24.04.2024 07:15:03 - dpa-AFX: ROUNDUP/Und er kommt doch noch: Sunaks später Antrittsbesuch in Berlin

LONDON/BERLIN (dpa-AFX) - Eigentlich hatte kaum noch jemand damit gerechnet,
dass Rishi Sunak doch noch seinen Antrittsbesuch in Berlin absolviert. Hinter
vorgehaltener Hand witzelten viele politische Beobachter in London angesichts
des Umfragetiefs von Sunaks Konservativen, der britische Premierminister sei ja
ohnehin nicht mehr lange im Amt, da lohne sich die Reise zu Bundeskanzler Olaf
Scholz (SPD) gar nicht mehr. Nun kommt Sunak doch noch nach Berlin - fast auf
den Tag genau anderthalb Jahre nach Amtsantritt. Nach einem Besuch in Warschau
wird er am Mittwochmittag vor dem Kanzleramt von Scholz mit militärischen Ehren
empfangen.

Sunak kommt mit Rückenwind durch Asyl-Beschluss nach Berlin

Zwar taumelt Sunaks Tory-Partei einer historischen Niederlage bei der
bevorstehenden Parlamentswahl entgegen, die noch vor Jahresende stattfinden
soll. Nach Berlin trägt ihn nun aber ein gewisser Rückenwind. In der Nacht zum
Dienstag billigte das Parlament nach langem Streit Sunaks umstrittenen Asylpakt
mit Ruanda: Asylsuchende, die ohne gültige Papiere in Großbritannien eintreffen,
sollen künftig umgehend in das ostafrikanische Land abgeschoben werden. Sie
können dort Asyl beantragen, nach Großbritannien dürfen sie aber - ungeachtet
ihrer Herkunft - nicht mehr.

Die internationale Kritik ist gewaltig, aber Sunak ficht das nicht an. Er
beharrt darauf, dass die gewählte Regierung bestimme, wer ins Land dürfe, und
nicht ein "ausländisches Gericht" wie der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte.

Auch in Deutschland werden die britischen Pläne mit Interesse verfolgt. Die
Union dringt seit langem darauf, Asylverfahren in Länder außerhalb der EU zu
verlagern. Die Bundesregierung hat den Ländern eine Prüfung zugesagt. Bis zur
nächsten Ministerpräsidentenkonferenz am 20. Juni sollen erste Ergebnisse
vorgelegt werden.

Ukraine-Hilfe als Hauptthema: Ende der US-Blockade bringt neuen Schub

Ganz oben auf der offiziellen Agenda des deutsch-britischen Gipfels in
Berlin dürfte aber ein anderes Thema stehen: Die Militärhilfe für die von
Russland angegriffene Ukraine, die durch das Ende der monatelangen Blockade der
US-Unterstützung nun einen neuen Schub bekommt. 61 Milliarden US-Dollar (57
Milliarden Euro) für Kiew werden damit freigesetzt. Möglicherweise werden die
USA schon bald ATACMS-Raketen mit einer Reichweite von 300 Kilometern liefern,
mit denen russische Versorgungslinien weit hinter der Front bekämpft werden
können.

Sunak hat seinerseits gerade das bisher größte britische Militärpaket für
die Ukraine zugesagt. Neben 60 Kampfbooten und Hunderten gepanzerten Fahrzeugen
umfasst es auch weitere Marschflugkörper vom Typ Storm Shadow. Die Zusagen der
amerikanischen und britischen Raketen mit großer Reichweite könnten auch die
Debatte über die Lieferung der deutschen Taurus-Marschflugkörper wieder
anheizen. Der Sicherheitsexperte Maximilian Terhalle von der London School of
Economics geht davon aus, dass das beim Gespräch von Scholz und Sunak Thema sein
wird. "Da Großbritannien seine Storm Shadows erneut liefert, wird auch die Frage
Taurus wieder aufkommen", sagt er.

Taurus-Ringtausch mit Großbritannien scheint vom Tisch zu sein

Es gilt aber als unwahrscheinlich, dass Scholz sich von seinem Nein zu
Taurus abbringen lassen wird. Auch ein zwischenzeitlich diskutierter Ringtausch
mit Großbritannien, bei dem die Briten Taurus-Raketen bekommen würden, um noch
mehr Storm Shadows in die Ukraine liefern zu können, wird in Berlin inzwischen
für unpraktikabel gehalten. Scholz geht es stattdessen aktuell darum, in der EU
die Lieferung sieben weiterer Luftabwehrsysteme für die Ukraine zu organisieren.
Deutschland ist dabei mit gutem Beispiel voranmarschiert und hat ein weiteres
Patriot-System locker gemacht.

Ohnehin sieht sich Scholz inzwischen als der mit Abstand wichtigste
europäische Waffenlieferant der Ukraine - auch weit vor Großbritannien. Bei den
Ausgaben für das eigene Militär preschte Sunak allerdings vor seinem
Berlin-Besuch vor und kündigte eine Erhöhung auf 2,5 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts an - 0,5 Prozentpunkte mehr als das derzeitige Nato-Ziel
von 2,0 Prozent, das Deutschland in diesem Jahr erstmals seit Jahrzehnten wieder
erreicht.

Auch Gaza-Krieg und Brexit auf der Tagesordnung

Weiteres Thema im Kanzleramt dürfte der Gaza-Krieg sein. Die Bundesregierung wie auch Downing Street haben ihre Kritik am militärischen Vorgehen Israels im
Gaza-Streifen zuletzt schrittweise verschärft. Beide Länder werfen humanitäre
Güter über dem umkämpften Küstenstreifen ab. Im Unterschied zu Deutschland
beteiligte sich Großbritannien jüngst auch an der Abwehr des iranischen Angriffs
auf Israel.

Nicht zuletzt werden Scholz und Sunak über die Beziehungen beider Länder
nach dem Brexit reden. Der bilaterale Handel hat sich zwar erholt und
Großbritannien ist in die Top Ten der deutschen Außenhandelspartner
zurückgekehrt. Deutsche Unternehmen klagen aber noch immer über Probleme. Auch
an anderer Stelle hakt es. Sunak lehnte erst kürzlich zur Freude konservativer
Hardliner ein EU-Angebot zu Gesprächen über ein Mobilitätsprogramm für junge
Leute nach dem Brexit brüsk ab. Es gibt also auch da reichlich
Gesprächsbedarf./bvi/mfi/DP/zb

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