21.06.2024 06:07:25 - dpa-AFX: Verband: Personalmangel gefährdet ÖPNV-Ausbau

BERLIN (dpa-AFX) - Der vielfach geforderte Ausbau des Öffentlichen
Personennahverkehrs (ÖPNV) droht nach Ansicht des Verbands deutscher
Verkehrsunternehmen am Arbeitskräftemangel zu scheitern. "Wenn wir so weiter
machen wie jetzt, nein, dann ist ein Ausbau des ÖPNV nicht machbar. Wir müssen
uns die ganze Zeit fragen: Wie kriegen wir das alles noch finanziert? Und wer
soll die Fahrzeuge fahren", sagte Harald Kraus, Vorsitzender des
VDV-Personalausschusses, der Deutschen Presse-Agentur.

Laut einer Umfrage des VDV mussten im vergangenen Jahr 44 Prozent der
Verkehrsunternehmen (zeitweilig) ihren Betrieb einschränken. "Faktisch
verabschieden wir uns von der Verkehrswende, wenn wir ÖPNV-Verkehr einstellen
müssen", sagte Kraus. "Aktuell sind wir vor allem dabei, irgendwie den Status
quo aufrechtzuerhalten."

Der Umstieg vom Auto auf Züge und den ÖPNV ist ein elementarer Teil der
Verkehrswende, die im Kampf gegen die Klimakrise von großer Bedeutung ist. "Ich
nehme aber nicht wahr, dass wir als Branche ausreichend unterstützt werden, im
Verkehr die Klimaziele zu erreichen", sagte Kraus.

Allianz Pro Schiene fordert "umfassende Personaloffensive"

Laut VDV arbeiten derzeit etwa 100 000 Busfahrerinnen und Busfahrer im
Fahrdienst. Davon gehen jedes Jahr 4000 bis 6000 in Rente. Gleichzeitig sagten
in der Unternehmensumfrage 83 Prozent, dass sie den Personalbedarf im Fahrdienst
bis 2030 höher einschätzen als aktuell. Der Personalmangel dürfte sich so Jahr
für Jahr verschärfen.

Der Lobbyverband Allianz Pro Schiene hält daher eine "umfassende
Personaloffensive" für den ÖPNV für nötig. "Branche und Unternehmen müssen in
die Schulen gehen und dafür werben, dass Jobs im ÖPNV sicher und fair bezahlt
sind und einen direkten Beitrag zum Klimaschutz leisten", sagte Geschäftsführer
Dirk Flege der dpa.

Die Verkehrsbranche gibt sich an dieser Stelle selbstkritisch: Bei der
proaktiven Suche nach Mitarbeitern gebe es durchaus Verbesserungsbedarf. "Das
neue Mindset ist noch nicht bei allen richtig angekommen. Unsere Branche wurde
von der Politik sehr lange aufgrund des Kostendrucks angehalten, Personal
abzubauen - das ging die letzten 25 Jahre so", sagte Kraus. "Das heißt: Akquise
kannte man in der Branche kaum. Daher ist das Durchschnittsalter der
Beschäftigten auch relativ hoch." Laut Umfrage liegt es im Fahrdienst bei fast
48 Jahren.

Laut VDV suchen einige Unternehmen auch im Ausland nach Fachkräften. "Vor
allem für die vielen kleinen und mittleren Unternehmen der Branche ist aber die
Betreuung der Rekrutierten eine große Herausforderung, die Personalabteilungen
dieser Verkehrsunternehmen sind oft nicht groß. Hier liegt die Lösung vor allem
in branchenweiter Zusammenarbeit", sagte Kraus.

Verdi: ÖPNV bei Entgelt und Arbeitsbedingungen nicht konkurrenzfähig

Nach Ansicht der Gewerkschaft Verdi leidet der ÖPNV auch an Personalmangel,
weil die Entgelthöhen nicht überall konkurrenzfähig seien - bei gleichzeitig
anspruchsvollen Arbeitsbedingungen. "Flapsig gesagt, findet man vielerorts für
dasselbe Geld, das man im Fahrdienst bekommt, einen Job, der weniger belastend
ist, mit verlässlicheren Arbeitszeiten, kürzeren Schichten", sagte Andreas
Schackert, Bundesfachgruppenleiter für Busse und Bahnen bei Verdi, der dpa. Vor
allem im Schichtdienst und bei Tätigkeiten mit Kundenkontakt müssten die
Arbeitsbedingungen verbessert werden - etwa durch kürzere Schichtzeiten,
verlässliche Schichtplanung und ausreichende Ruhezeiten.

Auch VDV-Experte Kraus sieht in Flexibilisierung bei den Arbeitszeiten und
Dienstplanmodellen, die besser zu den Lebenswirklichkeiten der Menschen passen,
noch Spielraum. "Flexibilisierung bei den Arbeitszeiten bedeutet aber mehr
Personal. Und das kostet zusätzliches Geld, das wir nicht haben."/nif/DP/stk

© 2000-2024 DZ BANK AG. Bitte beachten Sie die Nutzungsbedingungen | Impressum
2024 Infront Financial Technology GmbH