09.05.2024 15:49:29 - dpa-AFX: ROUNDUP 2: Biden erhöht Druck auf Israel: Keine Waffen für Großangriff in Rafah

WASHINGTON/TEL AVIV/GAZA (dpa-AFX) - Die USA haben für den Fall eines
weiteren Vormarschs der israelischen Armee in Rafah mit der Einschränkung von
Waffenlieferungen gedroht. Falls das israelische Militär für eine Offensive in
dicht bevölkerte Teile der Stadt einmarschiere, werde dies Konsequenzen bei den
US-Waffenlieferungen haben, sagte Biden in einem Interview des Fernsehsenders
CNN, das am Mittwochabend (Ortszeit) ausgestrahlt wurde. Für eine großangelegte
Invasion in Rafah, wo Hunderttausende Zivilisten Schutz suchen, werde seine
Regierung nicht die Waffen bereitstellen. Die US-Regierung hatte wegen Israels
Vorgehen in Rafah bereits eine Munitionslieferung zurückgehalten. Biden
versicherte zugleich, die USA stünden Israel bei der eigenen Verteidigung vor
Angriffen uneingeschränkt zur Seite.

Kritik an Biden in Israel

In Israel stieß Bidens Drohung auf scharfe Kritik vor allem am rechten Rand
des politischen Spektrums. Der Polizeiminister Itamar Ben-Gvir schrieb am
Donnerstag auf der Plattform X spöttisch, die islamistische Hamas liebe Biden.
Um seine Botschaft deutlich zu machen, setzte er zwischen die Wörter Hamas und
Biden ein Herz-Emoji. Finanzminister Bezalel Smotrich schrieb in einer
Mitteilung, Israel habe eine Erinnerung daran erhalten, "dass unser
Unabhängigkeitskrieg noch andauert".

US-Verteidigungsminister Lloyd Austin hatte am Mittwoch bestätigt, dass die
USA wegen Israels Vorgehen in Rafah eine Munitionslieferung an die israelischen
Streitkräfte zurückgehalten haben. US-Medien berichteten, diese Lieferung
umfasse 3500 Bomben, darunter 2000-Pfund-Bomben (etwa 907 kg). Analysten zufolge
setzt Israel diese im Kampf gegen die Hamas ein, um etwa die Tunnel der
Islamisten im Untergrund zu zerstören. Austin hatte deutlich gemacht, dass
Washington von Israel erwarte, in Gaza präzise vorzugehen, um Zivilisten zu
schützen. 2000-Pfund-Bomben jedoch könnten "Kollateralschäden" anrichten.

Israel setzt Kampf gegen die Hamas fort

Der israelische Außenminister Israel Katz schrieb bei X: "Israel wird die
Hamas weiter bekämpfen, bis sie zerstört ist. Es gibt keinen gerechteren Krieg
als diesen." Die Armee und Luftwaffe seien in der Gegend von Al-Saitun im
zentralen Abschnitt des umkämpften Küstenstreifens im Einsatz, um die
"Zerschlagung terroristischer Infrastruktur und die Ausschaltung von Terroristen
in diesem Gebiet fortzusetzen", teilte das Militär mit.

Der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi und der jordanische
Ministerpräsident Bischer al-Chasauneh warnten am Donnerstag bei einem Treffen
in Kairo erneut vor den katastrophalen humanitären Folgen einer großen Offensive
in Rafah. Israelische Soldaten waren in der Nacht zum Dienstag auch in Teile
Rafahs an der Grenze zu Ägypten vorgerückt. Die Armee übernahm dort eigenen
Angaben nach die Kontrolle des Grenzübergangs auf der palästinensischen Seite.
"Die USA sagten, sie wollten, dass wir die Operation einschränken, dass wir uns
mit einer großangelegten Invasion zurückhalten. Und Israel hat das getan und
wird immer noch bestraft", zitierte das "Wall Street Journal" Michael Oren,
ehemals Botschafter Israels in Washington.

Er bezeichnete demnach Bidens Drohung mit der Beschränkung von
Waffenlieferungen im Fall einer Invasion in Rafah als "Präventivschlag" gegen
jede israelische Maßnahme zur Ausweitung des Einsatzes gegen die Hamas in der
Stadt.

Überschreitet Israel Bidens "rote Linie"?

Die USA hatten Israels Regierung in den vergangenen Tagen und Wochen immer
wieder vor einer großangelegten Bodenoffensive in Rafah gewarnt
- Biden sprach von einer "roten Linie". In dem CNN-Interview
argumentierte der US-Präsident nun, das israelische Militär sei noch "nicht in
die Bevölkerungszentren vorgerückt - was sie getan haben, ist direkt an der
Grenze". Auf Nachfrage, ob die von ihm definierte rote Linie seiner Einschätzung
nach also bislang nicht überschritten sei, sagte Biden: "Noch nicht." Er habe
Netanjahu und dessen Kriegskabinett aber klargemacht, dass sie nicht mit
US-Unterstützung rechnen könnten, "wenn sie tatsächlich in diese
Bevölkerungszentren gehen".

