24.05.2024 06:12:07 - dpa-AFX: POLITIK/Nach Besetzung an Berliner Humboldt-Uni: Aufräumen und aufarbeiten

BERLIN (dpa-AFX) - Nach der Räumung der von rund 150 propalästinensischen
Aktivisten besetzten Teile der Humboldt-Universität in Berlin will die Polizei
den Einsatz an diesem Freitag aufarbeiten. Auch die politische Debatte über die
Duldung der Besetzung durch die Universitätsleitung dürfte weitergehen.
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) nahm allgemein die Dozenten in die
Pflicht und forderte sie auf, Studenten zu ermutigen, Argumente vorzutragen. Wie
groß der Sachschaden in der Humboldt-Universität ist, muss noch ermittelt
werden.

Propalästinensische Aktivisten hatten am Mittwoch Räume der
Humboldt-Universität aus Protest gegen Israel und zur Unterstützung der
Palästinenser besetzt. Die Gruppe namens Student Coalition Berlin forderte von
Berliner Hochschulen unter anderem, dass diese sich für einen sofortigen und
bedingungslosen Waffenstillstand im Gaza-Krieg einsetzen und Druck auf die
deutsche Regierung ausüben. Diese solle ein Waffenembargo gegen Israel verhängen
und alle militärischen, finanziellen und diplomatischen Hilfen an Israel
beenden.

Die Universitätsleitung duldete die Besetzung zunächst und setzte auf einen
Dialog von Besetzern und Wissenschaftlern. Am Donnerstagabend dann räumte die
Polizei auf Anweisung des Senats das besetzte Gebäude. Wissenschaftssenatorin
Ina Czyborra (SPD) habe die Anweisung in Übereinstimmung mit dem Regierenden
Bürgermeister Kai Wegner (CDU) gegeben, sagte die Universitäts-Präsidentin,
Julia von Blumenthal. Wegner dankte der Polizei am Abend auf der Plattform X für
ihren Einsatz.

Ein Teil der Aktivisten verließ die Räume freiwillig, ein weiterer Teil
wurde von der Polizei hinausgeführt. 150 propalästinensische Aktivisten seien
aus dem Gebäude geführt worden, hieß es am Abend von der Polizei, über Verletzte
sei nichts bekannt.

"Guten Schritt gemacht"

Von Blumenthal äußerte angesichts der Räumung ihr Bedauern darüber, dass
keine Verständigung erreicht worden sei. Den Versuch des Dialogs sah sie am
Abend zumindest nicht als gescheitert an: "Ich bin nicht sicher, ob es gelungen
wäre, aber ich hatte den Eindruck, dass wir einen guten Schritt gemacht haben
mit diesem Dialog", sagte sie. Ihr gehe es darum, das Leid aller Betroffenen zu
sehen. Zu Beginn der Räumung sagte sie, ihr sei es wichtig, in diesem Moment
dabeizusein. Sie wolle den Studierenden zeigen, dass sie auch ihre Präsidentin
sei, auch wenn sie viele der politischen Forderungen nicht teile und die
Sachbeschädigung im Gebäude verurteile "und alles verurteile, was insbesondere
bei unseren jüdischen Studierenden, aber auch bei anderen Mitarbeitenden und
Studierenden des Instituts für Sozialwissenschaften als Bedrohung empfunden
wurde".

Buschmann: Es darf keine Billigung von Straftaten stattfinden

Bundesjustizminister Buschmann sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe
(Freitag) angesichts der Proteste: "Es darf keine Bedrohung, keine Beleidigung,
keine Billigung von Straftaten stattfinden." Gerade an Universitäten sollte das
stärkere Argument zählen - und nicht das lautere Geschrei. Für das Leid in Gaza
trage die islamistische Hamas die Verantwortung, und Deutschland habe eine
besondere Verantwortung gegenüber Israel. Selbstverständlich könne sich auf die
Meinungsfreiheit auch berufen, wer mit dieser Haltung nicht einverstanden sei.
"Die Grenze ist dort erreicht, wo Gewalt ausgeübt oder zu ihr aufgestachelt
wird, wo Persönlichkeitsrechte verletzt oder Kennzeichen terroristischer
Organisationen verwendet werden", sagte der Minister.

Er empfinde manche Begleiterscheinungen der Proteste an den Universitäten
besonders schmerzhaft, fügte Buschmann hinzu. "Denn dort sollen junge Menschen
Konflikte austragen - und zwar mit rational überprüfbaren Argumenten. Nicht,
indem andere niedergebrüllt oder mit der Faust bedroht werden." Der
Justizminister verteidigte Polizeieinsätze in diesem Zusammenhang.
"Universitäten sind besondere Orte - aber sie stehen nicht außerhalb des Rechts.
Demonstrationen auf dem Uni-Campus unterliegen den gleichen Regeln wie andere
Demonstrationen auch", sagte er. "Deshalb ist es natürlich richtig, wenn die
Polizei einschreitet, wenn es zu Rechtsverstößen kommt."

Deutliche Kritik an Duldung

Die CDU hatte die Duldung der Besetzung als mögliche Ermunterung für weitere Straftaten kritisiert, die SPD-Fraktion hatte gefordert, "den strafbaren
Handlungen und Sachbeschädigungen ein Ende" zu bereiten. Auch die Gewerkschaft
der Polizei hatte mitgeteilt, Universitäten als Orte des Austauschs und der
Diskussion seien keine Legitimationsgrundlage, um menschenverachtende und
antisemitische Parolen zu grölen.

Die Stimmung bei der Räumung war aufgeheizt: Eine Aktivistin schrie auf dem
Hof ihre Frustration heraus: "Meine Familie stirbt jeden Tag!" Aus einer
Demonstration in unmittelbarer Nähe waren über Stunden laute Rufe zu hören, etwa
der Aufruf zur Gewalt oder die mittlerweile verbotene Parole "from the river to
the sea, palestine shall be free", die Israel das Existenzrecht abspricht.

Nach dem Massaker der Hamas mit mehr als 1200 Toten am 7. Oktober in Israel
sind im folgenden Gaza-Krieg laut der von der Hamas kontrollierten
Gesundheitsbehörde mehr als 35 000 Palästinenser ums Leben gekommen, wobei die
unabhängig kaum zu überprüfende Zahl nicht zwischen Zivilisten und Kämpfern
unterscheidet./rab/DP/stk

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