09.05.2024 14:42:12 - dpa-AFX: ROUNDUP: Schulze in Kiew - Gesprächspartner überraschend gefeuert

KIEW (dpa-AFX) - Der Ukraine-Besuch von Entwicklungsministerin Svenja
Schulze ist von der völlig überraschenden Absetzung ihres wichtigsten
Gesprächspartners überschattet worden. Unmittelbar nach ihrer Ankunft in Kiew
wurde der für Wiederaufbau zuständige Vizeregierungschef Olexander Kubrakow am
Donnerstag vom Parlament gefeuert. Er sollte eigentlich zusammen mit Schulze die
für die Ukraine so wichtige Wiederaufbaukonferenz am 11. und 12. Juni in Berlin
vorbereiten. Die SPD-Politikerin reagierte enttäuscht: "Das ist wirklich keine
gute Nachricht."

Sie finde die Absetzung "persönlich sehr, sehr schade", sagte sie. Kubrakow
habe sich vor allem sehr engagiert gegen Korruption eingesetzt und sei da sehr
erfolgreich gewesen. "Und wir haben sehr viele der Projekte gemeinsam mit ihm
vorangetrieben."

Friedenstaube zum Abschied vom gefeuerten Vizepremier

Die Entwicklungsministerin wollte Kubrakow eigentlich gleich nach ihrer
Ankunft treffen. Wegen der überraschenden Wendung konnte der gefeuerte
Vizepremier ihr dann aber nur noch eine Kette mit einer weißen Friedenstaube als
Geschenk zukommen lassen, die sie dann während ihres Besuchs trug.

Wie es mit der Wiederaufbaukonferenz nun weitergeht, konnte Schulze nicht
sagen. "Es ist einfach schade, weil es jetzt sehr kurz davor ist, wir sehr
intensiv alles gemeinsam mit ihm und seinem Team zusammen vorbereitet haben."
Zwar werde dieser Prozess jetzt fortgesetzt. "Aber der persönliche Kontakt und
das, was man an vertrauensvollem Verhältnis aufgebaut hat, das ist jetzt
natürlich weg."

Zu der Konferenz in Berlin werden etwa 1500 Teilnehmer erwartet ? darunter
auch Staats- und Regierungschefs. Schulze nahm zur Vorbereitung in Kiew an einem
"Gipfel der Städte und Regionen" teil, bei dem auch Präsident Wolodymyr
Selenskyj sprach. Der Staatschef begrüßte Schulze zwar. Für ein ursprünglich mal
angedachtes Gespräch mit ihm war aber kein Raum mehr.

Kubrakow war seit 2022 Vizepremier

Kubrakow (41) war seit 2021 Minister für Infrastruktur und seit 2022
Vizeregierungschef. Er schrieb auf Facebook, dass Ministerpräsident Denys
Schmyhal und die Fraktion der Präsidentenpartei Diener des Volkes über diese
Entscheidungen nicht mit ihm gesprochen hätten.

Zum Hintergrund der überraschenden Absetzung kursierten in Kiew verschiedene Vermutungen. In dem übergroßen Ministerium sei die Regionalentwicklung zu kurz
gekommen, schrieb beispielsweise der Abgeordnete Witalij Beshin auf Facebook.
"Das schadet direkt der europäischen Integration der Ukraine." Die
Parlamentarier hatten es dem Vizepremier übel genommen, dass er nach russischen
Angriffen auf Wärmekraftwerke im April erklärte, sein Ministerium könne nicht
auch noch für den Schutz dieser großen Anlagen sorgen. Selenskyj hatte Ende März
angekündigt, dass es zu Umbesetzungen in der ukrainischen Führung kommen könnte.

45 Millionen Euro für die Sanierung des Stromnetzes

Ganz unverrichteter Dinge musste Schulze aber nicht nach Hause reisen.
Während ihres Besuchs unterzeichnete die Kreditanstalt für Wiederaufbau einen
Vertrag über Zuschüsse in Höhe von 45 Millionen für die Sanierung des
Stromnetzes. "Nur mit einer funktionierenden Stromversorgung kann die Ukraine im
Krieg bestehen und den Wiederaufbau schaffen", sagte die Ministerin. In den
letzten Wochen hatte Russland gezielt die Energieinfrastruktur bombardiert.
"Damit darf und wird Russland keinen Erfolg haben."

Schulze: Ärzte genauso wichtig wie Panzer

Außerdem ging es bei dem Besuch um die Ausbildung von Fachkräften. "Die
Ärztinnen und die Elektriker sind mindestens genauso wichtig wie die Panzer",
sagte Schulze. Die Ukrainer bauten ihr Land jeden Tag wieder auf. "Dafür ist es
ganz wichtig, dass es eben nicht nur Unterstützung bei den Waffen gibt, sondern
auch Unterstützung beim zivilen Aufbau." Bei der Berliner Konferenz werde es
unter anderem darum gehen, wie kleine und mittelständische Unternehmen
unterstützt und wie Fachkräfte für den Wiederaufbau gefunden werden könnten.

Deutschland gilt als größter militärischer, finanzieller und humanitärer
Unterstützer der von Russland angegriffenen Ukraine in Europa. Die ukrainische
Regierung geht davon aus, dass der Wiederaufbau des Landes noch fünf bis zehn
Jahre dauern würde, wenn der Krieg jetzt enden würde. Die bisher verursachten
Kriegsschäden wurden zu Jahresanfang von Weltbank, Europäischer Union und den
Vereinten Nationen auf 500 Milliarden Euro beziffert./mfi/DP/ngu

© 2000-2024 DZ BANK AG. Bitte beachten Sie die Nutzungsbedingungen | Impressum
2024 Infront Financial Technology GmbH