08.07.2024 06:00:06 - dpa-AFX: ROUNDUP: Netanjahu besteht auf Recht zur Fortsetzung des Gaza-Kriegs

TEL AVIV/BEIRUT (dpa-AFX) - Der israelische Regierungschef Benjamin
Netanjahu verlangt kurz vor der Wiederaufnahme indirekter Verhandlungen über ein
Geiselabkommen im Gaza-Krieg das Recht zur Fortsetzung der Kämpfe gegen die
Hamas - und sorgt prompt für Verärgerung. "Jedes Abkommen wird Israel erlauben,
die Kämpfe wieder aufzunehmen, bis alle Kriegsziele erreicht sind", heißt es in
einer Liste an Bedingungen, die das Büro des Ministerpräsidenten
veröffentlichte. Kritiker werfen Netanjahu vor, einen Deal sabotieren zu wollen.

Vorwürfe gegen Netanjahu

Die indirekten Verhandlungen über eine Waffenruhe und einen Austausch von
Geiseln gegen palästinensische Häftlinge sollen diese Woche in Kairo
weitergehen. Ägypten, Katar und die USA vermitteln zwischen beiden Seiten. Auf
dem Tisch liegt ein Stufenplan. Die Vermittler bemühen sich derzeit um
Formulierungen, um die bestehende Kluft in strittigen Punkten zu überbrücken.
Die Äußerungen von Netanjahu schadeten diesen Bemühungen, zitierte die "Times of
Israel" einen namentlich nicht genannten ranghohen Vertreter der Vermittler.

Der israelische Oppositionsführer Jair Lapid kritisierte Netanjahu ebenfalls für die Auflistung der Bedingungen für ein Abkommen: "Wir befinden uns in einem
kritischen Moment der Verhandlungen, das Leben der Entführten hängt davon ab,
warum also solche provokativen Botschaften? Was trägt das zum Prozess bei?",
schrieb Lapid auf der Plattform X. Zum Abschluss landesweiter Proteste und
Straßenblockaden am "Tag der Störung" warfen Tausende in Tel Aviv und Jerusalem
Netanjahu vor, den Verhandlungsprozess zu behindern.

Verzweifelter Appell einer Mutter

"Neun Monate lang haben Sie die Geiseln im Stich gelassen. Netanjahu
- hören Sie auf, es zu verschleppen. Wir wollen sie zu Hause haben,
und es liegt an Ihnen, sie nach Hause zu bringen", rief die Mutter einer der
Geiseln in der Gewalt der islamistischen Hamas bei einer abendlichen
Protestaktion in der Stadt Tel Aviv. Um auf das Schicksal ihres Sohnes und das
der anderen rund 120 noch immer im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln
aufmerksam zu machen, stieg die Frau in einen schwarzen Käfig, der unter einer
Straßenbrücke hing.

"Es liegt ein Deal auf dem Tisch, der Leben retten kann, und uns alle",
zitierte die "Times of Israel" die verzweifelte Mutter. An den Regierungschef
gerichtet rief sie: "Ich möchte Netanjahu sagen: Die Schlüssel zu diesem Käfig
und allen anderen Käfigen liegen in Ihren Händen". Immer mehr Bürger in Israel
verlieren die Geduld und schließen sich den wöchentlichen Protesten an. Der
pensionierte Armeegeneral Noam Tibon sagte kürzlich bei einer der Kundgebungen
in Tel Aviv: "Netanjahu sabotiert auf zynische Weise jeden Deal, obwohl er weiß,
dass die Geiseln in den Tunneln von Gaza Folter und Mord erleiden."

Netanjahu regiert mit ultra-religiösen und rechtsextremen
Koalitionspartnern, die Zugeständnisse an die Hamas ablehnen. Netanjahu, gegen
den schon seit langem ein Korruptionsprozess läuft, ist für sein politisches
Überleben auf diese Partner angewiesen. Bei den erneuten Demonstrationen
forderten Tausende Menschen sofortige Neuwahlen. Befeuert wurden die jüngsten
Proteste durch Berichte, wonach es nach langem Stillstand Fortschritte bei den
von Katar, Ägypten und den USA vermittelten Verhandlungen geben soll.

Verhandlungen gehen weiter

Ägypten werde in diesen Tagen mit allen Seiten intensive Beratungen führen,
berichtete der staatsnahe Fernsehsender Al-Kahira unter Berufung auf hohe
ägyptische Regierungsbeamte. Die islamistische Hamas soll sich Berichten zufolge
inzwischen flexibel zeigen und von ihrer Kernforderung abgewichen sein, Israel
müsse sich vorab zum Ende des Kriegs verpflichten.

Israel will sich die Option für die Fortsetzung des Krieges offenhalten, um
die Hamas als militärische Formation und Regierungsmacht im Gazastreifen zu
zerschlagen. Das Büro des Ministerpräsidenten listete als weitere Bedingungen
für ein Abkommen auf, dass Israel die Zahl lebender Geiseln, die im Rahmen eines
Deals von der Hamas freigelassen werden müssten, "maximieren" werde. Auch werde
es bewaffneten Kämpfern nicht erlauben, in den Norden Gazas zurückzukehren.
Waffenschmuggel von Ägypten aus werde unterbunden.

Sorge über Lage im Norden Israels

Derweil sprach sich auch der israelische Verteidigungsminister Joav Galant
für ein Abkommen im Gaza-Krieg aus, betonte bei einem Truppenbesuch im Norden
Israels zugleich aber den Abwehrkampf gegen die mit der Hamas verbündete
Hisbollah-Miliz im Libanon. Auch wenn ein Geiselabkommen mit der Hamas zustande
komme, "und ich hoffe sehr, dass uns das gelingt", ändere das zunächst nichts an
der Lage im Norden Israels, sagte Galant.

"Selbst wenn es dort (im Süden) eine Waffenruhe gibt, werden wir hier (im
Norden) weiter kämpfen und alles Notwendige tun, um das gewünschte Ergebnis zu
erreichen", sagte er. Israel möchte mit militärischem und politischem Druck
erreichen, dass sich die Hisbollah hinter den 30 Kilometer von der Grenze
entfernten Litani-Fluss zurückzieht - so wie es eine UN-Resolution vorsieht.
Seit Beginn des Gaza-Krieges beschießt die vom Iran unterstützte Miliz den
Norden Israels - nach eigener Darstellung aus "Solidarität" mit der Hamas in
Gaza.

Tote auf beiden Seiten

Israel bekämpft im Gegenzug mit Luft- und Artillerieangriffen die Stellungen der Hisbollah im Süden des Libanons, aber auch Ziele tief im Landesinneren des
Libanons. Auf beiden Seiten hat es bereits Todesopfer gegeben. Zuletzt nahm die
Intensität der täglichen Gefechte deutlich zu. Es besteht Sorge, dass sich die
Kämpfe zu einem regionalen Konflikt ausweiten.

Am 7. Oktober hatten Terroristen der Hamas sowie anderer Gruppierungen
Israel überfallen und 1.200 Menschen getötet. Zudem wurden rund 250 weitere
Menschen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Das beispiellose Massaker
war der Auslöser des Gaza-Krieges. Derzeit werden israelischen Angaben zufolge
noch rund 120 Geiseln in dem abgeriegelten Küstengebiet festgehalten. Wie viele
von ihnen noch am Leben sind, ist jedoch ungewiss./ln/DP/zb

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