26.04.2024 12:19:02 - dpa-AFX: ROUNDUP: Union sieht weiter Aufklärungsbedarf zu Beratungen vor Atomausstieg

BERLIN (dpa-AFX) - Die Unionsfraktion im Bundestag dringt auch nach den
Anhörungen von Wirtschaftsminister Robert Habeck und Umweltministerin Steffi
Lemke (beide Grüne) in Sonder-Ausschusssitzungen weiter auf Aufklärung über die
Entscheidungsprozesse beim Atomausstieg. "Im Raum steht weiter die begründete
Annahme: Habecks Ministerium hat das Gegenteil dessen gemacht, was der Minister
öffentlich angekündigt hatte. Verdrehung von Fakten statt ergebnisoffener
Prüfung", sagte der Sprecher für Klimaschutz und Energie der Unionsfraktion,
Andreas Jung (CDU), der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.

Der fachpolitische Sprecher der CSU-Abgeordneten für Energie und
Nachhaltigkeit, Andreas Lenz, erklärte: "Es erhärtet sich der Verdacht, dass die
Entscheidung über den Kernkraftausstieg nicht offen erfolgte, sondern von
vornherein feststand. Dass getrickst und getäuscht wurde." Aus der
CDU/CSU-Fraktion hieß es, man warte jetzt auf die vollständigen Unterlagen.

FDP-Politiker findet Habecks Handeln erstmal logisch

Auslöser der Sondersitzungen war ein Bericht des Magazins "Cicero". Demnach
sollen sowohl im Wirtschafts- als auch im Umweltministerium im Frühjahr 2022
interne Bedenken zum damals noch für den folgenden Jahreswechsel geplanten
Atomausstieg unterdrückt worden sein. Beide Ministerien weisen das zurück.

Nach Angaben von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) haben er
selbst und sein Ministerium die Frage eines möglichen Weiterbetriebs der
deutschen Atomkraftwerke sehr frühzeitig von sich aus geprüft.

Der klimapolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Olaf in der Beek, zeigte sich zufrieden mit Habecks Erläuterungen. "Und ich möchte auch sagen, so wie der
Minister es heute dargestellt hat, ist es völlig logisch, wie er entschieden
hat", führte er aus. Im Moment sei Habeck kein Fehlverhalten nachzuweisen. Der
energiepolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Michael Kruse, kündigte eine
sorgfältige Prüfung in Aussicht gestellter Unterlagen an.

Habeck: Bin aktiv auf AKW-Betreiber zugegangen

"Und wenn die Abgeordneten die Unterlagen lesen, dann wird sich ein anderes
Bild darstellen", sagte Habeck. "Die Unterlagen erzählen eine andere Geschichte,
als es kolportiert wurde, nämlich dass das Ministerium und meine Person, und
zwar schon vor dem russischen Angriffskrieg, aktiv auf die Betreiber der
Atomkraftwerke zugegangen ist, mit der Frage: Können eure Dinger länger laufen?
Und hilft es uns was?"

Diese Beratungen hätten schon kurz vor dem russischen Angriff begonnen, als
dieser sich abzeichnete, sagte eine Sprecherin des Ministeriums auf Nachfrage.
Russland war zu diesem Zeitpunkt der wichtigste Gaslieferant Deutschlands. Im
Raum stand die Frage, was ein möglicher Wegfall dieser Lieferungen für die
deutsche Energiesicherheit bedeuten würde. Der lange geplante Atomausstieg
Deutschlands war damals für den Jahreswechsel 2022/23 geplant.

Die Auskunft der AKW-Betreiber sei im Frühjahr gewesen, dass die noch
vorhandenen Brennelemente der letzten drei deutschen Atomkraftwerke zum
Jahresende ausgebrannt wären, sagte Habeck. "Später im Laufe des Jahres wurde
diese Information korrigiert. Da hieß es dann, die können doch noch zwei, drei,
vier, fünf Monate länger laufen und entsprechend wurde dann auch noch einmal die
Laufzeit verlängert." Er versicherte: "Die Versorgungssicherheit hatte für mich
absolute Priorität und das ganze Haus hat ohne Denkverbote, allerdings natürlich
immer auf der Basis von Fakten, von Daten und auch von Rechtsnormen,
gearbeitet."

Das kontroverse Papier

Im Entwurf eines Vermerks hatten Fachleute des Wirtschaftsministeriums
Anfang März 2022 die Frage aufgeworfen, ob ein Weiterbetrieb nicht sinnvoll sein
könnte, Argumente dafür aufgeführt und eine Prüfung empfohlen. Dieses Papier
erreichte Habeck nach eigenen Angaben damals nicht. Es ging aber laut
Wirtschaftsministerium später in einen Prüfvermerk ein, in dem Wirtschafts- und
Umweltministerium sich gegen eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke
aussprachen. Später war der Betrieb von drei Atomkraftwerken zur Sicherung der
Stromversorgung doch noch bis Mitte April 2023 verlängert worden.

Die Sprecherin der Grünen-Fraktion für Klimaschutz und Energie, Ingrid
Nestle, sah die Vorwürfe mit der Sitzung "öffentlich, transparent und
vollständig ausgeräumt".

Union fordert weitere Antworten auch von Lemke

Auch Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) konnte in einer parallelen
Sondersitzung des Umweltausschusses nicht alle Bedenken der Union ausräumen.
"Die Antworten waren unzureichend", sagte der stellvertretende
Unions-Fraktionsvorsitzende Steffen Bilger (CDU). Er kündigte weitere Prüfungen
an.

Ursprünglich geht der deutsche Atomausstieg zurück auf die Entscheidung
einer schwarz-gelben Bundesregierung unter der damaligen Kanzlerin Angela Merkel
(CDU). Sie reagierte damit auf die Atomkatastrophe von Fukushima 2011. Statt wie
ursprünglich geplant zum Jahreswechsel 2022/23 wurden die letzten drei deutschen
Meiler schließlich am 15. April 2023 abgeschaltet.

Die Grünen hatten sich lange gegen eine solche Verlängerung gewehrt,
schließlich aber das von Habeck und den AKW-Betreibern im September 2022
vorgelegte Konzept einer vorübergehenden Einsatzreserve für zwei der drei
letzten deutschen Atomkraftwerke unterstützt. Die FDP war für eine längere
Laufzeit. Im Oktober 2022 sprach Kanzler Olaf Scholz (SPD) dann ein Machtwort
für den Weiterbetrieb aller drei Meiler bis zum Frühjahr./hrz/DP/jha

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