21.05.2024 16:32:11 - dpa-AFX: POLITIK/ROUNDUP 2: Zweiter 'Reichsbürger'-Prozess um Umsturzpläne hat begonnen

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FRANKFURT (dpa-AFX) - Militärischer Gruß, Umarmungen und ein zäher Start:
Unter enormen Sicherheitsvorkehrungen hat am Dienstag in Frankfurt am Main der
"Reichsbürger"-Prozess um Heinrich XIII. Prinz Reuß begonnen. Die neun
Angeklagten - darunter Ex-Militärs, ein Adeliger und eine ehemalige
Bundestagsabgeordnete - wirken alles andere als eingeschüchtert. Es wird
gelacht, getuschelt, mit Verteidigern umarmt und der militärische Gruß zu
mutmaßlich Gleichgesinnten gezeigt. Was zum Auftakt dann allerdings erst einmal
folgt: langwierige Anträge der Verteidiger, Gerichtsberatungen und Pausen.

Der Prozess vor dem Oberlandesgericht startet mit rund einer
Dreiviertelstunde Verspätung in der eigens für das Verfahren errichteten
Metall-Leichtbauhalle am Rand der Stadt. Eine Gerichtssprecherin weist
Medienvertreter darauf hin, dass einige Anwälte noch mit ihren Mandanten
sprechen wollten, "an uns, dem Oberlandesgericht, lag es nicht". Rund 20 Anwälte
zählt der Vorsitzende Richter Jürgen Bonk - mehrere fehlen unangekündigt. Einige
der Anwesenden stellen dann zahlreiche Anträge, die das Gericht nach
Beratungspausen größtenteils ablehnt. Denn zunächst solle die Anklageschrift
verlesen werden.

617 Seiten umfasst diese, in der Verhandlung wird allerdings nur ein
Anklagesatz von 65 Seiten vorgetragen. Mehr als zwei Stunden erläutert die
Bundesanwaltschaft ihre Anklagepunkte. Sie wirft den neun Männer und Frauen vor,
Mitglieder in einer terroristischen Vereinigung gewesen zu sein beziehungsweise
diese unterstützt zu haben. Prinz Reuß habe dabei als ein Rädelsführer agiert,
sagte der Vertreter der Bundesanwaltschaft, Tobias Engelstetter, in seinem
Vortrag.

Die terroristische Vereinigung sei Ende Juli 2021 gegründet worden. Eine
bewaffnete Gruppe habe in das Reichstagsgebäude in Berlin eindringen und
Bundestagsabgeordnete sowie Mitglieder der Bundesregierung festnehmen sollen.
Die Anklage lautet teilweise auch auf die Planung eines hochverräterischen
Unternehmens. Auch der Verstoß gegen das Waffengesetz zählt zu den Vorwürfen
gegen einen Teil der Angeklagten.

Eigene Staatsform bereits ausgearbeitet

Konkret heißt es in der Anklage, die Gruppe habe es sich zum Ziel gesetzt,
"die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland gewaltsam zu beseitigen und
durch eine eigene, bereits in Grundzügen ausgearbeitete Staatsform zu ersetzen".
Die Angeklagten seien durch Verschwörungstheorien und Narrative von
"Reichsbürgern" miteinander verbunden gewesen. Prinz Reuß habe sich mit den
Plänen auch an Vertreter Russlands gewandt.

Die Bundesanwaltschaft gibt auch Einblicke, wie ein solcher Staat nach
Auffassung der Gruppe aussehen solle. An der Spitze solle ein Adliger stehen, in
Person von Prinz Reuß. Für den Bereich Justiz war die ehemalige
Bundestagsabgeordnete der AfD und Berliner Ex-Richterin Birgit Malsack-Winkemann
vorgesehen. Auch weitere Ressorts waren schon mit Personal besetzt.

Nach der geplanten Machtübernahme sollten nach Willen der Gruppe auch die
Behörden umstrukturiert werden. Laut Anklage sollten beispielsweise Beamte
entlassen werden, die sich freiwillig mit einem mRNA-Impfstoff gegen Corona
impfen ließen.

Schießtraining veranstaltet

Immer wieder geht es am Dienstag im Gerichtssaal um den geplanten
bewaffneten Übergriff auf das Reichstagsgebäude. Dafür habe Malsack-Winkemann
weitere Mitglieder durch die Liegenschaften des Bundestags geführt, dabei seien
Fotos mit dem Smartphone gemacht worden. Zur Vorbereitung sei auch ein
Schießtraining veranstaltet worden.

Nach Angaben der Bundesanwaltschaft hatte die Gruppe Zugriff auf ein
massives Waffenarsenal, bestehend aus rund 380 Schusswaffen, beinahe 350 Hieb-
und Stichwaffen und fast 500 weiteren Waffen- sowie mindestens 148 000
Munitionsteilen. Zudem verfügten sie für ihre Umsturzpläne über etwa eine halbe
Million Euro. Wiederholt wurde laut Bundesanwaltschaft militärisches Personal
rekrutiert. Als Spitze des sogenannten militärischen Arms ist Rüdiger von
Pescatore angeklagt, neben Reuß laut Anklage der zweite Rädelsführer.

Die sogenannten Reichsbürger in Deutschland behaupten, dass das Deutsche
Reich (1871-1945) weiter existiert. Die Bundesrepublik und ihre Gesetze erkennen
sie nicht an. Für die Angeklagten gilt bis zu einem etwaigen Urteil die
Unschuldsvermutung. Die Anwälte von Reuß erklären am Rande des Prozesses
mehrfach vor Journalisten, ihr Mandant sei kein Rädelsführer einer
terroristischen Vereinigung gewesen. Dies wolle er auch in dem Verfahren
darlegen. Die Verteidiger kritisieren zudem, dass das Verfahren auf drei
Standorte aufgeteilt wurde.

Insgesamt drei Prozesse

Das Verfahren ist das zweite von insgesamt drei Mammutprozessen gegen die
Gruppe: Ende April hatte in Stuttgart der Prozess gegen mutmaßliche Vertreter
des militärischen Arms begonnen. In München stehen ab dem 18. Juni die übrigen
mutmaßlichen Mitglieder der Gruppe vor Gericht. Die Verschwörungspläne waren
nach einer großangelegten Anti-Terror-Razzia im Dezember 2022 bekannt geworden.

Schon die Zahlen zum Prozess in Frankfurt sind eindrücklich: Neben den neun
Angeklagten sind fünf Richter, zwei Ergänzungsrichter und 25 Verteidiger im
Prozess dabei. Rund 260 Zeugen sollen geladen werden. Die Dokumente zum Prozess
sind laut dem Gericht in 801 Stehordnern abgelegt. Es wird mit einer langen
Prozessdauer gerechnet, Termine sind bis ins kommende Jahr hinein festgelegt
worden.

Den Angeklagten drohen laut Gericht bis zu zehn Jahre Haft, wenn sie in
einem Anklagepunkt schuldig gesprochen werden. Im Falle mehrerer Schuldsprüche
und einer Gesamtstrafe wären es maximal 15 Jahre Haft./isa/DP/ngu

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