12.07.2024 06:30:04 - dpa-AFX: ROUNDUP: Verhandler in Gaza-Gesprächen zeigen vorsichtigen Optimismus

GAZA/JERUSALEM/KAIRO/WASHINGTON (dpa-AFX) - Während im Gaza-Krieg die
indirekten Verhandlungen in Kairo über eine Freilassung israelischer Geiseln
weitergehen, lässt das Blutvergießen in dem abgeriegelten Küstenstreifen nicht
nach. Der palästinensische Katastrophenschutz zog eigenen Angaben zufolge im
Viertel Schedschaija im Osten der Stadt Gaza die Leichen von 60 getöteten
Palästinensern aus den Trümmern. Israels Armee hatte dort am Mittwoch einen
zweiwöchigen Einsatz beendet und nach eigener Darstellung Dutzende Kämpfer der
islamistischen Hamas getötet und acht Tunnel zerstört.

Die Angaben der verschiedenen Seiten ließen sich nicht unabhängig
überprüfen. Nach Darstellung des von der Hamas kontrollierten
Katastrophenschutzes habe das israelische Militär 85 Prozent der Wohngebäude in
Schedschaija zerstört. "Das Stadtviertel ist jetzt ein Katastrophengebiet, das
nicht mehr bewohnbar ist", hieß es in einer Mitteilung der Organisation. Israels
Militär setzte indes seine Einsätze gegen die Islamisten-Miliz an mehreren
Stellen des Gazastreifens fort.

Die seit Monaten laufenden indirekten Verhandlungen über ein Geisel-Abkommen sollen in Kairo weitergehen. Eine Delegation des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet
und der israelischen Armee reise in die ägyptische Hauptstadt, teilte das
Ministerpräsidentenamt in Jerusalem mit. Israel verhandelt nicht direkt mit der
Hamas, als Vermittler fungieren Ägypten, Katar und die USA.

Bei den schleppend verlaufenden Gesprächen geht es um den Austausch der
verbleibenden Geiseln gegen palästinensische Häftlinge in israelischen
Gefängnissen und um Wege zu einer dauerhaften Waffenruhe im Gaza-Krieg. Die
Hamas fordert, dass Israel den Krieg schnell beendet. Israel wiederum möchte
sich die Option auf ein militärisches Eingreifen in Gaza auch nach einer
Freilassung der Geiseln offenhalten.

Vorsichtiger Optimismus

Wegen der gegensätzlichen Ansichten kam der Verhandlungsprozess zuletzt zum
Erliegen und setzte erst kürzlich wieder ein, nachdem die Hamas Medienberichten
zufolge bei einigen ihrer Positionen Flexibilität gezeigt hatte. Nach einer
letzten Runde am Mittwoch in der katarischen Hauptstadt Doha zeigten einige
Teilnehmer vorsichtigen Optimismus. "Wir sehen Fortschritte. Wir sehen die
Möglichkeit, dass ein Abkommen erzielt wird", sagte der US-amerikanische
Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan in Washington. "Garantieren können
wir das nicht", fügte er hinzu. "Da müssen noch eine Menge Details festgeklopft
werden." Ähnlich hatten sich zuvor israelische Regierungsbeamte geäußert. "Wir
sind einer Übereinkunft über die Prinzipien eines Deals nahe", zitierte der
israelische TV-Sender Channel 13 einen von ihnen.

Bei seiner Abschlusspressekonferenz im Rahmen des Nato-Gipfels in Washington äußerte sich auch US-Präsident Joe Biden optimistisch. "Der Trend ist positiv",
sagte er. Beide Seiten hätten einem von ihm vorgestellten Plan zugestimmt. Nun
gehe es darum, die Einzelheiten auszuarbeiten.

Netanjahu und Hamas weiter auf Kollisionskurs

Die Entscheidungsträger beider Seiten halten hingegen zumindest nach außen
hin an ihren unversöhnlichen Positionen fest. "Die Mörder von der Hamas klammern
sich immer noch an Forderungen, die den Grundzügen (eines Geisel-Abkommens)
widersprechen und die Sicherheit Israels gefährden", sagte der israelische
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bei einer Feier zum Abschluss eines
Ausbildungsjahrgangs für Offiziere.

