19.12.2025 08:35:37 - dpa-AFX: ROUNDUP 2: EU sichert Ukraine-Finanzierung bis 2027 - Moskau spottet
BRÜSSEL (dpa-AFX) - Die EU-Länder haben sich nach monatelangem Streit auf
einen Kompromiss zur Finanzierung der Ukraine für die nächsten zwei Jahre
verständigt. Wie Bundeskanzler Friedrich Merz nach dem EU-Gipfel in Brüssel
ankündigte, erhält das von Russland angegriffene Land von der EU einen zinslosen
Kredit über 90 Milliarden Euro. Falls Russland für Kriegsschäden keine
Entschädigung leistet, sollen in der EU eingefrorene russische Vermögenswerte
für die Rückzahlung herangezogen werden.
Merz wertete die Lösung als "großen Erfolg", obwohl sie nicht seinem
ursprünglichen Vorschlag entspricht. Er wollte eigentlich die vor allem in
Belgien festgesetzten Gelder der russischen Zentralbank direkt für Darlehen in
Höhe von bis zu 210 Milliarden Euro einsetzen. Dieser Plan scheiterte am Ende am
Widerstand von Ländern wie Frankreich und Italien, nachdem zuvor vor allem
Belgien zu große rechtliche und politische Risiken gesehen hatte.
Kanzler sieht Demonstration europäischer Souveränität
Merz zeigte sich aber auch mit dem Alternativmodell zufrieden. "Europa hat
verstanden, was die Stunde geschlagen hat und Europa hat eine Demonstration
seiner Souveränität abgeliefert", sagte er nach rund 18-stündigen Beratungen im
Brüsseler Europagebäude. "Wir stellen uns entschlossen der größten
sicherheitspolitischen Bedrohung Europas entgegen. Das ist die Aggression
Russlands, die längst den Angriffskrieg gegen die Ukraine übersteigt."
Die 90 Milliarden Euro reichen Merz zufolge aus, um den militärischen Bedarf
und den Bedarf beim Haushalt der Ukraine für die nächsten zwei Jahre zu decken.
Die Auszahlung kann seinen Angaben zufolge schon im Januar beginnen.
Putins Chefunterhändler verspottet Merz
Der russische Chefunterhändler Kirill Dmitrijew bezeichnete den Brüsseler
Kompromiss als gewaltigen Schlag für Merz und EU-Kommissionspräsidentin Ursula
von der Leyen, die er beide "Kriegstreiber" nannte. "Gesetz und gesunder
Menschenverstand haben vorerst gesiegt", schrieb er auf der Plattform Telegram.
Russland hatte stets vor einem "Diebstahl" seines Staatsvermögens gewarnt
und damit gedroht, im Gegenzug auch westliches Geld - vor allem von
Privatinvestoren und Unternehmen - für seine Zwecke zu verwenden. Nun seien
Merz, von der Leyen und der britische Premierminister Keir Starmer gescheitert:
"Die ganze Welt hat gerade zugesehen, wie ihr daran gescheitert seid, andere zum
Rechtsbruch zu zwingen", schrieb er auf der Plattform X.
Paris und Rom verhinderten "Merz Modell"
Das ursprüngliche Finanzierungsmodell des Kanzlers kam nach Angaben von
Diplomaten nicht durch, weil unter anderem die Regierungen in Paris und Rom sich
weigerten, die notwendigen Mittel für den von Belgiens Regierungschef Bart De
Wever geforderten Schutzmechanismus bereitzustellen. Er wollte garantiert
bekommen, dass alle Risiken, die sich aus der Nutzung russischen Geldes ergeben
könnten, vollständig gemeinschaftlich abgesichert werden.
Die belgische Regierung sah unter anderem die Gefahr, dass Russland
Vergeltung gegen europäische Privatpersonen und Unternehmen übt und es in
Russland zu Enteignungen kommt. Vor allem fürchtet sie auch um die Existenz des
Finanzinstituts Euroclear, das den Großteil der in der EU festgesetzten
russischen Vermögenswerte verwaltet.
Nach dem Gipfel zeigte sich aber auch De Wever zufrieden. "Die Ukraine hat
gewonnen, Europa hat gewonnen, die finanzielle Stabilität hat gewonnen", sagte
er. "Hätten wir Brüssel heute gespalten verlassen, hätte Europa seine
geopolitische Bedeutung eingebüßt. Das wäre eine totale Katastrophe gewesen."
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bezeichnete die nun gefundene Lösung als
"die realistischste und praktikabelste".
Orban spricht von "verlorenem Kriegskredit"
Seit fast vier Jahren beteuern die führenden Staats- und Regierungschefs der
Europäischen Union, dass die Ukraine so lange unterstützt werde, wie es nötig
sei. Bei einem Scheitern der weiteren Finanzierung wäre diese Zusage hinfällig
gewesen.
Es wäre auch ein Scheitern von Kanzler Merz gewesen, der sich schon im
September überraschend an die Spitze der Befürworter der Nutzung des russischen
Vermögens gesetzt hatte. Nun hat er zwar seinen ursprünglichen Plan nicht
durchgebracht, die Finanzierung der Ukraine aber trotzdem gesichert.
Es gab aber auch Kritik aus den Reihen der Staats- und Regierungschefs.
Ungarns Regierungschef Viktor Orban, der für kremlfreundliche Positionen bekannt
ist, sprach von einem "verlorenen Kriegskredit". EU-Ratspräsident António Costa
sagte dagegen, Ziel sei es nicht, den Krieg zu verlängern, sondern einen
gerechten und dauerhaften Frieden in der Ukraine zu erreichen.
Mercosur-Deal auf Januar verschoben
Noch nicht zu einer abschließenden Entscheidung kam die EU beim zweiten
wichtigen Gipfelthema: Die eigentlich für diesen Samstag geplante Unterzeichnung
des EU-Freihandelsabkommens mit vier Mitgliedsländern des südamerikanischen
Staatenbunds Mercosur muss verschoben werden. Einen neuen Termin soll es nun in
der ersten Januarhälfte geben.
Zuvor hatte die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni mitgeteilt, sie
sei noch nicht bereit, dem geplanten Abkommen mit den vier Staaten Brasilien,
Argentinien, Uruguay und Paraguay zuzustimmen. Damit war klar, dass die für eine
Unterzeichnung erforderliche Mehrheit nicht zustande kommt. Für diese wollten
heute eigentlich Kommissionspräsidentin von der Leyen und EU-Ratspräsident Costa
nach Brasilien reisen.
Freihandelszone mit mehr als 700 Millionen Einwohnern
Für Merz ist die Verschiebung ein Dämpfer. Er hatte zu Gipfelbeginn gesagt,
wenn die Europäische Union in der Handelspolitik glaubwürdig bleiben wolle, dann
müssten jetzt Entscheidungen getroffen werden. "Und die Entscheidung kann nur
lauten, dass Europa zustimmt und dass die Kommissionspräsidentin und der
Ratspräsident morgen nach Südamerika reisen und dieses Abkommen unterzeichnen",
fügte er hinzu.
Die neue Freihandelszone mit mehr als 700 Millionen Einwohnern wäre nach
Angaben der EU-Kommission die weltweit größte dieser Art und soll auch ein
Zeichen gegen die protektionistische Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump
setzen. Geplant ist, Zölle und Handelsbarrieren zwischen der EU und den
Mercosur-Staaten weitestgehend abzubauen. Die Verhandlungen für den Deal
starteten bereits 1999./mfi/DP/stw