16.06.2024 14:17:28 - dpa-AFX: Umweltamt: CO2-Sparprojekte von Anfang an betrugsanfällig

BERLIN (dpa-AFX) - In der Affäre um möglicherweise gefälschte
Klimaschutz-Zertifikate hat der Präsident des Umweltbundesamtes, Dirk Messner,
die gesamte Systematik dahinter bemängelt. "Mir hat das System von Anfang an
nicht gefallen, weil ich es für betrugsanfällig gehalten habe", sagte Messner
der "Welt am Sonntag". Dass es vorzeitig beendet werde, sei wegen der abstrakten
Betrugsgefahr ohnehin geplant gewesen.

Hintergrund sind Betrugsvorwürfe rund um Klimaschutzprojekte in China, mit
denen Mineralöl-Konzerne in Deutschland ihre gesetzlich vorgegebenen Klimaziele
erreichen können. Hierbei können sie ihre Treibhausgasquoten verbessern, wenn
innerhalb der Lieferkette CO2-Emissionen eingespart werden - auch im Ausland.

Konzerne können also Projekte, bei denen im Öl-Sektor Emissionen reduziert
werden, finanzieren und bekommen sie bei Anerkennung entsprechender Zertifikate
für ihre Klimabilanz in Deutschland gutgeschrieben. Diese "Upstream Emission
Reduction"-Projekte (UER) werden dann auf die Treibhausgasminderungsquote im
Verkehr angerechnet. Genehmigt werden die Projekte vom Umweltbundesamt.

Amt: Indizien weisen klar auf ein Betrugsgeflecht hin

Laut Umweltbundesamt (UBA) haben Nachprüfungen ergeben, dass von 60
Projekten in China rund 40 Projekte noch einmal intensiv untersucht werden
müssten. Bei zehn davon gebe es mittlerweile "besonders deutliche Hinweise, die
einen Verdacht auf Betrug nahelegen". Daher habe das UBA Strafanzeige bei der
Staatsanwaltschaft Berlin stellen können. Es gebe inzwischen Indizien, die klar
auf ein Betrugsgeflecht hinwiesen.

Die China-Projekte werden laut Messner vor Ort nicht vom UBA, sondern durch
Zertifizierungsunternehmen überprüft. "Der Überprüfungsmechanismus basiert auf
dem Vertrauen in die Verifizierer und Validierer", sagte er dem Blatt. "Wir
kommen mit Kontrollen vom Schreibtisch, mit noch so guten Satellitenbildern, mit
immer neuen Nachfragen bei Validieren, Zertifizieren und Projektträgern an die
Grenzen der Nachweisbarkeit." Man müsse die Verdachtsfälle vor Ort in China mit
einer internationalen Mission überprüfen können.

Anrechnung wird vorzeitig beendet

Laut Messner hat das UBA Ende August 2023 erste Hinweise auf den möglichen
Betrug erhalten. Das Bundesumweltministerium wurde nach eigenen Angaben im
letzten Quartal 2023 vom UBA über den Vorwurf von Unregelmäßigkeiten bei einem
Projekt informiert. Ende Januar 2024 dann darüber, dass Marktteilnehmer Vorwürfe
gegen mehrere Projekte erheben, sagte ein Ministeriumssprecher auf Anfrage. Das
Ministerium habe daraufhin im Januar die Entscheidung auf den Weg gebracht, die
Anrechnung von UER zu beenden.

Verbände unter anderem aus der Bioenergie-Branche fordern ein sofortiges
Moratorium sowie wirksame Sanktionen. Bis auf weiteres dürften nur Projekte
angerechnet werden, deren Rechtmäßigkeit zweifelsfrei durch eine Drittprüfung
belegt worden sei, forderte das "Hauptstadtbüro Bioenergie" jüngst./sl/DP/men

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