26.05.2024 14:11:03 - dpa-AFX: Brenner-Zulauf: DB will Lähmung überwinden - Plan auf der Zielgeraden

MÜNCHEN (dpa-AFX) - Die Deutsche Bahn will nach langen politischen
Verzögerungen ihre Planung für die deutsche Zulaufstrecke zum Brennerbasistunnel
in den Alpen bis Jahresende auf die Zielgerade bringen. Nächster Schritt sei die
Weiterleitung der von der DB erarbeiteten Trassenvariante an Bundestag und
Bundesverkehrsministerium, sagte Klaus-Dieter Josel, der scheidende
Konzernbevollmächtigte der DB in Bayern. "Die Unterlagen bereiten wir bis Ende
des Jahres auf. Ziel ist, dass diese im Frühjahr 2025 in den Bundestag
eingebracht werden."

Der 55 Kilometer lange österreichisch-italienische Riesentunnel soll eines
Tages sowohl den bisherigen Bummelbahnverkehr von Deutschland nach Italien
beschleunigen als auch Abhilfe für die örtliche Bevölkerung schaffen.
Insbesondere die geplagten Anwohner der Brennerautobahn in Nord- und Südtirol
leiden seit Jahrzehnten unter Abgasen, Lärm, chronischen Staus und
Schleichverkehr.

Es schimpfen und leiden aber auch Heerscharen von Lkw-Fahrern und deutschen
Italien-Urlaubern. Die Bedeutung des Brenners reicht weit über die Alpen hinaus:
Über den Pass läuft Güter- und Personenverkehr vom Mittelmeer in etliche Länder
(und umgekehrt): Darunter zählen neben Österreich und Deutschland etwa
Tschechien, Polen und die Niederlande.

1998 passierten 1,2 Millionen Lastwagen den Pass. 2023 zählte die
österreichische Autobahngesellschaft Asfinag an der Mautstelle Schönberg doppelt
so viele: 2,4 Millionen Lkw. Insgesamt drängten sich knapp 14,4 Millionen
Fahrzeuge auf der Brennerautobahn.

Der Brenner war schon im Mittelalter die bedeutendste transalpine
Handelsroute, heute ist der Pass für Speditionen in der Regel die günstigste
Alpenquerung. "Der Brenner-Nordzulauf ist Teil der wichtigen europäischen
Scan-Med-Achse von Skandinavien zum Mittelmeer", sagt Josel. "Wir brauchen diese
Strecke." Personenzüge sind bisher von München nach Verona über fünf Stunden
unterwegs, eines Tages sollen es nur noch drei sein.

Der Basistunnel berührt deutsches Territorium nicht, doch um dereinst die
volle Kapazität nutzen zu können, muss der "Zulauf" ausgebaut werden. Die
bisherige Strecke verläuft auf 160 Jahre alter Trasse aus königlich bayerischen
Zeiten von Rosenheim durch das Inntal bis an die Tiroler Grenze.

Die DB plant eine 54 Kilometer lange neue Trasse abseits der Ortschaften.
Gut 30 Kilometer sollen als Tunnel gebaut werden. Das hat die örtlichen
Bürgerinitiativen nicht besänftigt. "Bestand modernisieren statt Umwelt
zerstören", heißt es bei der Initiative Brennerdialog.

Die Neubau-Gegner betonen, dass sie nicht gegen die Eisenbahn seien: "Wir
wollen, dass der Güterverkehr auf die Schiene kommt und Regionalverkehr gestärkt
wird", sagt Brennerdialog-Vorstand Lothar Thaler. Die Bestandsstrecke hätte
längst ertüchtigt werden müssen. "Für die Verzögerungen sind die Zivilbürger
nicht verantwortlich."

Auch in Österreich und Italien gibt es Widerstand und Verzögerungen, doch
haben beide Länder Deutschland vor Jahren überholt. "Die Trassenverläufe des
gesamten Südzulaufs sind abgeschlossen", sagt Martin Ausserdorfer von der
Beobachtungsstelle Brenner Basistunnel in Südtirol, die im Auftrag von
Landesregierung und Gemeinden den Bau begleitet. Auf dem wichtigsten Teilstück
haben die Bauarbeiten vor kurzem begonnen.

Und auf deutscher Seite? "Wir führen einen sehr intensiven Planungsdialog
durch und haben den Eindruck, dass die Akzeptanz gestiegen ist", sagt Josel.
"Baurecht erwarten wir Anfang der 2030er Jahre, den Baubeginn kurz danach. Eine
Inbetriebnahme wäre dann Anfang der 2040er Jahre möglich."

Die Planung sei "nicht zu spät dran", betont Josel. "Auf der bisherigen
Strecke über den Brenner sind die Züge relativ kurz und müssen oft mit zwei oder
drei Lokomotiven fahren. Im Brennerbasistunnel können Züge von bis zu 740 Meter
Länge mit höherer Ladekapazität fahren. Die Menge der transportierten Güter wird
zwar steigen, aber nicht schlagartig."

Alternativvorschläge der bayerischen Kommunen sollen ebenfalls in den
Bundestag eingebracht werden. Ein Hauptstreitpunkt ist, ob der Inn überbrückt
oder untertunnelt wird. "Ein Tunnel unter dem Inn würde mindestens eine
Milliarde Euro mehr kosten, je nach Trassenführung könnten es sogar bis zu drei
Milliarden mehr werden", sagt Josel.

Das Zieldatum 2040 setzt voraus, dass es zu keinen weiteren großen
Verzögerungen mehr kommt. Vor dreißig Jahren forderte die CSU vehement den
Ausbau, doch der Eifer ist längst erlahmt. 2004 beschlossen Österreich und
Italien den Tunnelbau. 2009 übernahm Peter Ramsauer als erster von vier
CSU-Politikern in Folge das Bundesverkehrsministerium, 2012 vereinbarten Berlin
und Wien die gemeinsame Planung der Zulaufstrecke.

Doch Ramsauers Nachfolger Alexander Dobrindt sicherte 2017 den
Bürgerinitiativen zu, den Bedarf für die neue Trasse zu überprüfen. In München
zog 2018 der CSU-Koalitionspartner Hubert Aiwanger in die Staatsregierung ein,
dessen Freie Wähler die Trasse vor Ort ebenfalls bekämpfen. "Beim Brennerzulauf
ist zunächst die Erforderlichkeit einer Neubaustrecke nachzuweisen", hieß es
plötzlich im damaligen bayerischen Koalitionsvertrag. Die derzeit gültige
Formulierung in der 2023er Neuauflage: "Wir setzen uns weiter- hin dafür ein,
dass der Brenner-Nordzulauf mit maximaler Anwohnerfreundlichkeit umgesetzt
wird."

Unterdessen wächst in der bayerischen Wirtschaft die Unzufriedenheit mit der Politik, und der Ärger richtet sich keineswegs mehr nur gegen Berlin. "Sowohl
Straße als auch Schienenverkehr operieren bereits seit Jahren an der
Belastungsgrenze und es entstehen hohe volkswirtschaftliche Verluste durch
Engpässe und Staus", klagt die Industrie- und Handelskammer für München und
Oberbayern. Jeder weitere Zeitverlust müsse vermieden werden.

Aufmerksam verfolgt wird das Geschehen in Wien. "Spätestens 2040 ist eine
durchgehende Viergleisigkeit des Korridors aber erforderlich, um die
prognostizierten Mengen in guter Qualität abwickeln zu können", sagt ein
Sprecher des österreichischen Verkehrsministeriums./cho/DP/he

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