Das "Wall Street Journal" zitierte israelische Analysten, wonach die Hamas
mit dem Einsatz in Rafah unter Druck gesetzt werden soll, ein Abkommen zu
akzeptieren, das hinter den Forderungen der Terrororganisation zurückbleibe. Die
Hamas besteht weiterhin unter anderem auf einem Abzug der israelischen Truppen,
was Israel strikt ablehnt.

Schwierige Verhandlungen in Kairo

Die Verhandlungen über eine Feuerpause im Gaza-Krieg gingen unterdessen in
Kairo weiter. Auch William Burns, Chef des US-Auslandsgeheimdienstes CIA, war
Medienberichten zufolge am Donnerstag dort, nachdem er am Mittwoch in Israel mit
Regierungschef Benjamin Netanjahu gesprochen hatte. Ziel der Gespräche ist es,
die Freilassung von Geiseln in der Gewalt der Hamas im Austausch für
palästinensische Häftlinge in israelischen Gefängnissen zu erzielen. Burns
reiste mehrmals zwischen den verschiedenen Verhandlungsorten hin und her, um
dabei Fortschritte zu erreichen.

Die einzige Möglichkeit, die Verhandlungen fortzusetzen, bestehe derzeit
darin, weiter anzugreifen, zitierte das "Wall Street Journal" einen ehemaligen
Leiter des Nationalen Sicherheitsrates in Israel. "Das ist unsere Art, sie dazu
zu bringen, dass sie es ernst nehmen." Die Hamas warf dagegen Israel vor, die
Verhandlungen als Vorwand für einen Einmarsch in Rafah zu nutzen. Nach Angaben
Netanjahus dagegen zielt der Rafah-Einsatz darauf ab, die verbliebenen Geiseln
zu befreien und die letzten Bataillone der Hamas in der Stadt zu zerschlagen.

Große Gefahr für Zivilisten

Nach UN-Schätzungen halten sich gegenwärtig insgesamt 1,2 Millionen Menschen in Rafah auf, mehr als die Hälfte der gesamten Bevölkerung Gazas. Auch
Deutschland hat Israel wegen der vielen Zivilisten in Rafah immer wieder vor
einem Einmarsch in der Stadt gewarnt. Seit dem Vorrücken der israelischen Armee
in die Stadt Rafah sind nach UN-Angaben rund 80 000 Menschen aus der Stadt
geflohen. Die Menschen seien nirgendwo sicher, mahnte das UN-Hilfswerk für
Palästinenser auf X. Die Belastung für die Betroffenen sei unerträglich. Das
israelische Militär hatte Einwohner des östlichen Teils Rafahs am Montag dazu
aufgerufen, das Gebiet zu verlassen.

Nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde des
Küstenstreifens sind seit Ausbruch des Krieges in Gaza 34 904 Menschen getötet
worden. Mehr als 78 500 Menschen wurden nach Angaben von Donnerstag seitdem
verletzt.

Grenzübergang Kerem Schalom erneut beschossen

Der Grenzübergang Rafah bleibt indes weiter geschlossen. Zusammen mit Kerem
Schalom ist er das Hauptnadelöhr für Hilfslieferungen in den südlichen
Gazastreifen. Zum dritten Mal binnen weniger Tage hatte der militärische Arm der
Hamas den Grenzübergang Kerem Schalom am Mittwochabend beschossen. Sie hätten
Raketen auf israelische Truppen gefeuert, teilten die Kassam-Brigaden mit. Der
wichtige Grenzübergang für die Lieferung von Hilfsgütern in den Gazastreifen war
kurz zuvor erst nach mehrtägiger Schließung wieder geöffnet worden, nachdem er
am Sonntag nach einem Raketenangriff der Hamas, bei dem vier israelische
Soldaten getötet worden waren, geschlossen worden war. Nach Darstellung Israels
wurden am Mittwoch wieder Hilfsgüter über Kerem Schalom nach Gaza transportiert,
nach UN-Angaben kamen in dem Küstenstreifen dagegen keine neuen Lieferungen an.

Ein Frachter mit Hunderten Tonnen Hilfsgütern für die Zivilbevölkerung im
Gazastreifen ist unterdessen aus dem zyprischen Hafen von Larnaka ausgelaufen.
Wie der zyprische Regierungssprecher Giannis Antoniou am Donnerstag im Rundfunk
sagte, werde der Frachter "Sagamore" bald in Gaza eintreffen. "Bis der Frachter
ankommt, wird auch der Pier, den die USA bauen, fertig sein", fügte er
hinzu./ln/DP/stk

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