26.04.2024 15:12:24 - dpa-AFX: ROUNDUP 3: Kretinsky-Firma steigt in Thyssenkrupp-Stahlsparte ein - Kurssprung

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ESSEN (dpa-AFX) - Deutschlands größter Stahlhersteller Thyssenkrupp Steel
bekommt ein Energieunternehmen als Miteigentümer. Der tschechische Milliardär
Daniel Kretinsky übernimmt mit seiner Holding EPCG zunächst 20 Prozent der
Stahlsparte des Industriekonzerns Thyssenkrupp. Über die Übernahme von weiteren
30 Prozent wird verhandelt. Ziel sei weiter die Bildung eines
Gemeinschaftsunternehmens, an dem beide Partner je 50 Prozent halten, teilte
Thyssenkrupp am Freitag in Essen mit. Arbeitnehmervertreter äußerten sich
kritisch und forderten die Einhaltung von Tarifverträgen.

Der Anteilsverkauf kommt nicht unerwartet: Thyssenkrupp hatte die
Verhandlungen mit Kretinsky über einen Einstieg ins Stahlgeschäft schon Ende
November öffentlich gemacht.

Am Finanzmarkt starteten die Aktien nach der sich abzeichnenden Lösung eine
Erholungsrally, zwischenzeit lag der Kurs zweistellig im Plus. Am frühen
Nachmittag zogen die Titel im freundlichen MDax neun Prozent an.
Analyst Moses Ola von der US-Bank JPMorgan sprach von einem ersten Schritt für
das angestrebte gleichberechtigte Joint Venture. Die damit verbundene,
vollständige unternehmerische Eigenständigkeit des Bereichs wäre der beste Weg
für Thyssenkrupp, dessen Wert zu heben, die eigene Bilanz zu stärken und den
Abfluss von Barmitteln zu stoppen.

Christian Obst von der Baader Bank sieht noch viele Fragen unbeantwortet.
Sollten nach den massiven Abschreibungen im Schlussquartal 2023 nun keine neuen
dazukommen, dürfte der Konzern von Kretinsky 350 bis 400 Millionen Euro für die
Veräußerung des 20-Prozent-Anteils erhalten. Indes steige jetzt der Druck,
zusammen mit dem neuen Partner eine langfristige Strategie zu definieren.

"Gemeinsam wollen wir ein leistungsstarkes, profitables und
zukunftsorientiertes Stahlunternehmen schaffen", sagte
Thyssenkrupp-Vorstandschef Miguel López. Das Unternehmen werde die Kosten der
Dekarbonisierung auf ein wettbewerbsfähigeres Niveau senken und so die grüne
Transformation der Stahlindustrie auf dem Weg zur CO2-Neutralität beschleunigen.
"Ein starker Energiepartner wie die EP Corporate Group ist dafür essenziell."

Thyssenkrupp verwies auf den stark steigenden Energiebedarf bei der
Umstellung auf klimafreundlichere Herstellungsverfahren. EPCG soll laut der
Mitteilung als strategischer Partner seine Kompetenzen einbringen, um eine
ausreichende Versorgung mit Energie in Form von Wasserstoff, Grünstrom sowie der
Bereitstellung von anderen Energierohstoffen zu gewährleisten. Das in neun
europäischen Märkten aktive Unternehmen bringe als Energiehändler, -versorger
und -lieferant umfangreiche Branchenkenntnisse mit.

Neue Anlage kostet drei Milliarden Euro

Im März hat Thyssenkrupp begonnen, in Duisburg eine wasserstofffähige
sogenannte Direktreduktionsanlage ("DRI-Anlage") zu bauen, die einen Hochofen
ersetzen soll. Bei dem Herstellungsverfahren werden deutlich weniger
Treibhausgase freigesetzt als in Hochöfen. Die neue Anlage kostet rund drei
Milliarden Euro, zwei davon übernehmen Bund und Land. Das Projekt trägt die
Bezeichnung "tkH2Steel".

