21.06.2024 06:30:02 - dpa-AFX: ROUNDUP: Netanjahu verärgert wichtigen US-Verbündeten - Die Nacht im Überblick

WASHINGTON/TEL AVIV (dpa-AFX) - Eine neue Fehde des israelischen
Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu mit der US-Regierung erschwert einem
Medienbericht zufolge die Bemühungen um eine Deeskalation im Konflikt zwischen
Israel und der Hisbollah-Miliz im Libanon. Netanjahus Video vom Dienstag, in dem
er die US-Regierung wegen einer zurückgehaltenen Waffenlieferung mit harschen
Worten angegriffen hatte, sorge für eine Kluft zwischen den Verbündeten und
untergrabe Israels Abschreckungskraft in der Region, berichtete das
US-Nachrichtenportal "Axios" unter Berufung auf mehrere US-Beamte. Netanjahus
Video sei "gelinde gesagt verblüffend", "zutiefst enttäuschend" und "ärgerlich"
gewesen, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates, John
Kirby, am Donnerstag.

Netanjahu legt nach

Israels Regierungschef legte am Abend nach Kirbys Äußerungen noch einmal
nach: "Ich bin bereit, persönliche Angriffe zu ertragen, solange Israel von den
USA die Munition erhält, die es im Krieg um seine Existenz braucht", sagte
Netanjahu nach Angaben seines Büros. "Es gibt nichts Besseres, als der Hisbollah
zu sagen, dass die USA Israel Waffen vorenthalten, was falsch ist, damit sie
sich ermutigt fühlt", zitierte "Axios" einen ranghohen US-Beamten.
Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah hatte am Vorabend die Kampfbereitschaft seiner
Schiitenmiliz betont: "Wenn sie (die Israelis) dem Libanon einen Krieg
aufzwingen, wird der Widerstand ohne Einschränkungen, Regeln und Grenzen
zurückschlagen". Zugleich betonte der Generalsekretär der Miliz, der Libanon
strebe keinen großangelegten Krieg mit Israel an.

Seit mehr als acht Monaten beschießen sich Israel und die Hisbollah ständig. Zuletzt nahm die Intensität der Gefechte deutlich zu. Es wird befürchtet, dass
ein offener Krieg zwischen beiden Seiten sich zu einem regionalen Konflikt
ausweiten könnte, in den auch die USA als wichtigster Verbündeter Israels
hereingezogen würden. Zwischen Israels Regierungschef Netanjahu und der
Regierung von US-Präsident Joe Biden hatte es bereits in den vergangenen Monaten
heftige Verstimmungen gegeben. Biden und andere ranghohe US-Regierungsvertreter
machten mehrfach auf ungewöhnlich deutliche Weise klar, dass sie mit Netanjahus
Vorgehen im Gaza-Krieg nicht einverstanden sind. Kritik gibt es insbesondere
wegen der hohen Zahl ziviler Opfer und der humanitären Not in dem abgeriegelten
Gebiet.

Blinken betont Engagement der USA für Israels Sicherheit

Dass Netanjahu die US-Regierung nun wegen einer zurückgehaltenen
Waffenlieferung harsch anging, heizt die Spannungen weiter an. US-Außenminister
Antony Blinken hatte Netanjahus Kritik bereits entschieden zurückgewiesen und
betont, es gebe nur eine pausierte Lieferung aus den USA an Israel. Dabei geht
es um die Lieferung bestimmter Bomben, die vorerst aufgehalten wurde, weil die
US-Regierung Bedenken hat, dass sie in einem dicht besiedelten Gebiet wie Rafah
im Süden Gazas eingesetzt werden könnten.

Ungeachtet der Verstimmung traf Blinken am Donnerstag mit dem israelischen
nationalen Sicherheitsberater Tzachi Hanegbi und dem Minister für strategische
Angelegenheiten, Ron Dermer, in Washington zusammen, wie ein Sprecher des
US-Außenministeriums mitteilte. Blinken habe dabei das unbedingte Engagement der
USA für die Sicherheit Israels bekräftigt, hieß es. Zugleich habe er die
Notwendigkeit betont, weitere Schritte zu unternehmen, um die humanitäre Hilfe
im Gazastreifen zu verstärken sowie Pläne für die künftige Verwaltung und den
Wiederaufbau des Gebiets nach dem Krieg zu erstellen. Es sei zudem wichtig, eine
weitere Eskalation im Libanon zu vermeiden und eine diplomatische Lösung zu
finden.

