08.07.2024 05:55:03 - dpa-AFX: ROUNDUP/Bahn-Experten: Oberleitung ist die beste Lösung

MÜNCHEN (dpa-AFX) - Bei der Suche nach klimafreundlichem Ersatz für die
qualmenden Dieselloks auf Deutschlands Bahnstrecken ist nach Einschätzung von
Bahn-Fachleuten die vertraute Oberleitung die beste Lösung. Die alternativen
Zugantriebe Wasserstoff, Batterie und Pflanzenöl sind demnach erheblich teurer.
Darüber hinaus steht vor allem bei Wasserstoff und Pflanzenöl die Ökobilanz in
Zweifel. "Den besten Wirkungsgrad hat die Elektrifizierung mit Fahrleitung",
sagt Professor Markus Hecht von der TU Berlin.

In Deutschland sind laut der Allianz pro Schiene lediglich 62 Prozent des
bundeseigenen Schienennetzes elektrifiziert. Zum Vergleich: Europaweites Vorbild
ist die Schweiz, denn dort ist das gesamte Bahnnetz elektrifiziert. Auch
Österreich, Italien und die Niederlande sind mit einem Anteil von jeweils über
70 Prozent elektrifizierten Bahnstrecken weiter.

Teure Wasserstoffzüge

Bayern will im Herbst den lang geplanten Testbetrieb von Wasserstoffzügen im Allgäu aufnehmen. "Bayern soll spätestens bis zum Jahr 2040 klimaneutral sein.
Dazu gehört auch, dass ab 2040 im Schienenpersonennahverkehr keine
dieselbetankten Fahrzeuge mehr im bayerischen Schienenpersonennahverkehr
verkehren", sagt Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU). Vorzugslösung sei
die Elektrifizierung. Für Strecken ohne "Elektrifizierungsperspektive" setzt die
Staatsregierung demnach auf Akku- und Wasserstoffzüge.

Doch gerade die Hightech-Wasserstoffzüge gelten Skeptikern als politische
Prestigeprojekte. "Wasserstoff ist die teuerste Lösung und hat einen
schlechteren Wirkungsgrad als Diesel", sagt der Berliner Bahntechnikprofessor
Hecht. Die Brennstoffzellen erzeugen nicht nur Wasser und Strom, sondern auch
viel Abwärme.

Im Sommer höherer Stromverbrauch als im Winter

Deshalb sei bei Wasserstofffahrzeugen die Kühlung ein großes Problem. "Sie
müssen im Sommer stark kühlen und brauchen auch Strom für die Klimaanlagen zur
Kühlung der Fahrgasträume", sagt der Wissenschaftler. "Im Winter können Sie die
Abwärme zum Heizen des Fahrgastraumes nutzen. Deshalb ist das Groteske, dass das
Wasserstofffahrzeug im Winter weniger Energie braucht als im Sommer." Wegen des
schlechten Wirkungsgrades sei der Energieverbrauch immer viel höher als bei
allen anderen Technologien.

Der Berliner Professor steht mit seiner Einschätzung nicht allein: So
verglich die TU Dresden 2017 und 2020 in Gutachten für die Bayerische
Eisenbahngesellschaft die jeweiligen Vor- und Nachteile alternativer Antriebe.
Wasserstoff schnitt dabei schlechter ab als Batterien, auch in Bezug auf die
CO2-Bilanz. Bayern ist allerdings ein bedeutender Chemiestandort. Deswegen plant
die Staatsregierung den Aufbau eines Wasserstoffnetzes, das dann auch der Bahn
zugutekommen könnte.

Niedersachsen hat bereits Wasserstoff getestet - und sich anschließend dafür entschieden, über 100 Batteriezüge zu kaufen, da Akku-Antrieb im Betrieb
günstiger ist. "Auch Batteriezüge sind betrieblich viel teurer als die reinen
Elektrotriebwagen", sagt Hecht. Der Wirkungsgrad sei schlechter, die Fahrzeuge
schwerer. Die Batterie habe nur eine endliche Lebensdauer, müsse im Winter
gewärmt und im Sommer gekühlt werden.

