26.04.2024 07:04:41 - dpa-AFX: VERMISCHTES/ROUNDUP/Tierisches Bewusstsein: Schmerz, Spiel, Selbsterkenntnis

NEW YORK (dpa-AFX) - Haben Tiere ein Bewusstsein? Eine internationale
Koalition aus mehreren Dutzend Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sieht
zumindest eine "realistische Möglichkeit" dafür - und hat die "New Yorker
Erklärung zum Bewusstsein von Tieren" unterzeichnet. Deren Ziel ist, mehr
Forschung hierfür anzuregen und das Bewusstsein für Tierschutz zu stärken.

Die Verfasser der Erklärung konzentrieren sich in ihrem Verständnis von
Bewusstsein auf Empfindungsvermögen. "Hier geht es um die Frage, welche Tiere
subjektive Erfahrungen haben können", schreiben sie. Dazu könnten sensorische
Erlebnisse - etwa bei einer bestimmten Berührung oder beim Schmecken - gehören,
oder auch Erfahrungen, die sich gut oder schlecht anfühlen, wie bei Freude,
Schmerz und Angst.

Es gebe starke wissenschaftliche Hinweise darauf, dass Säugetiere und Vögel
bewusst empfinden, heißt es in der Erklärung. Empirische Belege deuteten zudem
darauf hin, dass es für alle Wirbeltiere sowie für viele wirbellose Tiere
zumindest eine realistische Möglichkeit bewusster Erfahrung gebe. Wenn diese
aber bestehe, "ist es unverantwortlich, diese Möglichkeit bei Entscheidungen,
die dieses Tier betreffen, zu ignorieren", schließt die Deklaration.

Die Erklärung enthalte keine spezifischen politischen Empfehlungen und unter den Unterzeichnenden gebe es ein breites Spektrum an Ansichten zu moralischen,
rechtlichen und politischen Fragen. "Einig ist man sich darin, dass die
Gewissheit über das Bewusstsein nicht Voraussetzung für die Abwägung von
Tierschutzrisiken sein sollte", heißt es. Wenn die realistische Möglichkeit
bestehe, dass ein Tier ein Bewusstsein habe - zum Beispiel, dass Kraken leiden
können - dann sollte diese Möglichkeit in politischen Kontexten berücksichtigt
werden. Also zum Beispiel bei Entscheidungen darüber, ob die Krakenzucht
unterstützt werden sollte.

Auf der Internetseite zu der Erklärung werden eine ganze Reihe von Studien
angeführt, welche Hinweise auf ein Bewusstsein von Tieren liefern:

* In einer 2020 im Fachjournal "Science" veröffentlichten Studie berichtete
ein Team der Universität Tübingen, dass Krähen darauf trainiert werden können,
zu berichten, was sie sehen. Den Vögeln wurde beigebracht, mithilfe ihrer
Kopfbewegungen zu vermelden, ob ihnen ein visueller Reiz gezeigt wurde oder
nicht.

* Oktopusse meiden Schmerzen und schätzen Schmerzlinderung: Zu diesem
Ergebnis kam eine 2021 in "iScience" veröffentlichte Studie. Im Experiment dafür
mieden die Kraken eine Kammer, in der sie eine Essigsäureinjektion bekommen
hatten. Erhielten die Tiere in dieser Kammer eine lokale Betäubung, entwickelten
sie aber eine Vorliebe dafür. "Bei einer Ratte oder einem Menschen würden wir
aus diesem Muster schließen, dass die Säureinjektion Schmerzen verursachte, die
durch das Lidocain gelindert wurden, so dass wir bereit sein sollten, die
gleichen Schlussfolgerungen für einen Oktopus zu ziehen", heißt es auf der Seite
der New Yorker Erklärung.

* Strumpfbandnattern scheinen sich in einer abgewandelten Form des
Spiegeltests selbst zu erkennen. Die Idee hinter dem Anfang der 1970er Jahre
entwickelten Spiegeltest ist, herauszufinden, ob das Testsubjekt über
Selbstwahrnehmung verfügt. Dafür wird ihm eine Markierung an einer Stelle des
Körpers angebracht, die es nur im Spiegel sehen kann, und dann das Verhalten
beobachtet: Erkundet das Testsubjekt die markierte Stelle am Körper vor dem
Spiegel oder versucht, sie abzureiben, gilt das als Beleg dafür, dass es sein
Spiegelbild als sich selbst erkannt hat. Da sich Schlangen in erster Linie auf
Gerüche verlassen, um sich in ihrer Umgebung zurechtzufinden, nutzte die 2024 im
Fachjournal "Proceedings B" der britischen Royal Society veröffentlichte Studie
Wattepads, die mit verschiedenen Gerüchen getränkt waren: dem Duft der Natter,
ihren eigenen Duft mit der Markierung eines anderes Duftes, den anderen Duft
allein, den Duft einer fremden Schlange und den Duft der fremden Schlange mit
einer Markierung. Tatsächlich untersuchten die Strumpfbandnattern ihren eigenen
markierten Duft länger als alle anderen, was darauf hindeute, dass die Tiere
ihre eigenen Gerüche erkennen und merken, wenn sich ihr Geruch verändert hat.

* In einer 2022 in "Animal Behaviour" erschienenen Studie beschrieb ein
Forschungsteam unter britischer Leitung, dass Hummeln spielerisches Verhalten an
den Tag legen. So rollten die Insekten in einem Versuch Holzkugeln auf eine Art
und Weise, die mit fünf Merkmalen des Spielens übereinstimmte. So hatte das
Rollen der Kugeln beispielsweise keinen offensichtlichen Zweck und trat
verstärkt zutage, wenn die Hummeln entspannt waren, was den Forschenden zufolge
darauf hindeutete, dass sie das Rollen angenehm fanden.

* Gleich drei Studien, die zwischen 2014 und 2017 in verschiedenen
Fachjournalen veröffentlicht wurden, zeigten zum einen, dass Flusskrebse
"angstähnliche" Zustände verspüren können - sei es in Situationen, in denen sie
Lichtreizen oder Elektroschocks ausgesetzt waren, oder aber nach Kämpfen mit
Artgenossen. Zum anderen reagierten die Tiere auf angstlindernde Medikamente und
legten derart behandelt beispielsweise ihre Scheu vor einem hell beleuchteten
Labyrinth ab.

* Gemeine Strandkrabben wägen gedächtnisabhängig ab, wenn sie vor einer
schwierigen Entscheidung stehen. Diesen Schluss zogen zumindest zwei Forscher
aus Großbritannien nach Experimenten mit den Tieren. Für eine 2024 in "Animals"
veröffentlichte Studie untersuchten sie, wie die Strandkrabben ihre Abneigung
gegen helles Licht gegen ihre Abneigung gegen Stromschläge abwägen. So suchten
die Tiere normalerweise einen Unterschlupf auf, um dem hellen Licht zu
entkommen, zogen das Licht aber vor, wenn sie in der Vergangenheit in diesem
Unterschlupf einen Schock erlitten hatten. Ihre Entscheidung hing den Forschern
zufolge davon ab, wie intensiv der Schock war und wie hell das Licht
ist./all/DP/mis

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