Netanjahu auch im eigenen Land zunehmend unter Druck

Zuvor hatte auch Israels Armeesprecher Daniel Hagari mit Nachdruck eine
politische Vision für die Zukunft des Gazastreifens gefordert. "Die Hamas ist
eine Idee, sie ist eine Partei. Sie ist in den Herzen der Menschen verwurzelt.
Wer glaubt, wir könnten die Hamas ausschalten, irrt sich", sagte Hagari am
Mittwochabend dem israelischen Sender Channel 13. Es müsse eine Alternative für
die Hamas auf politischer Ebene gefunden werden, um sie im Gazastreifen zu
ersetzen. Ansonsten werde die islamistische Terrororganisation weiterbestehen.
Über die Zerstörung der Hamas zu reden, führe die Öffentlichkeit in die Irre.

Mit seinen Aussagen weckte Hagari Zweifel am erklärten Kriegsziel der
Regierung von Netanjahu: Die Herrschaft der Hamas im Gazastreifen zu beenden
sowie ihre militärischen Fähigkeiten zu zerstören. Das Büro des
Ministerpräsidenten wies die Äußerungen des Armeesprechers zurück. Die Armee sei
"dem natürlich verpflichtet", hieß in einer Mitteilung. Unterdessen gingen am
Donnerstagabend in Israel erneut Tausende Menschen aus Protest gegen die
Regierung von Netanjahu auf die Straße. Die größte Kundgebung fand israelischen
Medien zufolge vor einem Privathaus Netanjahus in der Stadt Caesarea statt.

Erneut Proteste gegen Israels Regierung

Die Demonstranten forderten wieder Neuwahlen und die Freilassung der im
Gazastreifen noch festgehaltenen Geiseln. Auch in Jerusalem versammelten sich
Medienberichten zufolge Hunderte Menschen zu einer Kundgebung. Seit Monaten gibt
es in Israel immer wieder scharfe Proteste gegen die Regierung. Die
Demonstranten werfen Netanjahu vor, sich den Forderungen seiner extremistischen
Koalitionspartner zu beugen und deshalb auch einen Deal zur Freilassung der von
der Hamas festgehaltenen Geiseln zu hintertreiben. Einige Minister sind gegen
ein Abkommen mit den Islamisten, da es auch eine Waffenruhe und die Entlassung
palästinensischer Häftlinge aus israelischen Gefängnissen vorsehen würde.

Seit Monaten laufen Bemühungen der Vermittler USA, Katar und Ägypten, Israel zu einer Waffenruhe und die Hamas zur Freilassung der noch rund 120 aus Israel
verschleppten Menschen zu bewegen - bislang ohne Erfolg. Das "Wall Street
Journal" hatte jüngst berichtet, dass die Zahl der noch lebenden Entführten bei
nur etwa 50 liegen könnte.

US-Anlegestelle am Strand von Gaza wieder in Betrieb

Derweil ging nach mehrtägiger Pause der vom US-Militär errichtete
provisorische Pier vor der Küste des Gazastreifens wieder in Betrieb. Das
zuständige Regionalkommando(Centcom) habe die Anlegestelle am Mittwoch erneut am
Strand verankert, sagte Pentagon-Sprecher Pat Ryder am Donnerstag. Der Transfer
von Hilfsgütern von Zypern sei wieder aufgenommen worden. Ende vergangener Woche
hatte das US-Militär mitgeteilt, dass der Pier wegen rauen Seegangs
vorübergehend an Israels Küste geschleppt werden musste. Auch die Verteilung der
Hilfe erwies sich als schwierig. Ryder betonte, es gebe kein Enddatum für das
Projekt./ln/DP/stk

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