Netanjahu bekräftigte seine Forderungen, dass Israel auch nach der
Freilassung der Geiseln den Krieg fortsetzen und strategische Stellen im
Gazastreifen militärisch besetzt halten werde. Die Hamas-Führung wiederum warf
ihm vor, die laufenden Verhandlungen zu "verzögern" und zu "sabotieren". Weiter
behaupteten die Islamisten in einer Erklärung, dass sie von den Vermittlern
keine Informationen über die Ergebnisse der Gespräche mit der israelischen Seite
erhalten hätten.

Auslöser des Gaza-Kriegs war das beispiellose Massaker mit mehr als 1.200
Toten, das Terroristen der Hamas und anderer extremistischer Gruppen am 7.
Oktober 2023 in Israel verübt hatten. Dabei hatten sie auch 250 Menschen als
Geiseln nach Gaza verschleppt.

Nach mehr als neun Monaten Krieg steht Israel wegen der vielen Opfer unter
der palästinensischen Bevölkerung und der immensen Schäden an Bausubstanz und
Infrastruktur im abgeriegelten Küstenstreifen international in der Kritik.

Nach einer aktuellen Mitteilung der von der Hamas kontrollierten
Gesundheitsbehörde wurden bislang 38.345 Palästinenser getötet und weitere
88.295 verletzt. Die Zahlen machen keinen Unterschied zwischen Zivilisten und
bewaffneten Kämpfern und lassen sich unabhängig nicht überprüfen.

Selbstkritik der Armee

Eine interne Untersuchung der israelischen Armee über ihre Rolle bei dem
Massaker palästinensischer Terroristen am 7. Oktober in einem Kibbuz räumt indes
das Scheitern des Militärs ein. "Die Untersuchungskommission stellt fest, dass
die israelischen Streitkräfte bei ihrem Auftrag, die Bewohner des Kibbuz Beeri
zu schützen, versagt haben", heißt es in dem veröffentlichten Bericht.

Allein im Kibbuz Beeri nahe der Gaza-Grenze töteten die Terroristen 101
Zivilisten. Weitere 30 verschleppten sie in den Gazastreifen, 11 von ihnen
befinden sich immer noch in der Gewalt der Hamas. 31 Angehörige von
Sicherheitskräften fielen in den Kämpfen mit den mörderischen Eindringlingen.

Überlebende des Massakers von Beeri hatten beklagt, dass die Armee erst
Stunden nach Beginn des Überfalls am Schauplatz eintraf. Die Bewohner und ein
kleines Kontingent des Kibbuz-eigenen bewaffneten Sicherheitsdienstes seien
stundenlang auf sich allein gestellt gewesen.

Der interne Armee-Bericht lobt den Mut der Kibbuz-Bewohner und ihres
Sicherheitsdienstes. Ihr Einsatz sei entscheidend gewesen, um "die Situation in
den ersten Stunden des Kampfes zu stabilisieren und die Ausweitung des Angriffs
auf weitere Teile des Kibbuz abzuwenden".

Überlebende des Kibbuz Beeri begrüßten den Bericht, kritisierten aber
zugleich dessen Einengung auf die Rolle der Armee. Vielmehr gehe es auch darum,
die Verantwortung von Ministerpräsident Netanjahu zu klären. Dieser weigerte
sich bisher beharrlich, Rechenschaft über mögliche eigene Versäumnisse
abzulegen.

Weitere US-Sanktionen gegen rabiate Siedler

Die US-Regierung verhängt unterdessen weitere Sanktionen gegen Personen und
Einrichtungen, die mit der israelischen Besetzung im Westjordanland in
Verbindung stehen. Nach Angaben des US-Außenministeriums waren die Betroffenen
unter anderem an Gewalt gegen palästinensische Zivilisten beteiligt, haben deren
Land unrechtmäßig "beschlagnahmt" und bedrohen "den Frieden, die Stabilität und
die Sicherheit im Westjordanland".

Die Maßnahmen richten sich gegen drei Einzelpersonen, vier von
extremistischen Siedlern errichtete Außenposten im Westjordanland sowie die
rechtsradikale jüdische Gruppe Lehava.

Israel hatte während des Sechs-Tage-Krieges 1967 unter anderem das
Westjordanland, den Gazastreifen und Ost-Jerusalem erobert. Die Zahl der Siedler
im Westjordanland, das zwischen dem israelischen Kernland und Jordanien liegt,
ist inzwischen auf etwa eine halbe Million gestiegen. Einschließlich
Ost-Jerusalems sind es sogar 700.000. Israels rechts-religiöse Führung treibt
den Siedlungsausbau voran, obwohl dies gegen das Völkerrecht
verstößt./edr/gei/gm/DP/stk

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