19.06.2024 10:49:52 - dpa-AFX: EM 2024/Nach Einöde ins 'Höllenloch': EM-Tapetenwechsel für Engländer

FRANKFURT (dpa-AFX) - Prügeleien mit den Serben, eine halbe Nacht an einem
völlig überfüllten Bahnsteig und direkt zum Start Besuche in Gelsenkirchen und
Blankenhain: Selbst für die routiniertesten England-Anhänger muss sich diese EM
in Deutschland bisher anfühlen wie ein Abenteuer. Und die augenscheinlich größte
Herausforderung wartet erst noch auf die zahlreichen Fans, die in Hoffnung auf
den ersten großen Titel nach 58 Jahren Harry Kane und Co. von Spiel zu Spiel
folgen: "Zombieland."

So nannte der britische Boulevard das Bahnhofsviertel in Frankfurt. Denn
weit bevor das Team um Kapitän Kane am Donnerstag (18.00 Uhr/ZDF und MagentaTV)
in der EM-Arena auf Dänemark trifft, werden über 50 000 Fans der Three Lions in
der Mainmetropole ankommen. Die allermeisten davon mit dem Zug - direkt hinein
in die berüchtigte Zone.

"Chaotisch" und "lächerlich"

Die Polizei wertet die Begegnung, bei der auch Prinz William seinen Besuch
angekündigt hat, als Risikospiel. Man sei sehr gut vorbereitet, um adäquat auf
sämtliche Szenarien zu reagieren. In erster Linie setze die Polizei auf ein
deeskalierendes und kommunikatives Vorgehen.

Als "chaotisch" und "lächerlich" hatten britische Fans den Ablauf sowie den
Transport in Gelsenkirchen bezeichnet. Auch Journalisten kritisierten die
Verantwortlichen massiv - für die Organisation, die überfüllten Bahnhöfe mitten
in der Nacht sowie die Stadt im Pott, in der man teilweise nicht einmal mit
Kreditkarte bezahlen könne. "Es ist nicht wirklich viel übrig geblieben in
Gelsenkirchen", sagte ein Sky-Journalist in einer viel beachteten Schalte. Es
gebe nicht viel, was man dort tun könne.

Das wird in Frankfurt nicht gelten. Die "Sun" bezeichnete das
Bahnhofsviertel als "den gefährlichsten Slum Deutschlands", "randvoll mit 5000
schlurfenden Junkies und 300 Dealern". Übertitelt war die Geschichte mit der
Zeile: "Uefa schickt Three-Lions-Fans ins Höllenloch". Am Donnerstag ist es
soweit.

Maßnahmenkatalog vor EM-Beginn

Bereits zum Wochenstart spielten Belgien und die Slowakei in Frankfurt. In
diesem Zusammenhang hatte auch die belgische Polizei vor dem berüchtigten
Quartier gewarnt. Der Gebrauch von harten Drogen, direkt auf der Straße, sei
dort normal und Passanten würden belästigt, sagte Jan Vanmaercke von der
belgischen Polizei in der vergangenen Woche der Zeitung "Nieuwsblad".

Vor Beginn der EM hatte die Stadt einen Maßnahmenkatalog präsentiert, um die Situation zum Besseren zu wenden. Die Videoüberwachung wurde ausgebaut, die
Waffenverbotszone ausgeweitet, die Polizeipräsenz erhöht, die Straßenreinigung
hochgefahren.

Es gibt mehr öffentliche Toiletten und ein neues Pflaster. Markante bunte
Pfeile sollen in englischer Sprache den Weg aus dem Bahnhofsviertel weisen -
eine Maßnahme, die offiziell nichts mit dem Bericht der "Sun" zu tun hat, aber
zeitlich im April etwa zwei Wochen auf diesen folgte.

"It's diving home"

Sportlich kommt es für England zu einer Revanche mit alten Bekannten.
Christian Eriksen, Pierre-Emile Hojbjerg sowie Stürmer Rasmus Hojlund sind als
Dänemarks Schlüsselspieler allesamt in der Premier League beschäftigt. Vor knapp
drei Jahren gewannen die Three Lions in Wembley mit 2:1 ein mitreißendes
Halbfinale, das erst durch einen umstrittenen Elfmeter in der Verlängerung
entschieden wurde.

Raheem Sterling ging damals so leicht zu Boden, dass sich in Anlehnung an
Englands Fußball-Hit Nummer eins der Spruch "It's diving home" verbreitete -
Sterling wurde damit eine Schwalbe unterstellt.

Vom Finale in Berlin am 14. Juli sind die Engländer diesmal noch weit weg -
daran ändert auch das glanzlose 1:0 gegen Serbien zum Auftakt wenig. Viel mehr
ist in den folgenden Tagen mal wieder eine Debatte über die
pragmatisch-zurückhaltende Ausrichtung von Nationaltrainer Gareth Southgate
entbrannt. Der ehemalige Profi setzt bei allen Turnieren seit 2018 vorrangig auf
defensive Stabilität - statt mit seinem riesigen Pool an Offensivtalenten mal
mehr ins Risiko zu gehen.

Kritik nach Auftaktsieg

"Der Kader ist anderthalb Milliarden Euro wert. Dass sie so spielen, finde
ich immer ein bisschen enttäuschend", sagte der deutsche Ex-Weltmeister
Christoph Kramer nach dem Erfolg über Serbien dank eines Treffers von
Champions-League-Sieger Jude Bellingham. Im Teamquartier in der thüringischen
Idylle herrscht derweil Gelassenheit. Bellingham und seine Kollegen nutzten die
Zeit seit Sonntag für einen gemeinsamen Fahrradausflug und ein paar Spiele mit
dem Football.

Mal wieder hinterfragt wird Southgate - diesmal dafür, dass er Bayern-Star
Kane wie einen klassischen Strafraumstürmer einstellte und zu wenig mitspielen
ließ. "Er hat den Ball in 45 Minuten nur zweimal berührt. Das ist nicht Kanes
Spiel", kritisierte Jamie Carragher. Der schon gegen Dänemark mögliche
vorzeitige Einzug ins Achtelfinale wurde dagegen weniger
thematisiert./pre/DP/mis

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