04.07.2024 16:52:10 - dpa-AFX: HINTERGRUND/Debatte um Biden-Nachfolge: Comeback für Kamala Harris?

WASHINGTON (dpa-AFX) - Als Kamala Harris 2021 Vizepräsidentin an der Seite
von US-Präsident Joe Biden wurde, dachten nicht wenige in den USA: Die Juristin
könnte Biden nachfolgen - vielleicht sogar schon während dessen erster Amtszeit,
sollte er wegen seines hohen Alters schwächeln. Spätestens aber als Kandidatin
der Demokraten für die Präsidentenwahl 2024.

Dann passierten zwei Dinge: Harris blieb in ihrem Amt als Vize auffällig
blass. Und Biden fand so viel Gefallen an seinem Job, dass er sich zur
Wiederwahl stellt.

Doch nach Bidens katastrophalen Auftritt bei der TV-Debatte gegen den
republikanischen Herausforderer Donald Trump vor einer Woche, ist offen, ob der
81-Jährige wirklich der richtige Kandidat ist. Und so rückt bei vielen die
eigentlich abgeschriebene Harris wieder in den Fokus.

Harris als Pionierin

Harris ist die erste Frau, die erste Schwarze und die erste Amerikanerin mit asiatischen Wurzeln, die den Eid als US-Vizepräsidentin abgelegt hat. Sie wurde
am 20. Oktober 1964 in Oakland im US-Bundesstaat Kalifornien geboren. Ihr Vater
war aus Jamaika in die USA eingewandert, um Wirtschaft zu studieren. Ihre Mutter
- eine Krebsforscherin und Bürgerrechtlerin - kam aus Indien.

Die heute 59-Jährige wurde erste schwarze Bezirksstaatsanwältin von San
Francisco. Ab 2010 hatte sie als erste Frau den Posten der Justizministerin in
ihrem Heimat-Bundesstaat inne. Im Jahr 2017 zog sie den US-Senat ein.

Ihr nächstes Ziel: das Weiße Haus. Sie wollte bereits bei der
Präsidentenwahl 2020 als Kandidatin der Demokraten ins Rennen gehen. Daraus
wurde nichts - noch vor den Vorwahlen zog sie sich wegen mangelnder
Erfolgsaussichten zurück.

Die unbeliebte Vizepräsidentin

Dann machte Biden sie zur Nummer Zwei. Doch in diesem - häufig sehr
undankbaren - Job konnte sie sich nie so recht profilieren. Heute sind ihre
Beliebtheitswerte Umfragen zufolge ähnlich schlecht wie die von Biden.

Die Gründe dafür sind vielseitig. Biden schob ihr die Zuständigkeit für das
ungeliebte Thema Migration zu. Im Juni 2021 musste sie sich dafür verteidigen,
als Vize noch nicht an die Südgrenze zu Mexiko gereist zu sein. Ihre Antwort:
"Ich war auch noch nicht in Europa."

Diese und andere Aussagen sorgten für Kopfschütteln, mit dem Thema Migration konnte Harris keinen Blumentopf gewinnen. Böse Zungen sagen Biden nach, dass er
seiner Vize absichtlich eine unlösbare Aufgabe zugeschustert hat.

In den Folgejahren versuchte Harris ein Thema zu finden, mit dem sie bei
Wählerinnen und Wählern punkten kann. Nach dem Ende des landesweiten Rechts auf
Abtreibung in den USA versuchte sie sich als Kämpferin für Frauenrechte - und
konnte damit zumindest etwas besser überzeugen.

Dennoch blieb die 59-Jährige auffällig blass. Die Kritik an ihr dürfte aber
keineswegs frei von Rassismus und Sexismus sein. In der Debatte um eine mögliche
Biden-Nachfolge fiel ihr Name zunächst nicht als Erstes. Stattdessen galten der
Gouverneur von Kalifornien, Gavin Newsom, oder die Gouverneurin von Michigan,
Gretchen Whitmer, als Favoriten.

Das Blatt wendet sich

Doch nun scheint sich die Stimmung zu drehen. Einer von CNN in Auftrag
gegebenen Umfrage zufolge sagen mittlerweile rund drei Viertel der befragten
Wählerinnen und Wähler, dass die Demokraten bessere Chancen auf einen Sieg bei
der Wahl haben, wenn jemand anderes als Biden antreten würde.

In einem Szenario, in dem Harris gegen Trump antreten würde, schneidet die
Vizepräsidentin einige Prozentpunkte besser ab als Biden. In diesem Fall
unterstützen 47 Prozent der Befragten Trump und 45 Prozent Harris. Anders als
bei Biden (49 Prozent für Trump, 43 für Biden) liegt Harris' Ergebnis zumindest
im Bereich der Fehlerspanne.

Andere Befragungen zeigen, dass Harris in der wichtigen Wählergruppe der
Schwarzen und bei Frauen besser abschneidet als Biden. Und so sind nun hinter
den Kulissen die Stimmen der Demokraten lauter geworden, die Harris als
Favoritin in der Diskussion um eine Biden-Alternative sehen, wie US-Medien
berichten.

Was spricht für sie?

Dass sich die Reihen hinter Harris schließen, hat auch praktische Gründe.
Anders als Whitmer oder Newsom ist Harris wegen ihres Vizepostens national
bekannt. Sollte das Los nicht auf Harris fallen, würde das auch Fragen darüber
aufwerfen, was mit den Millionen-Spenden passiert, die Biden und Harris in ihren
Namen gesammelt haben. Offen ist, ob dieses Geld legal einfach an jemand anderen
weitergegeben werden könnte.

Anders als ihre Konkurrenz konnte sie zuletzt auch international Erfahrung
sammeln - etwa beim Friedensgipfel für die Ukraine in der Schweiz oder bei der
Münchner Sicherheitskonferenz.

Sollte Biden sich wirklich zurückziehen, wäre es außerdem wichtig, dass die
Demokraten vor ihrem Parteitag im August in so einer historischen Lage Einheit
demonstrieren und sich nicht im Streit über die Nachfolge zerlegen.

Als Vize gilt Harris als natürliche Nachfolgerin Bidens. Hinzu kommt: Was
würde die Partei für ein Bild abgegeben, würde sie die erste schwarze
Vizepräsidentin einfach übergehen. People of Color dürfte das vor den Kopf
stoßen. So bezeichnen sich Menschen, die nicht als weiß wahrgenommen werden und
Rassismuserfahrungen gemacht haben.

Was spricht gegen sie?

Es ist nicht gesagt, dass sich die Partei im Falle eines Biden-Rückzugs
einig hinter Harris stellen wird. Ihre schwache Leistung als Vize treibt die
Demokraten nicht erst seit Bidens vergeigter TV-Debatte um. Im Wahlkampf galt
sie einigen Demokraten bisher gar als Last.

Wichtig wäre, dass Biden sich im Fall des Falles hinter sie stellen würde.
Harris hatte nach dem TV-Debakel die undankbare Aufgabe, Bidens Auftritt in
einem Interview zu verteidigen. "Ja, das war ein holpriger Start, aber ein
starker Schluss", sagte sie. Vielleicht ist es bei ihr genauso./nau/DP/jha

--- Von Julia Naue, dpa ---

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