25.04.2024 14:59:33 - dpa-AFX: HINTERGRUND: Mangel an Ärzten und Pflegekräften droht zu wachsen - Was ist

BERLIN (dpa-AFX) - Patientinnen und Patienten werden in Deutschland künftig
voraussichtlich verstärkt ambulant und mit Video und Telefon versorgt, damit
sich die Personalnot im Gesundheitswesen nicht weiter verschärft. Heute werden
Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegekräfte nach einem neuen Gutachten des
Sachverständigenrats Gesundheit und Pflege oft ineffizient eingesetzt.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) warnte am Donnerstag in Berlin vor
einer Lücke von allein 50 000 Ärztinnen und Ärzten in den kommenden zehn Jahren.

Viele Ärzte und Pflegekräfte in Deutschland

Eigentlich habe Deutschland "relativ viele Fachkräfte in der Arbeit",
stellte der Ratsvorsitzende Michael Hallek fest. So gebe es hierzulande etwa 1,2
Millionen Menschen in der Krankenpflege, etwa 700 000 in der Altenpflege, etwa
700 000 medizinische Fachangestellte und ungefähr 500 000 Ärzte. Allerdings:
Mehr Patientinnen und Patienten als in anderen Industriestaaten werden in
Deutschland im Krankenhaus behandelt, wie das Gutachten hervorhebt.

Heute gilt oft stationär vor ambulant

So zähle die Zahl an Belegungstage im Krankenhaus in Deutschland zu den
höchsten in Europa - der Grund: hohe Fallzahlen und immer noch lange
Verweildauern in der Klinik. Dabei seien die medizinischen Ergebnisse in
Deutschland nicht besser, auch die Lebenserwartung liege nicht höher als
anderswo, sagte Hallek. Der hohe Stellenwert der stationären Versorgung in
Deutschland liegt laut Gutachten nicht nur an überdurchschnittlich vielen
Älteren mit mehreren Krankheiten, sondern auch daran, dass Kliniken "fehlende
Versorgungsmöglichkeiten in anderen Bereichen" ausgleichen. Lauterbach: "Jetzt
schon sind 5000 Hausarztpraxen nicht besetzt. Das wird deutlich zunehmend."

Ärztemangel - oder doch nicht?

Für das Fehlen von insgesamt zehntausenden Ärzte machte Lauterbach mangelnde Vorsorge verantwortlich. "Wir haben die letzten zehn Jahre ungefähr 5000
Medizinstudienplätze zu wenig gehabt -also pro Jahr." Durch eine zunehmende Zahl
von ausländischen Ärzten habe der Mangel bisher weitgehend kompensiert werden
können. Laut Bundesärztekammer erreichte die Zahl der Medizinerinnen und
Mediziner ohne deutsche Staatsangehörigkeit vergangenes Jahr mit knapp 64 000
eine neue Höchstmarke. Doch nun konkurriere Deutschland zunehmend mit anderen
Ländern, so Lauterbach. "Das wird so nicht weitergehen können." Hallek wollte
von einem "dramatischen Mangel" bei den Ärzten dagegen noch nicht sprechen, auch
der Zuspruch des Medizinstudiums sei hoch.

Lage droht sich zu verschärfen

Doch einig sind sich Lauterbach und das siebenköpfige Gutachtergremium in
dem grundsätzlichen Befund: Die Situation drohe sich insgesamt zu verschärfen.
"Wir haben mit einem erheblichen Fachkräftemangel zu rechnen, der derzeit noch
nicht ausreichend aufgearbeitet wurde", sagte der Minister. Laut den Gutachtern
dürfte der allgemeine Fachkräftemangel und das Älterwerden der Gesellschaft dazu
führen, dass es nicht mehr Pflegekräfte, Ärztinnen und Ärzte sowie andere
Angehörige von Gesundheitsberufen gibt, aber der Bedarf in der Bevölkerung an
Versorgung zunimmt. Lauterbach nannte die Zahl der benötigten Fachkräfte auch in
der Pflege viel größer als die Zahl der ausgebildeten Kräfte. Mit Blick auf die
Krankenhäuser sagte er: "Wir haben nicht die Ärzte und auch nicht das
Pflegepersonal, die 1720 Standorte am Netz zu halten."

Experten fordern Ende von Ressourcenverschwendung

"Wir verbrennen unheimlich viel Geld", kritisierte Hallek. Deutschland habe
eines der teuersten Gesundheitswesen der Welt, doch die Fachkräfte würden in die
Überlastung getrieben und Patienten oft nicht optimal versorgt. "Da kann man als
demokratischer Bürger nicht zufrieden sein", so der Kölner Medizinprofessor.
Eindringlich mahnte der Forscher: "Wir müssen beginnen, mit der
Ressourcenverschwendung aufzuhören." Patientinnen und Patienten sollten nach
Ansicht des Sachverständigenrats vor allem mehr ambulant statt stationär
versorgt werden. Der Hamburger Forscher Jonas Schreyögg identifizierte das Ziel
weniger Belegungstage in den Krankenhäusern als Schlüssel für Verbesserungen.
Sonst würden dort so viele Medizinerinnen und Mediziner sowie Pflegekräfte
gebraucht, dass sie insgesamt fehlten.

Was getan werden soll

Heute landet laut den Gutachtern jede und jeder zweite Patient einer
Notaufnahme am Ende stationär im Krankenhaus, international ist sehr viel. Da
trifft es sich, dass Lauterbach seine Notfallreform "noch vor der Sommerpause"
auf den Weg bringen will, wie er ankündigte. Sie sieht vor, dass Hilfesuchende
bereits am Telefon oder vor Ort im Krankenhaus verstärkt in eine nahe Praxis
geschickt werden. Die Notaufnahmen sollen künftig in neue Notfallzentren
aufgehen, zu denen auch ambulante Notdienstpraxen in der Nähe gehören sollen.

In der Pflege sollen laut dem SPD-Politiker gleich mehrere Gesetze helfen,
den Beruf attraktiver zu machen. Bei den Hausärzten solle unter anderem die
angekündigte Befreiung von strikten Budgets bei der Vergütung der Behandlungen
für eine Entlastung sorgen. Digitalisierung solle Ärztinnen und Ärzte sowie
Pflegekräfte landauf, landab Zeit sparen, die heute für Dokumentation draufgeht.
Telemedizin solle verstärkt zum Einsatz kommen. Vorbeugung vor Schlaganfällen
und Herzinfarkten solle stark ausgebaut werden. Und vor allem verwies Lauterbach
auf die geplante große Krankenhausreform: Standorte würden abgebaut, Versorgung
werde konzentriert./bw/DP/jha

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