21.06.2024 06:14:32 - dpa-AFX: POLITIK/Vorschläge zu Asylverfahren in Drittstaaten im Dezember

BERLIN (dpa-AFX) - Die Bundesregierung will die Machbarkeit von
Asylverfahren in Ländern außerhalb der Europäischen Union prüfen und bis zum
Dezember Ergebnisse vorlegen. Das sagte Kanzler Olaf Scholz (SPD) den
Ministerpräsidenten der Länder am Donnerstag nach mehrstündigen Beratungen in
Berlin zu. Es sei "fest vereinbart" worden, dass die Bundesregierung dazu
inhaltliche Vorschläge mache, erklärte der SPD-Politiker. "Wenn wir das nächste
Mal mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten zusammenkommen, wird
das der Fall sein." Die nächste reguläre Sitzung ist für den 12. Dezember
geplant.

Gleichzeitig dämpfte Scholz die Erwartungen an eine Drittstaaten-Regelung
und schätzte, dass die Zahl der Asylbewerber in Deutschland dadurch nur um
wenige Tausend gesenkt würde. Die Ministerpräsidenten der Länder hatten Scholz
vorher aufgefordert, "konkrete Modelle" für Asylverfahren in sogenannten
Drittstaaten oder Transitländern vorzulegen.

Ruanda und Albanien: Zwei Modelle gibt es schon

Die Union dringt seit langem auf eine Regelung, nach der Migranten entweder
schon auf ihrem Weg nach Europa in Transitstaaten Asylverfahren durchlaufen oder
nach Ankunft in Deutschland in Drittstaaten außerhalb der EU geschickt werden.
Italien hat ein solches Modell mit Albanien für Bootsflüchtlinge vereinbart, die
im Mittelmeer aufgegriffen werden. Großbritannien will Asylbewerber nach Ruanda
bringen, die dann auch dort bleiben sollen, wenn ihnen bei der Prüfung ein
Schutzstatus gewährt wird.

Scholz sieht beide Modelle skeptisch. Ein Modell wie von Italien vorgesehen
komme angesichts der anderen geografischen Lage für Deutschlands so nicht
infrage. Das Gleiche gelte für das britische Modell. Bei diesen Ländern gehe es
außerdem nur um 3000 beziehungsweise 6000 Betroffene. Mit der Größenordnung, die
Deutschland bewältigen müsse, habe das "nur ein bisschen was zu tun".

Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte auf Bitten der Länder zu den
rechtlichen und praktischen Voraussetzungen Stellungnahmen von Experten
eingeholt, die am Donnerstag mit den Ministerpräsidenten diskutiert wurden. Im
gemeinsamen Beschlusspapier des Bund-Länder-Gipfels heißt es nun vorsichtig:
"Die Bundesregierung wertet nun die im Nachgang eingereichten Stellungnahmen der
Sachverständigen aus und wird hieraus Schlussfolgerungen ziehen."

Rhein: "So schnell wie möglich und so viel wie möglich"

Der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Hessens Regierungschef
Boris Rhein (CDU), wertete den Beschluss trotzdem als "Meilenstein" auf dem Weg
zu einem praktikablen Modell. "Wir werden jetzt nicht bei Gutachten
stehenbleiben, das begrüße ich sehr." Auf die Frage, in welchem Umfang und wann
er hier Entlastung erwartet, sagte Rhein: "So schnell wie möglich und so viel
wie möglich."

Die SPD-Länder zeigten sich wie Scholz skeptisch, dass man mit einer solchen Regelung die irreguläre Einwanderung deutlich bremsen kann. "Dass das eine
Lösung unserer strukturellen Probleme sein wird, das glaube ich nicht", sagte
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil. Die rot-rot-grünen Regierungen
Thüringens und Bremens distanzierten sich in einer Protokollerklärung sogar
deutlich. Die gemeinsame europäische Asylpolitik müsse die Rechtsstaatlichkeit
der Verfahren und Humanität sicherstellen, heißt es darin. "Die Verlagerung von
Asylverfahren in Transit- und Drittstaaten entspricht diesen Anforderungen
nicht." Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) sprach von einer
"Scheinlösung".

Bayern und Sachsen (beide unionsregiert) gingen dagegen die Beschlüsse nicht weit genug. Sie legten einen Fünf-Punkte-Plan vor, der unter anderem die
Forderung nach einem "Sofort-Arrest" für ausreisepflichtige Straftäter und
Gefährder enthält, die nicht abgeschoben werden können.

