09.05.2024 07:09:17 - dpa-AFX: ROUNDUP 2: Israel setzt nach US-Drohung Kampf in Gaza fort - Nacht im Überblick

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WASHINGTON/TEL AVIV/GAZA (dpa-AFX) - Israel ist mit der offenen Drohung
eines Waffenstopps durch seinen Verbündeten USA für den Fall eines Einmarschs in
Rafah weiter unter Druck geraten. Für eine umfassende Invasion in der mit
Hunderttausenden von palästinensischen Flüchtlingen überfüllten Stadt im Süden
des Gazastreifens werde sein Land nicht die Waffen liefern, sagte US-Präsident
Joe Biden in einem Interview des Fernsehsenders CNN, das am Mittwochabend
(Ortszeit) ausgestrahlt wurde. Die US-Regierung hatte wegen Israels Vorgehen in
Rafah bereits eine Munitionslieferung zurückgehalten. Ranghohe israelische
Beamte hätten darüber ihre "tiefe Frustration" zum Ausdruck gebracht und davor
gewarnt, dass dies die indirekten Verhandlungen über eine Waffenruhe und
Freilassung von Geiseln gefährden könne, sagten zwei informierte Quellen dem
Nachrichtenportal "Axios".

Israel setzt Kampf gegen die Hamas fort

Unterdessen setzt Israels Armee den Kampf gegen die islamistische Hamas im
abgeriegelten Gazastreifen fort. Zur Stunde würden Stellungen der Hamas im
mittleren Abschnitt des Küstengebiets angegriffen, teilte das israelische
Militär in der Nacht zum Donnerstag mit. Israelische Soldaten waren in der Nacht
zum Dienstag auch in Teile Rafahs an der Grenze zu Ägypten vorgerückt. Die Armee
übernahm dort eigenen Angaben nach die Kontrolle des Grenzübergangs auf der
palästinensischen Seite. "Die USA sagten, sie wollten, dass wir die Operation
einschränken, dass wir uns mit einer großangelegten Invasion zurückhalten. Und
Israel hat das getan und wird immer noch bestraft", zitierte das "Wall Street
Journal" in der Nacht zum Donnerstag Michael Oren, ehemals Botschafter Israels
in Washington.

Bericht: Einsatz in Rafah soll Hamas zu Verhandlungslösung zwingen

Er bezeichnete demnach Bidens Androhung eines Waffenlieferstopps im Falle
einer Invasion in Rafah als "Präventivschlag" gegen jede israelische Maßnahme
zur Ausweitung des Einsatzes gegen die Hamas in der Stadt. Die USA hatten
Israels Regierung in den vergangenen Tagen und Wochen immer wieder vor einer
großangelegten Bodenoffensive in Rafah gewarnt - Biden sprach von einer "roten
Linie". Das "Wall Street Journal" zitierte israelische Analysten, wonach die
Hamas mit dem Einsatz in Rafah unter Druck gesetzt werden soll, ein Abkommen zu
akzeptieren, das hinter den Forderungen der Terrororganisation zurückbleibe. Die
Hamas besteht weiterhin unter anderem auf einem Abzug der israelischen Truppen,
was Israel jedoch strikt ablehnt.

Unterdessen kehrte William Burns, Chef des US-Auslandsgeheimdienstes CIA,
Medienberichten zufolge nach Kairo zu den Vermittlungsgesprächen zurück, nachdem
er am Mittwoch in Israel mit Regierungschef Benjamin Netanjahu über den Stand
der Verhandlungen über eine Feuerpause gesprochen hatte. Die Verhandlungen, bei
denen Ägypten, Katar und die USA vermitteln, sollen in der ägyptischen
Hauptstadt fortgesetzt werden, wie der arabische Fernsehsender Al-Dschasira am
Donnerstagmorgen berichtete. Ziel der Gespräche ist es, die Freilassung von
Geiseln in der Gewalt der Hamas im Austausch für palästinensische Häftlinge in
israelischen Gefängnissen zu erzielen. Burns reist zwischen den verschiedenen
Verhandlungsorten hin und her, um dabei Fortschritte zu erreichen.

