28.03.2024 09:30:04 - dpa-AFX: HINTERGRUND: Wie Fake News Wahlen manipulieren können

BERLIN (dpa-AFX) - 2024 ist ein Superwahljahr: Neben der
US-Präsidentschaftswahl und dem Urnengang für das Europäische Parlament stehen
in Ostdeutschland drei richtungsweisende Landtagswahlen an. Nach dem
Verfassungsschutz warnt nun auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) vor
Versuchen, durch Desinformationen Einfluss auf anstehende Wahlen zu nehmen.

Eine neue Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt, dass 81 Prozent der
Deutschen Desinformation im Internet als Bedrohung für die Demokratie und den
gesellschaftlichen Zusammenhalt betrachten. 67 Prozent machen sich Sorgen, dass
Desinformation den Ausgang von Wahlen beeinflussen könnte. Der Internationale
Faktencheck-Tag am Dienstag (2. April) legt das Augenmerk auf die Reichweite und
den Einfluss von Falsch-Informationen im Netz.

Expertinnen wie Cathleen Berger von der Bertelsmann-Stiftung und Pia
Lamberty vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas) warnen vor
gezielten Desinformationskampagnen. Berger sieht darin den Versuch,
"demokratische Diskurse zu manipulieren".

Beeinflussung durch halbseidene Umfragen

Ein Beispiel: In regelmäßigen Abständen werden vollkommen unseriöse
Wahlumfragen kolportiert. Im Januar etwa freute sich der
AfD-Bundestagsabgeordnete Marc Bernhard über vermeintliche Projektionen, wonach
sich seine Partei in Baden-Württemberg mit 26 Prozent der Wählerstimmen fast
gleichauf mit der CDU befinde. Mitte März wiederum verbreitet sein bayerischer
Parteifreund Andreas Winhart, dass die AfD angeblich "mit bundesweit 21 Prozent
bei den Zweistimmen nur noch zwei Prozent hinter der CDU" liege.

So werden Umfrage-Höhenflüge suggeriert, die es in echt gar nicht gibt. Denn die vermeintlichen Werte sind vor allem eins: überhaupt nicht valide. Hinter
ihnen steckt das undurchsichtige Institut "PrognosUmfragen", das seine Methodik
und Finanzierung nicht transparent macht. Bei seriösen und anerkannten
Instituten wie Infratest dimap oder Forsa liegt die AfD in beiden genannten
Fällen mit großem Abstand hinter der CDU.

Starke Rechte befeuert Ausbreitung der Desinformation

Gerade das Erstarken der extremen Rechten in weiten Teilen Europas macht
nach Lambertys Ansicht die Gesellschaft empfänglicher für Desinformation. Die
Co-Geschäftsführerin von Cemas, das Radikalisierungstendenzen und
Verschwörungserzählungen im Netz untersucht, erwartet solche Versuche auch aus
dem Ausland wie Russland.

Desinformationskampagnen sind dabei alles andere als Schnellschüsse. Sie
"bereiten in der Regel über längere Zeiträume hinweg einen Nährboden", erklärt
Berger - und veranschaulicht das: Bevor es zum Anzweifeln von Wahlergebnissen
komme, würden gesellschaftlich kontroverse Themen wie Klimakrise, Krieg oder
Genderidentitäten über Extrempositionen emotionalisiert.

So ist zum Beispiel seit Jahren in sozialen Medien die krude
Falschbehauptung nicht tot zubekommen, die Grünen planten ein generelles Verbot
von Hunden, Katzen und anderen Haustieren, um das Klima zu schützen. Dieser Fake
waberte bereits vor der letzten Bundestagswahl 2021 durch die dunklen
Echo-Räume.

Besorgniserregend ist, dass viele anfällig für Manipulationen sind. Nach
einer Erhebung der Initiative D21, eines Netzwerks für die digitale
Gesellschaft, kann fast ein Drittel der Befragten mit dem Begriff Desinformation
wenig anfangen - oder kennt ihn gar nicht. "Dann werden Wissenslücken mit
eigenen Haltungen und Ideologien gefüllt", erklärt Lamberty.

Kandidaten streuen teils selbst Falschnachrichten

Beispiele wie der Wahlkampf von Jair Bolsonaro in Brasilien oder von Donald
Trump in den USA zeigen, dass das Vertrauen in demokratische Prozesse besonders
dann geschwächt wird, wenn die Kandidaten selbst Misstrauen säen. Dass Trumps
Lügen über vermeintliche Wahlfälschungen konkrete Folgen haben, zeigt der
gewalttätige Sturm auf das Kapitol im Januar 2021. Für einen solchen Schaden hat
Desinformation hierzulande bislang nicht gesorgt. Dennoch geht Lamberty davon
aus, dass solche Erzählungen in einzelnen Milieus "ihren Beitrag zur
Radikalisierung leisten".

So haben bei vergangenen Wahlen Verschwörungsideologen und Rechtsradikale
versucht, Behauptungen zu einem weitreichenden Wahlbetrug zu verbreiten - teils
auch mithilfe von AfD-Politikern. Geraunt wird viel: Briefwahlunterlagen würden
ungefragt an Wahlberechtigte verschickt; Wahlzettel gingen auf dem Postweg
vorsätzlich verloren; in einer Ecke gelochte Wahlzettel seien ungültig. Alles
gelogen. Doch die Botschaft dahinter an die Anhänger: Die Wahlen in Deutschland
sind nicht vertrauenswürdig.

So kamen etwa bei der Landratswahl im brandenburgischen Landkreis Oder-Spree im Mai 2023 wieder einmal an den Haaren herbeigezogene Vorwürfe der Manipulation
durch Briefwahl auf - vor allem, weil sich der SPD-Kandidat wegen der postalisch
übermittelten Stimmen gegen den AfD-Konkurrenten durchsetzte. Letzterer hatte in
den Wahllokalen knapp die Nase vorn. Die Wahrheit: Dem Kreiswahlleiter wurde bei
der Abstimmung keine einzige Unregelmäßigkeit angezeigt.

Dass eine solche Einflussnahme unsere Demokratie in ihren Grundfesten ins
Wanken bringt, verneint Expertin Berger. Die Zersetzung unserer politischen
Ordnung sei aber "kein Prozess, der von heute auf morgen stattfindet", sagt
Lamberty. "Propaganda wirkt oft eher langfristig, schleichend - und gerade das
macht es so gefährlich."/mfl/DP/zb

--- Von Marc Fleischmann und Sebastian Fischer, dpa ---

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