Bezahlkarte: Nicht mehr als 50 Euro Bargeld im Monat

Bei der geplanten Bezahlkarte für Asylbewerber einigten sich die Länder
untereinander darauf, die Auszahlung von Bargeld auf 50 Euro pro Monat zu
begrenzen. Rhein sprach von einem wichtigen Zeichen. Die Bezahlkarte solle ab
dem Sommer an den Start gehen, wenn die Ausschreibung für den Dienstleister
beendet sein wird. 14 von 16 Bundesländern hatten sich Ende Januar auf ein
gemeinsames Vergabeverfahren für die Bezahlkarte geeinigt. Bayern und
Mecklenburg-Vorpommern gehen eigene Wege. Bremen und Thüringen schlugen
allerdings in einer Protokollerklärung statt monatlich 50 Euro bar einen
"Bargeldkorridor von 50 bis 120 Euro" wegen unterschiedlicher regionaler
Voraussetzungen vor. Rheinland-Pfalz wandte sich vor diesem Hintergrund gegen
"eine starre Festlegung" auf 50 Euro.

Grenzkontrollen stoßen bei Ministerpräsidenten auf Zustimmung

Die Länderchefs begrüßten die im Oktober eingeführten zusätzlichen
Kontrollen an der Grenze zu Tschechien, Polen und der Schweiz. In dem
gemeinsamen Beschluss mit dem Bund heißt es, die Bundespolizei nutze die
Binnengrenzkontrollen schon jetzt dazu, Flüchtlinge, die aus einem anderen
EU-Mitgliedstaat einreisten, entsprechend den rechtlichen Möglichkeiten
zurückzuweisen. Der Bundeskanzler und die Regierungschefinnen und
Regierungschefs seien der Auffassung, dass die EU-Rückführungsrichtlinie bei
einer Neufassung so abgefasst werden sollte, dass Zurückweisungen weiter "in
einer praktikablen Weise erfolgen können".

Einigkeit bei Abschiebung nach Afghanistan und Syrien

Einigkeit gab es bei der geplanten Abschiebungen von Schwerkriminellen nach
Syrien und Afghanistan. Die Länder begrüßten die entsprechende Ankündigung von
Scholz als Reaktion auf die tödliche Messerattacke eines Afghanen in Mannheim.
"Bei einer konkreten Umsetzung wird ein enges Zusammenwirken zwischen Bund und
Ländern erforderlich sein", heißt es im Beschlusspapier. Es bleibt aber
weiterhin offen, wie die Bundesregierung die Abschiebungen praktisch hinbekommen
will. Im Fall von Afghanistan geht das nur über Verhandlungen mit der
Taliban-Regierung oder Vereinbarungen mit den Nachbarländern.

Keine Einigung zwischen Bund und Ländern zu Pflichtversicherung

Der Forderung der Länder nach einer bundesweit geltenden Pflichtversicherung gegen Hochwasser- und andere Elementarschäden gab die Bundesregierung
unterdessen nicht nach. "Die aus dem Länderkreis geforderte Pflichtversicherung
würde das Wohnen in Deutschland teurer machen, eine große Bürokratie nach sich
ziehen und den Staat nicht aus der finanziellen Haftung nehmen", begründete der
federführend zuständige Bundesjustizminister, Marco Buschmann (FDP), am
Donnerstagabend die ablehnende Haltung der Regierung. Es solle weitere Gespräche
geben. Nach den Vorstellungen der Länder sollen die Unternehmen jedem
Hauseigentümer, der sich gegen Elementarschäden versichern will, einen Vertrag
anbieten müssen. Bisher finden Hausbesitzer für Gebäude in stark
hochwassergefährdeten Gebieten teils keine Versicherung, die das hohe Risiko
übernehmen will. Nur etwa die Hälfte der privaten Gebäude in Deutschland ist
elementarversichert.

Scholz sieht Fortschritte: "Wir machen Deutschland schneller"

Fortschritte sah Scholz in der Zusammenarbeit von Bund und Ländern für
schnellere Genehmigungsverfahren. Inzwischen seien 80 Prozent der Vorhaben aus
dem Deutschlandpakt für Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung umgesetzt oder
in Umsetzung, sagte er nach dem Treffen. "Wir machen Deutschland
schneller"./mfi/DP/stk

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