04.07.2024 15:49:16 - dpa-AFX: POLITIK/ROUNDUP: Neue Synagoge eröffnet - Ein Zeichen gegen Hass und Hetze

POTSDAM (dpa-AFX) - Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat bei der
Eröffnung der neuen Synagoge in Potsdam zum Kampf gegen den wachsenden
Antisemitismus aufgerufen. "Überall in Europa haben Jüdinnen und Juden wieder
Angst. Angst vor Hass, vor Gewalt, vor Ausschreitungen. Weil sie Juden sind. Das
ist unerträglich", sagte Steinmeier bei dem Festakt. Deutschland müsse alles
tun, um jüdisches Leben zu schützen.

Die neue, 17,5 Millionen Euro teure Synagoge wurde unter starkem
Polizeischutz eingeweiht. Mehr als 85 Jahre nach den NS-Pogromen haben Jüdinnen
und Juden nun wieder ein religiöses und kulturelles Zentrum in der
brandenburgischen Landeshauptstadt. Das Vorhaben war schwierig und von
jahrelangem Streit unter den jüdischen Gemeinden begleitet, die unterschiedliche
religiöse Strömungen vertreten.

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) sagte: "Es ist eine
Schande für unser Land, dass wir jüdisches Leben schützen müssen." Seit dem
Hamas-Angriff auf Israel haben Feindseligkeiten gegen Juden in Deutschland eine
neue Dimension erreicht.

"Nur wenn Jüdinnen und Juden sich in Deutschland ganz zu Hause fühlen, nur
dann ist dieses Land ganz bei sich", sagte Steinmeier und versprach:
"Deutschland bleibt ein Zuhause für Jüdinnen und Juden. Dafür stehe ich
persönlich und dafür tritt die Mehrheit aller Deutschen - das versichere ich
Ihnen - ein."

Steinmeier ging auch auf Proteste im Zusammenhang mit dem Gaza-Krieg ein.
"Selbstverständlich muss es auch in unserem Land möglich sein, den Schmerz, die
Trauer über die palästinensischen Opfer, die Angst um Angehörige und Freunde zu
zeigen, auch im öffentlichen Raum." Die Grenze sei aber dort überschritten, "wo
die Trauer, der Schmerz, die Verzweiflung, wo all das zu Hetze wird, zu blankem
Hass, im schlimmsten Fall zu Gewalt gegen Jüdinnen und Juden".

Hohe Sicherheitsvorkehrungen

Der Neubau mit sandfarbener Ziegel-Fassade ist mit Panzerglas und einer
Sicherheitsschleuse ausgestattet. "Immer noch von Mut zu sprechen, wenn es um
die Einweihung einer Synagoge geht, hört sich in diesen Zeiten leider sehr
richtig an", sagte der Präsident des Zentralrats der Juden Josef Schuster. Ein
Drittel der jüdischen Gemeinden in Deutschland habe in den Wochen nach dem
Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober antisemitische Angriffe erfahren -
von Vandalismus und psychischem Druck bis zu Anschlägen.

Potsdam war zuletzt die einzige Landeshauptstadt in Deutschland ohne eine
Synagoge. Dort gab es bislang nur ein kleines jüdisches Gotteshaus in der
Universität. Die alte Synagoge war 1945 zerstört worden.

Synagogenzentrum soll auch ein offenes Haus sein

Trotz Sorgen vor wachsendem Antisemitismus und hohen Sicherheitsvorkehrungen will sich das neue Synagogenzentrum nicht abschotten, sondern ein offenes Haus
sein, auch für Menschen anderen Glaubens. "Jüdische Gemeinden sind kein
Geheimclub (...)", sagte Schuster. "Nur, wenn wir jüdisches Leben sichtbar
machen, wenn wir die vielen Facetten jüdischer Gemeindekultur zeigen (...)
können wir damit auch ein Zeichen gegen Hass und Hetze setzen", sagte
Ministerpräsident Woidke.

Sorge vor AfD-Erstarken bei Landtagswahl

Trägerin des Synagogenzentrums ist zunächst für drei Jahre die
Zentralwohlfahrtstelle der Juden in Deutschland (ZWST). Gebaut und finanziert
hat es Land Brandenburg.

Der Präsident der ZWST, Abraham Lehrer, rief indirekt dazu auf, bei der
Landtagswahl im September nicht AfD zu wählen. "Mit großer Sorge schauen wir auf
die Umfrageergebnisse hier in Brandenburg", sagte er. "Rechtsextreme Parteien
werden niemals ein Garant jüdischen Lebens in Brandenburg sein."

Der Verfassungsschutz Brandenburg stuft den AfD-Landesverband als
rechtsextremistischen Verdachtsfall ein. Die AfD liegt in Umfragen zur
Landtagswahl vorn.

Vier jüdische Gemeinden sollen Synagoge nutzen

An der feierlichen Synagogen-Einweihung nahmen auch Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Israels Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, teil.
Kanzler Olaf Scholz (SPD) war nach Angaben einer Regierungssprecherin aus
Termingründen nicht als Gast dabei.

Vier jüdische Gemeinden sollen nun das neue religiöse und kulturelle Zentrum in der historischen Mitte der Landeshauptstadt gemeinsam nutzen, eine Gemeinde
hatte nicht unterschrieben.

Der moderne Synagogenraum mit Bogenfenstern bietet nach Angaben des Trägers
199 Menschen gleichzeitig Platz. Dort wurde heute erstmals der Thora-Schrein
geöffnet, in dem die Thorarollen aufbewahrt werden. Die Thora ist die hebräische
Bibel und der geistige Mittelpunkt des Judentums. Im Untergeschoss des Gebäudes
befindet sich zudem die Mikwe, ein Tauchbad für religiöse Zwecke. Neben
Gebetsräumen gibt es in dem Neubau einen Veranstaltungsaal, ein Besuchercafé,
eine Bibliothek, Büroräume sowie Musik- und Kunsträume./mow/DP/jha

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