der Vergütung der Kliniken zum Vorhalten von Leistungen
fließen - anstatt wie heute für die Behandlung einzelner Fälle. Der Druck, immer
mehr Patientinnen und Patienten zu behandeln, werde so sinken.

Gegen den Pflege-Notstand

Lauterbach räumte auch den heute oft heftig grassierenden Mangel an
Pflegekräften in vielen Krankenstationen ein. Auch hier soll nach seinen Worten
ein unmittelbar anstehendes Reformgesetz helfen. Geplant ist, den
Kompetenzbereich von Pflegekräften zu erweitern. Damit soll es attraktiver
werden, in Deutschland in die Pflege zu gehen - auch für ausländische
Fachkräfte. Denn, so Lauterbach: "Wenn wir die Nachricht übermitteln müssen,
hier darf man weniger als das, was man kann, wird auf keinen Fall besser
bezahlt, muss eine schwere Sprache vorher nachweisen und bekommt keinen
Kita-Platz ? so werden wir die Pflegekräfte aus dem Ausland nicht werben
können."

Ärztepräsident lobt Lauterbachs Mut

Reinhardt lobte Lauterbach ausdrücklich für seinen Mut, etwa für die
Klinik-Reform. Der Präsident der Bundesärztekammer forderte den Minister
zugleich auf, die Expertise der Ärzteschaft bei seinen Reformen einzubeziehen.
Lauterbach versprach: "Wir werden Ihre Diskussionen und Beschlüsse sehr genau
auswerten und werden das auch integrieren."

Zur viertägigen Hauptversammlung der Bundesärztekammer haben die 17
deutschen Ärztekammern rund 250 Abgeordnete nach Mainz entsandt. Das
Ärzte-Parlament soll länderübergreifende Regelungen zum Berufsrecht erarbeiten
und Positionen zu aktuellen gesundheits- und sozialpolitischen Diskussionen
äußern./bw/DP/zb

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