Der 48 Jahre alte Kretinsky zählt seit Jahren zu den reichsten Menschen in
Tschechien. Sein Imperium umfasst die Branchen Energie, Industrie, Handel,
Finanzen und Medien. Unter anderem gehören ihm in Ostdeutschland ganz oder in
Teilen die Braunkohlekonzerne Mibrag und Leag, die künftig verstärkt
klimaneutral erzeugten Strom aus erneuerbaren Energien erzeugen wollen. Auch der
größte Stromproduzent der Slowakei, Slovenske elektrarny, gehört zu seinem
Firmenkonglomerat. Kretinsky ist auch größter Anteilseigner des Großhändlers
Metro.

Die Übernahme des Steel-Anteils soll noch im laufenden Geschäftsjahr 2023/24 erfolgen, das am 30. September endet. Behörden und Aufsichtsrat von Thyssenkrupp
müssen noch zustimmen. Auf die bestehenden Betriebsvereinbarungen und
Tarifverträge habe die Transaktion keinen Einfluss, betonte das Unternehmen.
"Wir stehen zu unserem Wort", sagte López vor Journalisten.

Wie das "Handelsblatt" am Freitag berichtete, sehen die Konditionen vor,
dass Kretinsky nach einem halben Jahr wieder aus dem Deal aussteigen könne,
sollte er mit dem weiteren Verlauf des Konzerns unzufrieden sein - und zwar zum
gleichen Preis. Dafür müssten bestimmte Kriterien zutreffen. Der Kaufpreis für
die 20 Prozent liege im niedrigen dreistelligen Millionenbereich, heiße es von
mit dem Vorgang vertrauten Personen - und somit unter dem Buchwert, schreibt das
Blatt. Zum Kaufpreis wollte sich López in der Telefonkonferenz nicht äußern, zum
Thema Ausstiegsklausel sagte er nur, dass es "Regelungen" gebe.

Im vergangenen Geschäftsjahr musste Thyssenkrupp Milliarden auf das
Stahlgeschäft abschreiben, das unter einer schwachen Nachfrage sowie gesunkenen
Preisen, gepaart mit höheren Kosten leidet. Thyssenkrupp hatte vor Kurzem den
Abbau von Kapazitäten am Standort Duisburg angekündigt, der auch zu einem
weiteren Stellenabbau führen wird. An den Plänen für die geplante Neuaufstellung
wird EPCG laut López bereits mitwirken.

In der Sparte des Thyssenkrupp-Konzerns arbeiten rund 27 000 Menschen, davon 13 000 in Duisburg. Fast alle Standorte liegen in Nordrhein-Westfalen. López
bekräftigte am Freitag das Ziel einer "wirtschaftlichen Selbstständigkeit" der
Stahlsparte.

Arbeitnehmervertreter von Thyssenkrupp äußerten sich kritisch zum geplanten
Einstieg. Die Nachricht komme überraschend, sagte der stellvertretende
Aufsichtsratsvorsitzende des Mutterkonzerns Thyssenkrupp, Jürgen Kerner, laut
einer Mitteilung. "Die Mitbestimmung hat nur wenige Stunden vor der
Öffentlichkeit von der Entscheidung erfahren. Das ist kein guter Stil und kein
guter Start." Kerner ist auch stellvertretender IG-Metall-Vorsitzender.

Die Arbeitnehmerseite habe sich nie prinzipiell gegen einen Investor
ausgesprochen. "Aber wir erwarten Beteiligung der Mitbestimmung auf Augenhöhe
und verbindliche Zusagen", forderte Kerner. Nötig sei jetzt ein tragfähiges
Zukunftskonzept für den weiteren Umbau Richtung grünen Stahl.

Die Krupp-Stiftung begrüßte den Einstieg von EPCG. Als größte
Anteilseignerin der Thyssenkrupp AG unterstütze man Entscheidungen, die zur
zukunftsfähigen Entwicklung des Unternehmens beitrügen. "Die Stiftung hat großes
Vertrauen in den Vorstand um Miguel López und ist weiterhin von dem Potenzial
des Unternehmens überzeugt, wieder wettbewerbs- und dividendenfähig zu
werden."/tob/DP/nas
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THYSSENKRUPP AG O.N. 750000 Frankfurt 4,977 06.05.24 20:08:59 +0,129 +2,66% 0,000 0,000 4,822 4,848

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