26.04.2024 13:52:55 - dpa-AFX: VERMISCHTES: Filme gegen das Schweigen - Michael Verhoeven ist tot

MÜNCHEN (dpa-AFX) - Manchmal gibt es im Leben diese Glücksmomente, in denen
sich alles fügt. Für Senta Berger und Michael Verhoeven müssen es die
Dreharbeiten zur Komödie "Jack und Jenny" im Jahr 1963 gewesen sein. Denn aus
der gemeinsamen Schauspielerei am Filmset - samt Kuss-Szene - erwuchs eine tiefe
Liebe, die mehr als 60 Jahre dauern sollte. Umso schwerer muss nun der Abschied
fallen. Bereits am Montag ist Michael Verhoeven nach kurzer, schwerer Krankheit
gestorben, wie die Familie des Filmemachers der Deutschen Presse-Agentur in
München mitteilte.

"Eine Welt ist verloren gegangen. Es ist unvorstellbar schmerzhaft", sagte
der Regisseur Simon Verhoeven. In wenigen Wochen, am 13. Juli, wäre der
charmante Regisseur, Produzent und Schauspieler mit der großen Neugier aufs
Leben und andere Menschen 86 Jahre alt geworden. Eine lange Zeit - und doch
wieder nicht, wie es Verhoeven vergangenen Sommer anlässlich seines runden
Geburtstages empfand. "Wie kurz doch 85 Jahre sind und wie reich und voll mein
Leben war und ist", sagte er damals.

Keine Angst vor Kontroversen

In der Tat zählte der gebürtige Berliner zu den Menschen, die unermüdlich
sind, auch weil sie für ihre Sache brennen. Bei Verhoeven waren es ein
kritischer Geist und ein wacher Verstand, die ihn befeuerten und oft
Filmprojekte angehen ließen, die schwierig, bedrückend und gern auch kontrovers
waren. So etwa sein Antikriegsdrama "O.K." über die Vergewaltigung eines
Mädchens durch US-Soldaten in Vietnam. 1970 löste der Film heftige Kontroversen
aus, die Filmfestspiele in Berlin wurden abgebrochen. Den Bundesfilmpreis bekam
er dennoch.

Nationalsozialismus als großes Thema

Immer wieder befasste sich der Filmemacher mit dem Deutschland der
Nazi-Zeit. Sein eigener Vater, der Schauspieler und Regisseur Paul Verhoeven,
hatte während des Nationalsozialismus Unterhaltungsfilme gedreht. "Das war für
meinen Vater ein Problem, er hat nur darin keine Schuld gesehen. Vielmehr sah er
darin ein großes Glück, dass er Komödien und Musikfilme machen konnte, während
andere die Aufgabe hatten, Durchhaltefilme zu machen", sagte Michael Verhoeven
einmal dem Deutschlandfunk.

Trotzdem setzte die Familie auf Offenheit. "Meine Eltern waren sehr wach und auch sehr kritisch, bei uns wurde alles bei Tisch besprochen", beschrieb
Verhoeven es mal. Anders in der Schule: "Im Geschichtsunterricht wurde alles
verschwiegen. 1957 habe ich Abitur gemacht und wir haben das Dritte Reich nicht
erreicht, wir haben mit der Weimarer Republik aufgehört."

Dieses Schweigen wollte Verhoeven brechen, etwa mit dem Kinofilm "Die weiße
Rose" von 1982 über Sophie Scholl und die Widerstandsgruppe gegen die Nazis.
"Ich wollte diesen Blick auf die deutsche Geschichte und ich hatte das
Bedürfnis, dass das nicht nur in den Büchern bleibt", erklärte der Regisseur.
1990 folgte die mit vielen Preisen bedachte Satire "Das schreckliche Mädchen"
über den Versuch, NS-Verbrechen zu vertuschen, die auch international Aufsehen
erregte und sogar für den Oscar nominiert wurde.

Medizin oder Schauspiel?

Verhoeven wurde eine wichtige Stimme des deutschen Films - die aber fast
nicht zu Gehör gekommen wäre. Denn zum Entsetzen seines Vaters begann er als
junger Mann ein Medizinstudium. "Wie kann man, wenn man als Schauspieler Chancen
hat und gewollt ist, Arzt werden wollen? Das ist doch ein totaler Missgriff",
beschrieb Verhoeven dessen Reaktion.

Doch die Sorge war unbegründet. Der Sohn wurde zwar Arzt, machte aber auch
als Schauspieler weiter, später als Regisseur und Produzent. Und so kam es zu
jenem Dreh 1963. Er kannte Senta Berger, hatte sie bereits bei der Berlinale
1960 getroffen. Nun sah er die Kollegin wieder, die gerade im Begriff war, in
Hollywood durchzustarten. Und diese temperamentvolle, attraktive Frau sollte er
küssen, vor dem Filmteam? "Sie hat mir gefallen, und deshalb konnte ich sie
nicht küssen", gab Verhoeven zu. Doch es musste sein und beiden wurde klar:
"Dann waren wir ein Paar."

Familienglück mit Liebe ohne Skandale

Verhoeven folgte Berger in die USA und arbeitete einige Zeit als Arzt in
Boston. Irgendwann zog es beide zurück nach München, wo die Söhne Simon und Luca
geboren wurden. Auch beruflich tat sich das Paar zusammen und gründete die
Sentana Filmproduktion, die unter anderem die ZDF-Unterhaltungsserie "Die
schnelle Gerdi" produzierte, mit Senta Berger als Münchner Taxifahrerin.

Keine Skandale und auch sonst immer nur ein Himmel voller Geigen? Nicht
ganz, wie Senta Berger mal klarstellte: "Der Alltag nagt an jedem Paar,
lächerliche Kleinigkeiten kommen immer wieder zur Sprache, obwohl man weiß, man
kann den anderen nicht ändern". Die Grundfesten der Beziehung erschütterte das
aber nicht. "Wir haben uns gefunden. Es scheint, wir waren füreinander
bestimmt", zeigte sich Berger sicher.

Eine offene, herzliche Atmosphäre mit guter Streitkultur herrschte daheim in Grünwald, so scheint es. Das legen auch die Abschiedsworte Simon Verhoevens an
den Vater nahe: "Er war unser Held, ohne jemals ein Held sein zu wollen. Meine
Mutter und er sind über 60 Jahre lang ihren Weg gemeinsam gegangen. Er war ihr
ganzes Glück und sie seins."/cor/DP/jha

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