09.05.2024 09:26:58 - dpa-AFX: ROUNDUP 3: Israel setzt nach US-Drohung Kampf in Gaza fort - Nacht im Überblick

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WASHINGTON/TEL AVIV/GAZA (dpa-AFX) - Israel ist mit der offenen Drohung
eines Waffenstopps durch seinen Verbündeten USA für den Fall eines Einmarschs in
Rafah weiter unter Druck geraten. Für eine umfassende Invasion in der mit
Hunderttausenden palästinensischen Flüchtlingen überfüllten Stadt im Süden des
Gazastreifens werde sein Land nicht die Waffen liefern, sagte US-Präsident Joe
Biden in einem Interview des Fernsehsenders CNN, das am Mittwochabend (Ortszeit)
ausgestrahlt wurde. Die US-Regierung hatte wegen Israels Vorgehen in Rafah
bereits eine Munitionslieferung zurückgehalten. Ranghohe israelische Beamte
hätten darüber ihre "tiefe Frustration" zum Ausdruck gebracht und davor gewarnt,
dass dies die indirekten Verhandlungen über eine Waffenruhe und Freilassung von
Geiseln gefährden könne, sagten zwei informierte Quellen dem Nachrichtenportal
"Axios".

Israel setzt Kampf gegen die Hamas fort

Unterdessen setzt Israels Militär den Kampf gegen die islamistische Hamas im abgeriegelten Gazastreifen fort. Die Armee und Luftwaffe seien in der Gegend von
Al-Saitun im zentralen Abschnitt des umkämpften Küstenstreifens im Einsatz, um
die "Zerschlagung terroristischer Infrastruktur und die Ausschaltung von
Terroristen in diesem Gebiet fortzusetzen", teilte das Militär am
Donnerstagmorgen mit. Der Einsatz habe mit Luftangriffen auf etwa 25 Ziele,
darunter militärische Einrichtungen, unterirdische Tunnel und
Scharfschützenposten begonnen. Bodentruppen seien im Einsatz, um das Gebiet von
Al-Saitun zu sichern, hieß es.

Israelische Soldaten waren in der Nacht zum Dienstag auch in Teile Rafahs an der Grenze zu Ägypten vorgerückt. Die Armee übernahm dort eigenen Angaben nach
die Kontrolle des Grenzübergangs auf der palästinensischen Seite. "Die USA
sagten, sie wollten, dass wir die Operation einschränken, dass wir uns mit einer
großangelegten Invasion zurückhalten. Und Israel hat das getan und wird immer
noch bestraft", zitierte das "Wall Street Journal" in der Nacht zum Donnerstag
Michael Oren, ehemals Botschafter Israels in Washington.

Bericht: Einsatz in Rafah soll Hamas zu Verhandlungslösung zwingen

Er bezeichnete demnach Bidens Androhung eines Waffenlieferstopps im Falle
einer Invasion in Rafah als "Präventivschlag" gegen jede israelische Maßnahme
zur Ausweitung des Einsatzes gegen die Hamas in der Stadt. Die USA hatten
Israels Regierung in den vergangenen Tagen und Wochen immer wieder vor einer
großangelegten Bodenoffensive in Rafah gewarnt - Biden sprach von einer "roten
Linie". Das "Wall Street Journal" zitierte israelische Analysten, wonach die
Hamas mit dem Einsatz in Rafah unter Druck gesetzt werden soll, ein Abkommen zu
akzeptieren, das hinter den Forderungen der Terrororganisation zurückbleibe. Die
Hamas besteht weiterhin unter anderem auf einem Abzug der israelischen Truppen,
was Israel jedoch strikt ablehnt.

Unterdessen kehrte William Burns, Chef des US-Auslandsgeheimdienstes CIA,
Medienberichten zufolge nach Kairo zu den Vermittlungsgesprächen zurück, nachdem
er am Mittwoch in Israel mit Regierungschef Benjamin Netanjahu über den Stand
der Verhandlungen über eine Feuerpause gesprochen hatte. Die Verhandlungen, bei
denen Ägypten, Katar und die USA vermitteln, sollen in der ägyptischen
Hauptstadt fortgesetzt werden, wie der arabische Fernsehsender Al-Dschasira am
Donnerstagmorgen berichtete. Ziel der Gespräche ist es, die Freilassung von
Geiseln in der Gewalt der Hamas im Austausch für palästinensische Häftlinge in
israelischen Gefängnissen zu erzielen. Burns reist zwischen den verschiedenen
Verhandlungsorten hin und her, um dabei Fortschritte zu erreichen.

