02.05.2024 15:48:55 - dpa-AFX: ROUNDUP 2: OECD senkt Prognose für Deutschland - Investoren halten sich zurück

(neu: mehr Details und Hintergrund)

PARIS/STUTTGART (dpa-AFX) - Die deutsche Wirtschaft müht sich schrittweise
aus der Flaute. Große Sprünge beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) sind aber auch
nach dem überraschenden, leichten Wachstum zu Jahresbeginn nicht zu erwarten.
Das zeigt der aktuelle Wirtschaftsausblick der OECD, der am Donnerstag in Paris
veröffentlicht wurde. Für 2024 rechnen die Konjunkturexperten der
Industriestaatenorganisation nun nur noch mit einem Plus von 0,2 Prozent. Eine
neue Analyse des Beratungsunternehmens EY zeigt derweil, dass der Standort
Deutschland bei ausländischen Investoren weiter an Attraktivität verliert.

Mit der neuen Prognose korrigierte die Organisation für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ihre Erwartung für das Wirtschaftswachstum
in Deutschland erneut nach unten. Bereits im Februar hatte sie ihre
Wachstumsprognose gesenkt. Damals ging sie statt der noch im November
angenommenen 0,6 Prozent von 0,3 Prozent Zuwachs aus.

Wachstum dürfte gering ausfallen

Damit zeigt sich die OECD mittlerweile etwas pessimistischer als die
Bundesregierung. Letztere hob jüngst ihre Wachstumserwartungen für das
Gesamtjahr 2024 leicht von 0,2 Prozent auf 0,3 Prozent an. Für das kommende Jahr
rechnet die OECD aber mit mehr Schwung für Europas größte Volkswirtschaft: Dann
wird ein Konjunkturplus von 1,1 Prozent erwartet. Dennoch hinkt Deutschland
hinterher: Weltweit erwartet die OECD ein Wachstum von 3,1 Prozent in diesem und
3,2 Prozent im kommenden Jahr, im Euroraum einen Zuwachs von 0,7 Prozent
beziehungsweise 1,5 Prozent.

Als Wachstumshemmnis sieht die OECD vor allem Unsicherheit mit Blick auf
geplante steuerliche Anreize für "grüne" Investitionen, nachdem das
Bundesverfassungsgericht die Umwidmung von 60 Milliarden Euro im Etat 2021 in
den Klima- und Transformationsfonds für nichtig erklärt hatte. Dies belaste das
Vertrauen von Investoren. Auch hohe Zinssätze hätten Investitionen unter andrem
auf dem Wohnungsmarkt gedrückt.

Ausländische Investitionen in Deutschland sinken weiter

Unterdessen ergab eine Analyse der Beratungsfirma EY, dass Investoren aus
dem Ausland ihr Engagement in Deutschland erneut zurückgefahren haben.
Vergangenes Jahr kündigten ausländische Unternehmen 733 Investitionsprojekte
hierzulande an - zwölf Prozent weniger als im Vorjahr. Das sei der niedrigste
Stand seit 2013 und der sechste Rückgang in Folge.

Im europäischen Vergleich belegt Deutschland damit zwar weiterhin den
dritten Platz - der Abstand zu Primus Frankreich vergrößerte sich aber erneut.
EY zählte dort zwar fünf Prozent weniger Vorhaben, aber immer noch 1194.
Großbritannien folgt mit 985 Projekten (plus sechs Prozent). Die höchste Zahl
ausländischer Investitionen in Deutschland hatte EY mit 1124 Vorhaben im Jahr
2017 verzeichnet. Vor der Corona-Pandemie 2019 lag die Zahl bei 971. EY führt
die Studie seit 2006 durch. Angaben zum Investitionsvolumen wurden nicht
gemacht.

EY-Chef: "Deutschland wird abgehängt"

Der Vorsitzende der EY-Geschäftsführung, Henrik Ahlers, hält den Rückgang
für eine beunruhigende Entwicklung: "Das ist ein Alarmsignal. Deutschland wird
abgehängt, andere europäische Standorte entwickeln sich viel dynamischer",
mahnte er. Seit 2017 sei die Zahl der Investitionsprojekte in Deutschland um 35
Prozent gesunken, während Frankreich um 20 Prozent zulegte. "Frankreich ist der
große Brexit-Gewinner. Deutschland hingegen hat sogar noch mehr Investitionen
verloren als Großbritannien."

Gründe für Deutschlands schwaches Abschneiden seien die hohe
Steuerbelastung, hohe Arbeitskosten, teure Energie sowie die Bürokratie im Land.
"Das Ergebnis: Die Investitionen sinken, die Stimmung bei Verbrauchern wie
Unternehmen ist im Keller, die Konjunktur entwickelt sich so schwach wie in
keinem anderen Industrieland".

US-Investoren fahren Engagement zurück

US-Unternehmen waren vergangenes Jahr zwar immer noch die wichtigsten
Investoren in Deutschland - die Zahl der Projekte schrumpfte aber um mehr als
ein Fünftel. US-Investoren hätten den Standort zwar nicht abgeschrieben, das
Vertrauen sei aber erschüttert. Top-Prioritäten sollte sein, dieses wieder
herzustellen. Eine schnelle Erholung erwartete er aber nicht: "Die Probleme in
Deutschland liegen tief und sind auch struktureller Art. Eine Trendwende wird
daher nicht von heute auf morgen gelingen", sagte er. Notwendig seien eine
Steuerreform und Bürokratieabbau. Ähnliches empfahl auch die OECD./jwe/DP/jha

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