04.05.2024 16:55:42 - dpa-AFX: POLITIK/ROUNDUP 2: SPD-Europapolitiker bei Angriff in Dresden schwer verletzt

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DRESDEN (dpa-AFX) - Er wollte Wahlplakate für seine Partei anbringen, nun
liegt der sächsische SPD-Europaspitzenkandidat Matthias Ecke im Krankenhaus. Am
Freitagabend ist er in Dresden von vier Unbekannten angegriffen und schwer
verletzt worden. Die Tätergruppe schlug auf den 41-Jährigen ein, wie Polizei und
Partei am Samstag mitteilten. Er habe im Krankenhaus operiert werden müssen.

Wenige Minuten vor dem Angriff hatte laut Polizei bereits eine vierköpfige
Gruppe einen 28-jährigen Wahlkampfhelfer der Grünen ebenfalls beim Plakatieren
attackiert. Die Täter schlugen und traten ihn, auch er wurde verletzt. Die
Ermittler des Staatsschutzes gehen aufgrund der übereinstimmenden
Personenbeschreibungen sowie der zeitlichen und örtlichen Nähe davon aus, dass
es sich um dieselben Täter handelt. Beide Vorfälle ereigneten sich im bürgerlich
geprägten Stadtteil Striesen, der vor allem durch seine alten Villen geprägt
ist.

Mittlerweile hat nach Angaben des sächsischen Innenministeriums die Task
Force Gewaltdelikte des Landeskriminalamtes die Ermittlungen übernommen.

Zahlreiche Angriffe gegen Politiker

Die Vorfälle von Dresden reihen sich ein in eine Folge von Angriffen auf
Parteimitglieder im Vorfeld der Kommunal- und Europawahlen am 9. Juni. Erst am
Donnerstagabend waren der Grünen-Bundestagsabgeordnete Kai Gehring und sein
Parteikollege Rolf Fliß nach eigenen Angaben nach einer Parteiveranstaltung in
Essen attackiert worden. Am vergangenen Wochenende waren Mitglieder der Grünen
in Chemnitz und Zwickau beim Anbringen von Wahlplakaten angegriffen worden. Im
niedersächsischen Nordhorn wurde am Samstagmorgen ein Landtagsabgeordneter der
AfD nach Polizeiangaben an einem Infostand geschlagen.

Nach einer Studie für die Heinrich-Böll-Stiftung treffen die Beleidigungen,
Bedrohungen und tätlichen Angriffe Frauen wie Männer und Menschen mit und ohne
Migrationshintergrund in ähnlichem Maße, und zwar sowohl in ost- als auch in
westdeutschen Ländern sowie über alle Parteigrenzen hinweg. Auffällig ist aber
ein Trend, den die Bundesregierung jüngst auf eine Kleine Anfrage der AfD im
Bundestag offenlegte - nicht speziell zu Kommunalpolitikern, sondern gemünzt auf
alle politischen Ebenen: Waren noch 2019 vor allem Vertreter der AfD Ziel von
Anfeindungen, so verlagerte sich der Hass vermehrt auf die Grünen. Für die AfD
wurden 2023 nach vorläufigen Zahlen bundesweit 478 Fälle aktenkundig, für die
Grünen 1219. Für alle Parteien zusammen wurden von 2019 bis 2023 nach
Regierungsangaben 10 537 Straftaten gemeldet.

Politiker verurteilen den Angriff

Zahlreiche Landes- und Bundespolitiker verurteilten den Angriff auf Ecke am
Samstag. Der Überfall sei ein "unübersehbares Alarmzeichen an alle Menschen in
diesem Land", sagten die sächsischen SPD-Landesparteivorsitzenden Henning Homann
und Kathrin Michel laut Mitteilung. "Die Reihe von Angriffen durch
Schlägertrupps auf Plakatierteams demokratischer Parteien sind ein Angriff auf
die Grundfesten unserer Demokratie. Das gewalttätige Vorgehen und die
Einschüchterung von Demokratinnen und Demokraten ist das Mittel von Faschisten."
Die Saat, die AfD und andere Rechtsextreme gesät hätten, gehe auf, deren
Anhänger seien völlig enthemmt.

Sachsen Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) teilte bei X (vormals
Twitter) mit: "Es ist schockierend und ein Angriff auf unsere demokratischen
Werte, die Attacke auf SPD-Spitzenkandidat Matthias Ecke entsetzt mich zutiefst
und ist durch nichts zu rechtfertigen." Angriffe und Einschüchterungen von
politischen Mitbewerbern kenne man aus den dunkelsten Epochen der deutschen
Geschichte.

Auch die SPD-Bundesvorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil verurteilten den Angriff scharf. "Dieser hinterlistige Angriff macht unsere gesamte Partei
betroffen. Er ist ein Angriff auf alle Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer, die mit
Leidenschaft für unsere Demokratie und den Rechtsstaat eintreten", hieß es in
einer Erklärung vom Samstag. Die Grünen-Parteichefin Ricarda Lang schrieb auf
der Plattform X, Gewalt im Wahlkampf sei ein Angriff auf die Demokratie und
damit auf uns alle. Ihre volle Solidarität gelte Ecke. Vizekanzler Robert Habeck
(Grüne) sprach von Angriffen auf unsere Demokratie. "Sie sind der widerliche und
unentschuldbare Ausfluss einer Verrohung von Sprache, Debatte und der Enthemmung
in den sogenannten sozialen Medien."

Auch der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla schieb auf X: "Physische Angriffe
gegen Politiker aller Parteien verurteilen wir zutiefst. Wahlkämpfe müssen
inhaltlich hart und konstruktiv, aber ohne Gewalt geführt werden." Der selbst
aus Sachsen stammende Bundespartei- und Bundestagsfraktionschef wünschte Ecke
"viel Kraft und rasche Genesung".

Faeser kündigt hartes Vorgehen an

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kündigte ein hartes Vorgehen des
Rechtsstaats an. Faeser sagte: "Wenn sich ein politisch motivierter Anschlag auf
den Europaabgeordneten Matthias Ecke wenige Wochen vor der Europawahl bestätigt,
dann ist diese schwere Gewalttat auch ein schwerer Angriff auf die Demokratie.
Wir erleben hier eine neue Dimension von antidemokratischer Gewalt." Sie fügte
an, Extremisten und Populisten, die mit völlig entgrenzten verbalen Anfeindungen
gegen demokratische Politikerinnen und Politiker ein zunehmendes Klima der
Gewalt schürten, trügen eine Mitverantwortung dafür, dass es immer häufigere
Attacken gebe. "Der Rechtsstaat muss und wird hierauf mit einem harten Vorgehen
und weiteren Schutzmaßnahmen für die demokratischen Kräfte in unserem Land
reagieren. Ich werde darüber sehr schnell mit den Innenministerinnen und
Innenministern der Länder beraten."

Die Grünen in Sachsen haben nach den Angriffen vom vergangenen Wochenende
bereits reagiert und schicken ihre Mitglieder nicht mehr alleine zum
Plakatieren. Auch in anderen Parteien gibt es solche Überlegungen und Vorgaben
mittlerweile./jbl/DP/mis

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