23.04.2024 11:05:01 - dpa-AFX: SPORT/Heikle Sicherheitslage bei Fußball-EM: Wie viel Angst spielt mit?

BERLIN (dpa-AFX) - 50 Tage sind es an diesem Donnerstag noch bis zum
Eröffnungsspiel der Fußball-EM zwischen Deutschland und Schottland. Die Euphorie
steigt, der Traum von einem zweiten Sommermärchen ist nach den Auftritten der
Nationalmannschaft im März gewachsen. Die Eskalation im Nahen Osten, der
russische Angriffskrieg auf die Ukraine und nicht zuletzt der von einem Ableger
der Terrormiliz Islamischer Staat verübte Anschlag nahe Moskau trüben bei vielen
Menschen aber die Vorfreude. Die europäische Fußball-Party vom 14. Juni bis 14.
Juli findet in der wohl heikelsten Sicherheitslage seit Jahren statt.

Die Sicherheit der Fußball-EM hat für Bundesinnenministerin und
Sportministerin Nancy Faeser daher höchste Priorität. "An allen Spielorten und
überall, wo sich viele Menschen bewegen, gilt: Die Polizei wird hohe Präsenz
zeigen. Die Bundespolizei wird die deutschen Grenzen, Flughäfen und den
Bahnverkehr schützen, wo sich Nationalmannschaften und Fans bewegen", sagte die
SPD-Politikerin.

Seit Jahren wappnen sich die Sicherheitsbehörden für alle denkbaren
Gefahren, damit die rund 2,7 Millionen Fans in den Stadien und bis zu 12
Millionen Besucher auf den Fanmeilen die EM genießen können. Der Fokus von
Polizei und Technikexperten reicht von der Bedrohung durch islamistischen
Terror, über Hooligans und andere Gewalttäter bis hin zu Cyberangriffen.

Terrorexperte warnt vor weichen Zielen

Offizielle und inoffizielle IS-Medienstellen zirkulierten zuletzt
Anschlagsdrohungen auf Stadien, in denen die Viertelfinals der Champions League
ausgetragen wurden. "Da Terrorismus und Propaganda auch immer Mittel der
psychologischen Einflussnahme sind, werden hier natürlich auch ganz klar Ängste
aufgegriffen, die momentan in der öffentlichen Diskussion artikuliert werden",
sagte Terrorexperte Johannes Saal der dpa.

Der IS-Anschlag in Paris während Spiels zwischen der deutschen und
französischen Fußball-Nationalmannschaft 2015 oder jener auf schwedische
Fußballfans in Brüssel im vergangenen Jahr zeigen, dass Sorgen grundsätzlich
nicht unberechtigt sind. Anschläge auf solch weiche Ziele im öffentlichen Raum
wie Stadienzufahrten, Fanmeilen oder Public Viewings seien wahrscheinlicher, da
die Absicherung großer Menschenmassen hier schwieriger sei, erklärte Saal.

Schärfere Einlasskontrollen an Stadien

Bundesinnenministerin Faeser, die zur EM Kontrollen an allen deutschen
Grenzen angekündigt hatte, setzt bei der Absicherung des Turniers auch auf eine
Zusammenarbeit mit Teilnehmer- und Anrainerstaaten. "Die Bundespolizei wird bei
Ihrem Einsatz von weit über 300 ausländischen Polizeibeamtinnen und -beamten aus
den Teilnehmernationen unterstützt. Diese werden in der gesamten Bandbreite der
Bundespolizei - maßgeblich im bahnpolizeilichen Kontroll- und Streifendienst -
eingesetzt. Eine besonders enge Zusammenarbeit besteht mit Frankreich zur
Fußball-EM in Deutschland und den Olympischen Spielen in Paris", teilte ein
BMI-Sprecher mit.

Rund um die jeweiligen zehn Gastgeberstadien werden am Spieltag zwischen 800 und 1300 sogenannte Stewards im Einsatz sein. Im Vergleich zu Bundesligaspielen
müssen sich Besucher auf schärfere Kontrollen einstellen. Die Gäste kommen in
zwei Schritten in die Arenen, wie das Organisationskomitee mitteilte. Am Zugang
zu einem ersten, äußeren Sicherheitsring werden die ausschließlich
elektronischen Tickets auf den Mobiltelefonen der Besucher visuell durch
Sicherheitspersonal überprüft. Außerdem werden dort die Person und die
mitgebrachten Gegenstände durchsucht. Am anschließenden inneren Sicherheitsring
wird das Ticket am Drehkreuz kontrolliert.

Fanhilfen üben Kritik

Der Dachverband der Fanhilfen kritisiert die "lange Liste aberwitziger
Überwachungsfantasien" für die EM 2024 und fürchtet, dass sich die
Einschränkungen der Bürgerrechte von Fans nach der EM etablieren werden.
"Fußballfans sind keine Terroristen oder Staatsfeinde. Hier müssen Rechtsstaat
und Bürgerrechte gewahrt werden. Die Stadien sind keine Orte für den
Repressionsfetisch von Polizei und Innenministerien", äußerte Linda Röttig,
Vorstand im Dachverband der Fanhilfen.

Die DFB-Elf will sich in ihrer EM-Vorbereitung von Sicherheitsdebatten nicht aus der Ruhe bringen lassen. Das Team von Bundestrainer Julians Nagelsmann wird
Ende Mai ein Trainingslager in Thüringen absolvieren. Von dort geht es ins Base
Camp nach Herzogenaurach. Im Juni stehen noch zwei Testspiele an - eines davon
gegen die Ukraine. Spätestens dann steht auch das Thema Sicherheit wieder im
Fokus./jrz/DP/mis

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