18.01.2024 11:14:55 - dpa-AFX: HINTERGRUND: Vorsicht Preiserhöhung - Experten sehen Rekord bei 'Shrinkflation'

HAMBURG (dpa-AFX) - Bis Ende des Jahres kostete der 1000-Gramm-Beutel
Milchreis im Supermarkt noch 2,29 Euro. Dann wurde die Packung kleiner und
teurer. Kunden müssen seitdem für 800 Gramm 2,99 Euro berappen. Eine satte
Erhöhung um mehr als 60 Prozent. Der Milchreis, hergestellt von der Euryza GmbH,
ist nur ein Beispiel von vielen. Weniger Inhalt zum gleichen oder sogar zu einem
höheren Preis, das Phänomen wird als "Shrinkflation" bezeichnet.

Der Trend weitet sich aus. Die Verbraucherzentrale Hamburg meldet einen
Rekord, es gebe so viele "Mogelpackungen" wie noch nie. 2023 haben die
Verbraucherschützer 104 Produkte neu aufgenommen, 2022 waren es 76. Insgesamt
stehen mehr als 1000 Artikel auf der Liste. Armin Valet, Lebensmittelexperte der
Verbraucherzentrale, konzentriert sich bei der Suche auf Lebensmittel und
Drogeriewaren. Im Laufes des Monats kürt er erneut die Mogelpackung des Jahres.

Valet berichtet von einem Domino-Effekt. So beginne ein Markenhersteller
damit, ein Produkt zu schrumpfen, andere folgten dann dem Beispiel. Das Vorgehen
ist bei Herstellern beliebt, weil Kunden die versteckte Preiserhöhung nicht so
schnell bemerken.

Umfrage: 77 Prozent der Verbraucher für Kennzeichnung

Handelsexperten wie Martin Fassnacht und Kai Hudetz bestätigen den Trend.
"Die Kosten sind für Hersteller und Händler gestiegen. Jetzt stellt sich die
Frage, wie die gestiegenen Kosten von Herstellern an Händler und von Händlern an
Verbraucher weitergegeben werden", sagt Fassnacht von der Wirtschaftshochschule
WHU Düsseldorf.

Hudetz vom Institut für Handelsforschung verweist darauf, dass der Anteil
der betroffenen Produkte bei fast 15 000 gelisteten Artikel in einem klassischen
Supermarkt vergleichsweise gering sei. Viele Verbraucher ärgern sich dennoch.
Laut einer Yougov-Umfrage achten gut 70 Prozent auf die Füllmenge eines
Produktes, "um Mogelpackungen zu erkennen und dem Kauf möglicherweise
vorzubeugen". 77 Prozent sind demnach dafür, dass Supermärkte entsprechende
Hinweise anbringen, um "Mogelpackungen" zu kennzeichnen.

Die Euryza GmbH rechtfertigt die Preiserhöhung für Milchreis mit
"signifikanten Kostensteigerungen entlang der gesamten Lieferkette". Auch das
Oreo-Stieleis ist geschrumpft. Seit dem vergangenen Jahr enthält die Packung
nicht mehr vier Portionen mit jeweils 110 Milliliter, sondern nur noch drei mit
je 90, bei gleichem Preis. Hersteller Froneri gibt an, man sei gezwungen,
"Mehrkosten weiterzugeben" und verweist auf einen "Trend hin zu kleineren
Portionsgrößen". Katjes reduzierte den Inhalt seiner Yoghurt Gums und anderer
Fruchtgummis von 200 auf 175 Gramm, der Preis blieb gleich. Das Unternehmen
wollte sich auf Anfrage dazu nicht äußern.

Netto testet in einigen Filialen

Experten wie Fassnacht und Valet sehen die Verantwortung bei dem Thema auch
beim Handel. Die französische Supermarktkette Carrefour warnt
seit September mit Aufklebern vor versteckten Preiserhöhungen. "Das Gewicht
dieses Produktes hat sich verringert, und der Preis unseres Lieferanten ist
gestiegen", heißt es. Und: "Wir setzen uns dafür ein, den Preis neu zu
verhandeln." Carrefour griff damit einem Gesetzesentwurf vor, mit dem die
französische Regierung die Industrie verpflichten will, auf Produkten kenntlich
zu machen, wenn sich bei gleicher Packung der Inhalt verringert. Wenn die
Kommission keinen Einwand hat, könnte der Erlass in Frankreich Ende März kommen.

Auch der zur Edeka-Gruppe gehörende Discounter Netto testet eine
Kennzeichnung seit kurzem in einzelnen Filialen. Das Feedback der Kunden sei
positiv, heißt es. Ob eine Ausweitung auf alle Märkte geplant ist, will das
Unternehmen nicht beantworten. Die Markenindustrie versuche alles, "um ihre
Margen zu maximieren. Dazu gehört neben unverhältnismäßig hohen
Preissteigerungsforderungen eben auch der Trick der Shrinkflation", sagt eine
Edeka-Sprecherin.

Edeka selbst hatte im Herbst ebenfalls angekündigt, entsprechende Produkte
zu kennzeichnen. "Leider wissen wir nicht, wer von unseren selbstständigen
Kaufleuten diese Vorlagen aufgegriffen hat", heißt es. Der
Verbraucherorganisation Foodwatch zufolge ist dies bisher nicht geschehen. Eine
Umfrage in 50 Märkten habe ergeben, dass keiner der Händler davon Gebrauch
mache. Die Edeka-Händler könnten selbst über alle unternehmerischen Fragen
entscheiden. Die übrigen Handelsriesen äußern sich zurückhaltend. Einige
verweisen auf Preissenkungen, die zuletzt vorgenommen worden seien.

Verbraucher sollen vor Täuschungen geschützt werden

Valet erwartet, dass die Zahl der neuen Fälle 2024 wegen der sich
abschwächenden Inflation sinken wird. Dennoch fordert er eine Kennzeichnung und
gesetzliche Vorgaben, um Verbraucher vor Täuschungen zu schützen. Hoffnung macht
ihm ein Gesetzesentwurf des Bundesverbraucherschutzministeriums (BMUV). Dieser
sieht vor, dass Verpackungen, deren Inhalt verringert wird, ohne dass die Größe
der Verpackung im gleichen Verhältnis verringert wird, nicht mehr zulässig sein
sollen. Das Gleiche soll für Verpackungen gelten, die größer werden, ohne dass
sich der Inhalt mit vergrößert.

Der Handelsverband Deutschland (HDE) hält neue gesetzliche Regelungen für
unnötig. Der Handel sorge gegenüber den Verbrauchern für maximale
Preistransparenz, indem er am Regal den Grundpreis eines Produkts pro Kilogramm
oder Liter auszeichne. Zusätzliche Informationen könnten die Verbraucher
überfordern, heißt es.

Auf EU-Ebene wird zurzeit die neue Verpackungsverordnung verhandelt. Demnach sollen Verpackungen mit Eigenschaften, die nur darauf abzielen, das
wahrgenommene Volumen des Produkts zu vergrößern, nicht mehr in Verkehr gebracht
werden dürfen. Wann die Gesetze kommen, ist noch nicht absehbar. Bis dahin
bleibt Verbrauchern nichts anderes übrig, als beim Einkaufen genau
hinzuschauen./cr/DP/jha

--- Von Christian Rothenberg, dpa ---
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