Auch Batteriezüge sind nicht ideal

"Daher können Batteriezüge auch nur geringe Distanzen fahren, heute sind es
üblicherweise 80 Kilometer. Dann muss wieder eine Zwischenladestrecke kommen."
Eine Lösung sind Hybridzüge: Stromabnehmer und Batterie kombiniert. Diese Züge
können leere Batterien auf Streckenabschnitten mit Oberleitung wieder aufladen.
In Deutschland gibt es Strecken mit vielen Tunneln, die noch aus dem
Dampflok-Zeitalter stammen - zu eng für die Oberleitung. "Dort können
Umbaukosten der Tunnel für die Fahrleitung durch batterieelektrisches Fahren
eingespart werden", sagt Hecht.

Gebrauchtes Speiseöl - aus der Fritteuse in den Tank

Die dritte Option: gebrauchtes Pflanzen- und Speiseöl als Ersatztreibstoff
für Dieselloks, im Fachjargon als HVO 100 bekannt. Da Dieselloks ohne großen
technischen Aufwand auch mit Frittenfett fahren können, hat das den Vorteil,
dass keine neuen Loks gekauft werden müssen: "Dieselfahrzeuge können ohne
aufwendige Umrüstungen mit dem klimafreundlichen Kraftstoff betrieben werden",
sagt eine Sprecherin von DB Regio Bayern. "So können wir sie bis ans Ende ihrer
Lebensdauer weiterbetreiben, schonen das Klima und sparen Ressourcen."

Wie klimafreundlich HVO ist, steht allerdings in Zweifel. "Bei der
Verbrennung von HVO entweicht am Auspuff ebenso viel CO2 wie bei Diesel", sagt
Hecht. "Der Umweltvorteil entsteht nur durch die Zertifizierung des
HVO-Brennstoffes. Damit ist nachzuweisen, dass der Brennstoff aus biologischem
Material stammt, dass vorher alles CO2, das aus dem Auspuff kommt, aus der Luft
aufgenommen wurde."

Doch dabei gebe zwei große Pferdefüße: "Die Zertifikate können gefälscht
sein, und dann liegt schlagartig ein Skandal vor. Und das Zweite ist: man weiß
ja nicht, was mit dem Material sonst passiert wäre." Die Sorge ist, dass der
HVO-Brennstoff für Züge in Deutschland dann andernorts durch Kohle oder Öl oder
sonstiges CO2-emittierendes Material ersetzt werden könnte.

Praktische Bedenken gibt es auch. "HVO hat zwar einen Umweltvorteil, ist
aber derzeit noch circa 30 Prozent teurer als herkömmlicher Diesel, sagt ein
Sprecher des niedersächsischen Verkehrsministeriums. "Weiterhin müssen die
Motoren für den neuen Kraftstoff freigegeben werden, und die ausreichende
Verfügbarkeit muss sichergestellt werden. Dies ist gerade bei älteren Motoren
schwierig oder teilweise nicht möglich."

Dauerhafte Lösung wird die Elektrifizierung sein

Der Fahrgastverband Pro Bahn sieht HVO als Übergangslösung. "So viel Pommes, wie man da bräuchte, alle Dieselfahrzeuge umzustellen, können wir gar nicht
essen", sagt der bayerische Landesvorsitzende Lukas Iffländer, im Hauptberuf
Informatikprofessor an der Dresdner Hochschule für Technik und Wirtschaft. Im
Vergleich zu Wasserstoff sei HVO aber die sinnvollere Übergangslösung für
Zweikraftlokomotiven mit Dieselmotor und Stromabnehmer.

Mit zunehmender Elektrifizierung des Bahnnetzes wird Hybridantrieb mit
Batterie und Stromabnehmern nach Einschätzung Iffländers auch im Güterverkehr
eine praktikable Lösung sein. "Daher gehen wir davon aus, dass sich der
vollelektrische Antrieb durchsetzen wird." Wo nicht mit Oberleitung, werde das
Reichweitenproblem mit Akkus gelöst. "Quasi alle Strecken, die dann immer noch
problematisch sind und über regelmäßigen Güterverkehr verfügen, sind zur
Elektrifizierung vorgesehen."/cho/DP/zb

© 2000-2024 DZ BANK AG. Bitte beachten Sie die Nutzungsbedingungen | Impressum
2024 Infront Financial Technology GmbH