14.07.2024 02:04:14 - dpa-AFX: Rufe nach Verlängerung verschärfter Grenzkontrollen

BERLIN (dpa-AFX) - FDP-Fraktionschef Christian Dürr macht sich dafür stark,
die während der Fußball-EM verschärften Grenzkontrollen zu verlängern, um die
irreguläre Migration einzudämmen. Dürr folgt damit einer Forderung der
Innenminister der unionsgeführten Bundesländer. Widerspruch kommt von der
Bundespolizei. Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) für den
Bereich Bundespolizei, Andreas Roßkopf, sieht dafür keine personellen
Voraussetzungen.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte bei der Europäischen Union
wegen der EM an allen Grenzen Kontrollen bis zum 19. Juli angemeldet. Das
Turnier endet an diesem Sonntag mit dem Finale zwischen England und Spanien in
Berlin. Wie vorher schon wird es nach diesem Zeitraum weiter temporäre
Kontrollen an den Landesgrenzen zu Österreich, der Schweiz, Tschechien und Polen
geben.

Ein Sprecher des Innenministeriums hatte vor wenigen Tagen Zahlen der
temporären Grenzkontrollen für den Zeitraum vom 7. bis 27. Juni publik gemacht.
Demnach wurden rund 600 offene Haftbefehle vollstreckt und rund 150 Schleuser
vorläufig festgenommen. In rund 3.200 Fällen habe es "Einreise verhindernde
Maßnahmen" gegeben. Eine vorläufige Bilanz für den gesamten EM-Zeitraum will das
Ministerium einem Sprecher zufolge am Montagvormittag ziehen.

FDP und Union: Grenzkontrollen wirken

FDP-Fraktionschef Dürr bilanzierte, die Polizeikontrollen führten dazu,
"dass wir sehr effektiv diejenigen aufgreifen, die illegal ins Land kommen
wollen." Den Zeitungen der Funke-Mediengruppe sagte er: "Ich halte es für
bedenkenswert, die Grenzkontrollen beizubehalten, die wir zur EM eingeführt
haben." Erst wenn es ein System gebe, das die europäischen Außengrenzen komplett
schütze, könne man die Kontrollen der Binnengrenzen wieder abschaffen, sagte er.
"Aber vorläufig ist das ein sehr effektives Instrument."

Schon Ende Juni hatte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai eine Verlängerung der Grenzkontrollen durch die Bundespolizei um ein Jahr gefordert. Auch die
Innenminister der unionsgeführten Bundesländer machten sich auf ihrer Konferenz
in Dresden am Freitag für eine Verlängerung stark.

Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm (CDU),
sagte, Dürr habe verstanden, dass die Sicherheitslage es erforderlich mache, die
deutschen Grenzen über die Fußball-EM hinaus stärker zu kontrollieren. Die
Freizügigkeit im Schengen-Raum sei eine große Errungenschaft. "Aber genau
deshalb muss sie bewahrt werden vor Missbrauch durch illegale Migration und
Kriminelle", betonte Throm. Er fügte hinzu, auch kontrollierte Grenzen blieben
ja offene Grenzen.

Bundespolizeigewerkschaft: "Auf Dauer nicht durchhaltbar"

Die Bundespolizei war nach Ministeriumsangaben vom Mittwoch bei der EM
täglich mit 22.000 Beamtinnen und Beamten im Einsatz. Für die Forderung von
Union und FDP fehlt aus Sicht der Gewerkschaft Personal und Ausrüstung. "Die
Grenzkontrollen haben während der EM zu 100 Prozent funktioniert. Es ist aber
nicht auf Dauer durchhaltbar, die Grenzen in dieser Intensität zu schützen",
machte Polizeigewerkschafter Roßkopf im Interview des Redaktionsnetzwerkes
Deutschland (RND) klar.

Der Bundespolizei fehlten in diesem Jahr bereits 500 Millionen Euro. Sie
habe nicht die nötige Ausrüstung für flexible moderne Grenzkontrollen mit
Überwachungsdrohnen und mobilen Container. Roßkopf forderte analog zur
Bundeswehr ein Sondervermögen innere Sicherheit "noch in diesem Jahr".