Die einzige Möglichkeit, die Verhandlungen fortzusetzen, bestehe derzeit
darin, weiter anzugreifen, zitierte das "Wall Street Journal" einen ehemaligen
Leiter des Nationalen Sicherheitsrates in Israel. "Das ist unsere Art, sie dazu
zu bringen, dass sie es ernst nehmen." Die Hamas warf dagegen Israel vor, die
Verhandlungen als Vorwand für einen Einmarsch in Rafah zu nutzen. Israels
Regierungschef Netanjahu versuche "Ausreden zu erfinden, um Verhandlungen zu
vermeiden und die Schuld auf die Hamas und die Vermittler zu schieben", so Izzat
al-Rischk, Mitglied des Hamas-Politbüros, in einer Stellungnahme auf Telegram.

Biden: Invasion in Rafah wäre falsch

Der Einsatz in Rafah zielt nach Angaben Netanjahus darauf ab, die
verbliebenen Geiseln zu befreien und die letzten Bataillone der Hamas in der
Stadt zu zerschlagen. US-Präsident Biden machte im CNN-Interview deutlich, das
israelische Militär sei noch "nicht in die Bevölkerungszentren vorgerückt - was
sie getan haben, ist direkt an der Grenze". Er habe Netanjahu und dessen
Kriegskabinett klargemacht, dass sie nicht mit US-Unterstützung rechnen könnten,
"wenn sie tatsächlich in diese Bevölkerungszentren gehen". Es sei "einfach
falsch" - und die USA könnten dafür nicht die Waffen und Artillerie
bereitstellen. Nach Aussagen der Vereinten Nationen halten sich gegenwärtig
insgesamt 1,2 Millionen Menschen in Rafah auf, mehr als die Hälfte der gesamten
Bevölkerung Gazas.

Auch Deutschland hat Israel wegen der vielen Zivilisten in Rafah immer
wieder vor einem Einmarsch in der Stadt gewarnt. Das "Wall Street Journal"
zitierte derweil Analysten, wonach Israel Armee in verschiedenen Teilen der
Stadt in Wellen angreifen könnte. Die jeweils betroffenen Zivilisten sollten
sich zuvor in Sicherheit bringen. Am Montag hatte Israel etwa 100 000
Palästinenser aufgefordert, den östlichen Teil Rafahs aus Sicherheitsgründen zu
verlassen. Die Bewohner sollten sich in das Gebiet Al-Mawasi nahe der Küste
begeben, ihre Versorgung mit Nahrungsmittel, Wasser und Medikamenten könne dort
gewährleistet werden.

UN: Bislang keine Hilfsgüter über Grenzübergang Kerem Schalom

Der Grenzübergang Rafah bleibt indes weiter geschlossen. Zusammen mit Kerem
Schalom ist er das Hauptnadelöhr für Hilfslieferungen in den südlichen
Gazastreifen. Trotz der israelischen Ankündigung zur Öffnung von Kerem Schalom
wurden nach Angaben der Vereinten Nationen bis zum Mittwochabend (Ortszeit)
keine Hilfsgüter in den Gazastreifen geliefert. Dies sagte Sprecher Stéphane
Dujarric in New York. Er ging auf Fragen, was die Lieferungen aufhalte, nicht im
Detail ein. Auch über den Grenzübergang Rafah sei keine Hilfe in den
Gazastreifen gekommen, wo vor allem Treibstoff dringend benötigt wird. Kerem
Schalom war am Mittwoch nach mehrtägiger Schließung gerade erst wieder geöffnet
worden. Israel hatte ihn am Sonntag nach einem Raketenangriff der Hamas, bei dem
vier israelische Soldaten getötet worden waren, für humanitäre Transporte
geschlossen.

Geburtsklinik in Rafah stoppt Aufnahme von Patientinnen

Hilfsorganisationen haben die Sorge geäußert, dass der israelische
Militäreinsatz in Rafah sowie die Sperrung des dortigen Grenzübergangs nach
Ägypten die Lage der Zivilbevölkerung im Gazastreifen weiter verschlechtern
könnten. Seit Monaten werfen sie Israel vor, zu wenige Hilfslieferungen in das
umkämpfte Gebiet zu lassen. Die wichtigste Geburtsklinik in Rafah stoppte nun
die Aufnahme neuer Patientinnen, wie die Verwaltung des Emirati-Krankenhauses
der Deutschen Presse-Agentur am Mittwoch telefonisch bestätigte. Als Gründe
wurden die fortwährenden Angriffe der israelischen Armee auf die Hamas in der
Stadt und die Treibstoffknappheit genannt./ln/DP/ngu

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