24.05.2024 18:13:31 - dpa-AFX: ROUNDUP 2: Druck auf Israel wächst - Gericht fordert Stopp von Rafah-Offensive

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DEN HAAG (dpa-AFX) - Es ist ein weiterer Rückschlag in zunehmend isolierter
Lage: Der Internationale Gerichtshof hat Israel am Freitag zu einer sofortigen
Beendigung seines Militäreinsatzes in Rafah verpflichtet. Mit der Entscheidung
entsprach das höchste Gericht der Vereinten Nationen in Den Haag teilweise
Forderungen, die Südafrika in einem Eilantrag gestellt hatte. Entscheidungen des
Weltgerichts sind bindend. Allerdings besitzen die UN-Richter keine Machtmittel,
um einen Staat zur Umsetzung zu zwingen.

Nach Auffassung der Richter ist die humanitäre Lage in Rafah im südlichen
Gazastreifen inzwischen desaströs. Weitere Maßnahmen seien nötig, um weiteren
Schaden für die Zivilbevölkerung abzuwenden. Das Gericht forderte von Israel nun
"in Übereinstimmung mit seinen Verpflichtungen aus der Völkermordkonvention und
in Anbetracht der sich verschlechternden Lebensbedingungen der Zivilbevölkerung
im Verwaltungsbezirk Rafah, seine Militäroffensive und jede andere Aktion im
Verwaltungsbezirk Rafah unverzüglich einzustellen, die den Palästinensern im
Gazastreifen Lebensbedingungen auferlegen könnte, die ihre physische Zerstörung
ganz oder teilweise herbeiführen könnten".

Seit Anfang Mai rückt die israelische Armee internationaler Kritik zum Trotz in Rafah vor - einem Ort, in dem mehr als eine Million Menschen wegen der
Kampfhandlungen in anderen Teilen des Gazastreifens Schutz gesucht hatten.
Israel bezeichnet sein umstrittenes militärisches Vorgehen dort als vorsichtig
und begrenzt, auch aus Sicht des Verbündeten USA hat der Einsatz bislang nicht
das Ausmaß erreicht, vor dem Israel gewarnt wurde. Das UN-Gericht sprach am
Freitag ausdrücklich von einer Bodenoffensive in Rafah.

Neben dem Ende der Offensive verlangten die Richter von Israel ein
Offenhalten des Grenzübergangs Rafah für dringend benötigte humanitäre Hilfe.
Israel soll Untersuchungen der Vereinten Nationen hinsichtlich von
Völkermordvorwürfen im Gazastreifen ermöglichen. Außerdem soll Israel binnen
eines Monats einen Bericht über alle getroffenen Maßnahmen vorlegen.

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wollte Medienberichten
zufolge am Freitag mit wichtigen Ministern über die Entscheidung beraten. Dass
Israel die Aufforderung zur Beendigung des Rafah-Einsatzes umsetzt, ist
allerdings unwahrscheinlich. Regierungssprecher Avi Hyman hatte am Donnerstag zu
einer solchen Forderung gesagt: "Keine Macht der Welt wird Israel daran hindern,
seine Bürger zu schützen, und gegen die Hamas in Gaza vorzugehen. Wir werden die
Hamas zerstören, wir werden Frieden und Sicherheit für die Menschen in Israel
und die Menschen in Gaza wiederherstellen. Wir können kein Regime an unserer
südlichen Grenze dulden, das Völkermord anstrebt."

Die UN-Richter können nach einer erfolgten Entscheidung den
UN-Sicherheitsrat aufrufen, in der Sache tätig zu werden. Alle Mitgliedstaaten
des Gerichts sind verpflichtet, die Entscheidungen des Sicherheitsrats zu
respektieren. Es scheint aber zumindest fraglich, ob die USA bei einer
entsprechenden Resolution zum Rückzug Israels aus Rafah auf ihr Vetorecht
verzichten würden.

Die Forderung der UN-Richter nach einem Ende der Militäroperation ist für
Israel ein weiterer schwerer Rückschlag, nachdem vor einigen Tagen erst der
Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs Haftbefehle gegen
Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Joav Galan
beantragt hatte. Darauf folgte die angekündigte Anerkennung Palästinas als
eigenen Staat durch Norwegen sowie die beiden EU-Länder Irland und Spanien.

Die palästinensische Autonomiebehörde rief - wie auch die islamistische
Hamas - nach der Entscheidung die internationale Gemeinschaft auf, Druck auf
Israel auszuüben. Die internationale Gemeinschaft solle Israel zur Umsetzung des
Beschlusses zwingen, hieß es in einer am Freitag in Ramallah veröffentlichten
Stellungnahme. Die Behörde sehe in der Entscheidung des Gerichts die Auffassung
bestätigt, dass Israel Kriegsverbrechen verübe.

Südafrika hatte bereits mehrfach im Eilverfahren Maßnahmen gegen Israel
gefordert. Dies geschieht im Rahmen der Völkermord-Klage, die das Land vor dem
Gerichtshof im Dezember eingereicht hatte. In zwei Eilentscheidungen hatten die
UN-Richter Israel bereits verpflichtet, alles zu tun, um einen Völkermord zu
verhindern und humanitäre Hilfe zuzulassen. Schon lange vor dem Gang zum IGH
hatte Südafrika den Palästinensern seine Solidarität versichert. Präsident Cyril
Ramaphosa betonte, dass seine Partei, die in Südafrika gegen das
Apartheid-System gekämpft habe, an der Seite der Palästinenser stehe. Der
einzige Ausweg für die Probleme im Nahen Osten sei die Zweistaatenlösung.

Israel hatte Vorwürfe des Völkermords im Gazastreifen vor dem
Internationalen Gerichtshof als haltlos zurückgewiesen. Die von Südafrika
vorgebrachten Vorwürfe seien eine "Verdrehung der Wirklichkeit". Israel beruft
sich auf sein Recht auf Selbstverteidigung, nachdem Terroristen der Hamas und
anderer extremistischer Gruppen am 7. Oktober den Süden Israels überfallen und
1200 Menschen getötet hatten.

In Rafah will Israel die letzten dort verbliebenen Bataillone der Hamas
zerschlagen. Nach Informationen der "Times of Israel" halten sich noch 300 000
bis 400 000 Zivilisten in Rafah auf. Die Zahl der Toten im Gazastreifen beläuft
sich laut der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde inzwischen auf 35
800. Zudem ist von mehr als 80 000 Verletzten die Rede./evs/DP/ngu

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