Ministerium betont besondere Umstände für die Grenzkontrollen bei EM

Das Bundesinnenministerium wies auf die besonderen Anforderungen
anlassbezogener vorübergehender Grenzkontrollen an den Schengen-Binnengrenzen.
Dafür erforderlich seien eine ernsthafte Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder
der inneren Sicherheit. Auch sei das Instrument nur zeitlich begrenzt und als
ultima ratio (letztes Mittel) anzuwenden, erklärte ein Sprecher. Er machte
zugleich deutlich, dass die Bundespolizei auch nach der EM an den Grenzen zu
Dänemark, den Benelux-Staaten und Frankreich das zulässige Instrument der
Schleierfahndung in den Grenzgebieten einsetze, um mit gezielten Kontrollen
gegen grenzüberschreitende Kriminalität vorzugehen.

Zudem hatte das Bundesinnenministerium Ende Mai angekündigt, die seit dem
Herbst 2023 geltenden stationären Kontrollen an den Landgrenzen zu Polen,
Tschechien und der Schweiz um ein halbes Jahr bis einschließlich 15. Dezember zu
verlängern. Begründet wurde dies mit dem Ziel, Schleusungskriminalität zu
bekämpfen und die irreguläre Migration zu begrenzen. Die Grenzkontrollen an der
deutsch-österreichischen Landgrenze gelten bereits seit Herbst 2015 und sind bis
zum 11. November angeordnet.

Justizminister will Leistungen für bestimmte Asylbewerber kürzen

Dürr forderte grundsätzlich eine drastische Begrenzung der Migration. "Das
eigentliche Ziel muss sein, dass möglichst gar niemand mehr nach Deutschland
kommt, der weder Anspruch auf Asyl noch einen Flüchtlingsstatus hat", sagte der
FDP-Fraktionschef.

Ein neuer Vorstoß zur Reduzierung irregulärer Migration kommt von
Bundesjustizminister Marco Buschmann. In der "Welt am Sonntag" sprach sich der
FDP-Politiker dafür aus, Sozialleistungen für Asylbewerber zu kürzen, die über
ein anderes EU-Land nach Deutschland einreisen. Buschmann verwies auf das
Dublin-System, wonach der EU-Staat für einen Flüchtling zuständig ist, in dem
dieser die EU betreten hat. "Viele kommen aber trotzdem nach Deutschland",
beklagte Buschmann.

Und weiter: "Ich meine, dass wir die Sozialleistungen bei diesen Fällen auf
die Finanzierung der Rückkehrkosten beschränken könnten." Die Asylbewerber
hätten bereits im Ersteinreisestaat Anspruch auf Unterstützung. "Sie können
nicht erwarten, von der Solidarität der Menschen hierzulande zu leben, wenn sie
nicht zurückreisen wollen." Er fügte hinzu: "Das ist sicherlich umstritten, aber
wir müssen an diese Pull-Faktoren weiter ran, die aktuell zu viele Menschen auf
irregulärem Wege zu uns locken."

Dublin-Verordnung mit Schwächen

Der Dublin-Verordnung zufolge ist immer nur ein EU-Mitgliedsstaat für die
Prüfung und die Abwicklung von Asylverfahren zuständig. Ein Kriterium ist der
erste Einreisestaat. Geprüft wird aber zum Beispiel auch, ob sich bereits ein
Familienangehöriger in einem anderen Mitgliedstaat befindet.

Mitarbeiter des Bundesamtes Migration und Flüchtlinge (Bamf) in Nürnberg
hatten vor einigen Tagen bei einem Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)
ihren Unmut darüber kundgetan, dass einige Länder nicht bereit seien,
Flüchtlinge aufzunehmen, zu deren Aufnahme sie aber nach dem Dublin-Abkommen
verpflichtet wären. Scholz betonte, man müsse hier zu einer veränderten Praxis
kommen. Er sei mit seinem Amtskollegen in mehreren Ländern Europas im
"Dauergespräch"./toz/DP/he

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