Die einzige Möglichkeit, die Verhandlungen fortzusetzen, bestehe derzeit
darin, weiter anzugreifen, zitierte das "Wall Street Journal" einen ehemaligen
Leiter des Nationalen Sicherheitsrates in Israel. "Das ist unsere Art, sie dazu
zu bringen, dass sie es ernst nehmen." Die Hamas warf dagegen Israel vor, die
Verhandlungen als Vorwand für einen Einmarsch in Rafah zu nutzen. Israels
Regierungschef Netanjahu versuche "Ausreden zu erfinden, um Verhandlungen zu
vermeiden und die Schuld auf die Hamas und die Vermittler zu schieben", so Izzat
al-Rischk, Mitglied des Hamas-Politbüros, in einer Stellungnahme auf Telegram.

Biden: Invasion in Rafah wäre falsch

Der Einsatz in Rafah zielt nach Angaben Netanjahus darauf ab, die
verbliebenen Geiseln zu befreien und die letzten Bataillone der Hamas in der
Stadt zu zerschlagen. US-Präsident Biden machte im CNN-Interview deutlich, das
israelische Militär sei noch "nicht in die Bevölkerungszentren vorgerückt - was
sie getan haben, ist direkt an der Grenze". Er habe Netanjahu und dessen
Kriegskabinett klargemacht, dass sie nicht mit US-Unterstützung rechnen könnten,
"wenn sie tatsächlich in diese Bevölkerungszentren gehen". Es sei "einfach
falsch" - und die USA könnten dafür nicht die Waffen und Artillerie
bereitstellen. Nach Aussagen der Vereinten Nationen halten sich gegenwärtig
insgesamt 1,2 Millionen Menschen in Rafah auf, mehr als die Hälfte der gesamten
Bevölkerung Gazas.

Auch Deutschland hat Israel wegen der vielen Zivilisten in Rafah immer
wieder vor einem Einmarsch in der Stadt gewarnt. Das "Wall Street Journal"
zitierte derweil Analysten, wonach Israels Armee in verschiedenen Teilen der
Stadt in Wellen angreifen könnte. Die jeweils betroffenen Zivilisten sollten
sich zuvor in Sicherheit bringen. Am Montag hatte Israel etwa 100 000
Palästinenser aufgefordert, den östlichen Teil Rafahs aus Sicherheitsgründen zu
verlassen. Die Bewohner sollten sich in das Gebiet Al-Mawasi nahe der Küste
begeben, ihre Versorgung mit Nahrungsmittel, Wasser und Medikamenten könne dort
gewährleistet werden.

Grenzübergang Kerem Schalom erneut beschossen

Der Grenzübergang Rafah bleibt indes weiter geschlossen. Zusammen mit Kerem
Schalom ist er das Hauptnadelöhr für Hilfslieferungen in den südlichen
Gazastreifen. Zum dritten Mal binnen weniger Tage hatte der militärische Arm der
Hamas den Grenzübergang Kerem Schalom am Mittwoch beschossen. Sie hätten Raketen
auf israelische Truppen gefeuert, teilten die Kassam-Brigaden mit. Der wichtige
Grenzübergang für die Lieferung von Hilfsgütern in den Gazastreifen war kurz
zuvor erst nach mehrtägiger Schließung wieder geöffnet worden, nachdem er am
Sonntag nach einem Raketenangriff der Hamas, bei dem vier israelische Soldaten
getötet worden waren, geschlossen worden war. Nach Darstellung Israels wurden am
Mittwoch wieder Hilfsgüter über Kerem Schalom nach Gaza transportiert, nach
UN-Angaben kamen in dem Küstenstreifen dagegen keine neuen Lieferungen an.

Geburtsklinik in Rafah stoppt Aufnahme von Patientinnen

Hilfsorganisationen haben die Sorge geäußert, dass der israelische
Militäreinsatz in Rafah sowie die Sperrung des dortigen Grenzübergangs nach
Ägypten die Lage der Zivilbevölkerung im Gazastreifen weiter verschlechtern
könnten. Seit Monaten werfen sie Israel vor, zu wenige Hilfslieferungen in das
umkämpfte Gebiet zu lassen. Die wichtigste Geburtsklinik in Rafah stoppte nun
die Aufnahme neuer Patientinnen, wie die Verwaltung des Emirati-Krankenhauses
der Deutschen Presse-Agentur am Mittwoch telefonisch bestätigte. Als Gründe
wurden die fortwährenden Angriffe der israelischen Armee auf die Hamas in der
Stadt und die Treibstoffknappheit genannt./ln/DP/ngu

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