24.04.2024 07:15:03 - dpa-AFX: ROUNDUP: Bundesregierung will Plan gegen Wohnungslosigkeit beschließen

BERLIN (dpa-AFX) - Sie schlafen auf der Straße, unter Brücken, in Zelten
oder kommen bei Freunden und Verwandten unter: Hunderttausende Menschen in
Deutschland haben keine eigene Wohnung. Die Bundesregierung hat zugesagt, ihnen
allen bis 2030 angemessenen und bezahlbaren Wohnraum anzubieten. An diesem
Mittwoch will das Kabinett einen von Bauministerin Klara Geywitz (SPD)
vorgelegten Aktionsplan beschließen. "Gemeinsam für ein Zuhause", heißt das
Papier. Vertreter der Betroffenen vermissen allerdings konkrete Lösungen - vor
allem zur Frage, wie Wohnungslose angesichts der Konkurrenz auf dem Mietmarkt an
diese Wohnungen kommen sollen.

Wie viele Menschen betroffen sind

Wie viele Menschen in Deutschland keine Wohnung haben, weiß niemand genau.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) geht in ihren
aktuellsten Schätzungen davon aus, dass im Verlauf des Jahres 2022 insgesamt 607
000 Menschen betroffen waren - manche temporär, manche über Monate oder das
ganze Jahr.

Die offensichtlichste Form der Wohnungslosigkeit ist Obdachlosigkeit - wenn
Menschen im Freien, in U-Bahnhöfen, Zelten oder Abbruchhäusern schlafen. Rund 50
000 lebten laut Schätzung im Jahr 2022 ganz ohne Unterkunft auf der Straße. Noch
größer - aber versteckter - ist der Anteil der Menschen, die aus Mangel an
eigener Wohnung bei Freunden oder Verwandten unterkommen.

Insgesamt stieg die Zahl der Wohnungslosen den Schätzungen zufolge zuletzt
sehr deutlich, vor allem durch Flüchtlinge aus der Ukraine.

Warum Menschen ihre Wohnung verlieren

Dazu listet das Bauministerium in seinem Aktionsplan eine ganze Reihe von
Ursachen auf. Jeder Vierte habe Mietschulden gehabt - aus den
unterschiedlichsten Gründen wie Arbeitslosigkeit, Krankheit, Sucht oder
Schicksalsschlägen. Viele hätten ihre Wohnung nach Trennung, Scheidung oder dem
Tod geliebter Menschen verloren. Junge Leute würden aus dem Elternhaus geworfen.
Nicht wenige - vor allem Frauen - flüchteten vor Partnerschaftsgewalt. Auch
Kündigungen wegen Eigenbedarfs der Vermieter führten dazu, dass Menschen
buchstäblich auf der Straße landeten. Alle haben gemein, dass ihnen plötzlich
der Boden unter den Füßen weggezogen wird.

Rund 39 Prozent der Betroffenen hatten laut Wohnungslosenbericht des Bundes
noch nie eine eigene Wohnung in Deutschland - darunter sind viele Geflüchtete,
aber auch junge Erwachsene, die freiwillig oder gezwungenermaßen aus dem
Elternhaus ausziehen.

Was fehlt

Besonders in den Metropolen ist die Konkurrenz um bezahlbare Wohnungen hoch
- so hoch, dass Wohnungslose kaum eine Chance haben, selbst eine Unterkunft zu
finden. Notunterkünfte sind keine Dauerlösung - auch wenn viele Betroffene
monatelang hier unterkommen. Andere nutzten die Hilfe gar nicht, heißt es im
Aktionsplan des Bauministeriums. Sie kämen nicht klar mit so vielen Menschen auf
engem Raum, mit dem Mangel an Privatsphäre, erlebten Gewalt und Diebstahl.
Außerdem gebe es zu wenig Angebote für Frauen oder Hilfesuchende mit Haustieren.

Doch das ist nicht das einzige Problem: Wer auf der Straße lebt, ist häufig
gesundheitlich angeschlagen. Doch einen Hausarzt zu finden, ist besonders für
Obdachlose schwierig. Ihr Versicherungsstatus sei oft nicht geklärt. Dazu komme
Scham, die Angst vor Sprachproblemen. Dabei hätten viele Wohnungslose Traumata,
weil Gewalt für sie auf der Tagesordnung stehe.

Was die Politik plant

Laut Koalitionsvertrag wollen SPD, Grüne und FDP "bis 2030 Obdach- und
Wohnungslosigkeit überwinden". Zuständig für die Versorgung mit Wohnraum sind
zwar in erster Linie Kommunen und Länder, die Ampel will aber für stärkere
Zusammenarbeit sorgen. Kernziel sind mehr bezahlbare Wohnungen und das
Verhindern von Wohnungsverlust. Bund, Länder und Kommunen sollen prüfen, ob sie
Wohnungslose bei ihrer Wohnraumförderung ausreichend berücksichtigt haben. Das
Bauministerium verweist darauf, dass schon jetzt Rekordsummen in den sozialen
Wohnungsbau investiert würden. Außerdem sei das Wohngeld verdoppelt und für
deutlich mehr Haushalte zugänglich gemacht worden.

Bei Mietschulden soll es bessere Beratung und Hilfe beim Abstottern geben.
In Notunterkünften sollen Mindeststandards für mehr Privatsphäre eingehalten
werden. Alle Wohnungslosen sollen Zugang zur Krankenversicherung bekommen. Damit
Wohnungslose am öffentlichen Leben teilnehmen und zum Beispiel auch
Wohnungsinserate finden können, soll kostenloses WLAN an öffentlichen Orten und
in Notunterkünften ausgebaut werden.

Wie das bewertet wird

Sozialverbände und Vertreter von Betroffenen erklärten zunächst einmal, es
sei gut, dass die Bundesregierung das Problem anpacke. Im Aktionsplan fehlen
ihnen allerdings mehr konkrete Lösungsansätze. Im Mietrecht zum Beispiel fehle
eine Reform zur Schonfristzahlung, erklärten die Bundesarbeitsgemeinschaft
Wohnungslosenhilfe und der Mieterbund. Dabei geht es um die Frage, ob eine
Kündigung bei Nachzahlung von Mietschulden noch wirksam ist oder nicht. Die
Bundesmittel für den sozialen Wohnungsbau reichten zudem nicht aus. Die Diakonie
kritisierte: "Es fehlt an konkreten, wirksamen sozialen und wohnungsbezogenen
Maßnahmen zur Schaffung von Wohnraum für wohnungslose Menschen sowie zur
Verhinderung von Wohnungsverlusten."/tam/DP/zb

© 2000-2024 DZ BANK AG. Bitte beachten Sie die Nutzungsbedingungen | Impressum
2024 Infront Financial Technology GmbH