19.06.2024 15:25:30 - dpa-AFX: ROUNDUP: Pflegeversicherung erwartet 2024 rote Zahlen

KREMMEN (dpa-AFX) - Die Pflegeversicherung erwartet für dieses Jahr wieder
rote Zahlen und warnt vor noch wachsenden Finanzrisiken. Im ersten Quartal 2024
habe ein Defizit von 650 Millionen Euro bestanden, sagte Gernot Kiefer,
stellvertretender Vorstandschef des Spitzenverbands der gesetzlichen
Krankenversicherungen, der auch die Pflegekassen vertritt, am Mittwoch im
brandenburgischen Kremmen. Im Gesamtjahr wird mit einem Minus von 1,5 Milliarden
Euro gerechnet, für 2025 dann von 3,4 Milliarden Euro. Dies entspräche einer
Beitragsanhebung von 0,2 Punkten.

Kurz nach einer Stabilisierungsaktion der Politik drohen damit schon wieder
neue Probleme. Im vergangenen Jahr hatte die Pflegeversicherung einen Überschuss
von 1,79 Milliarden Euro verbucht
- Grund waren höhere Einnahmen durch eine Reform der Ampel-Koalition
mit einer Beitragsanhebung zum 1. Juli 2023. Für Menschen ohne Kinder stieg der
Beitrag auf 4 Prozent und für Beitragszahler mit einem Kind auf 3,4 Prozent.
Familien mit mindestens zwei Kindern zahlen - bezogen auf den Arbeitnehmeranteil
- nun weniger als zuvor. Die Reform, die auch Entlastungen für Pflegebedürftige
festlegt, sollte die Finanzen eigentlich vorerst bis 2025 absichern.

GKV-Vorstand Kiefer sagte, der Finanzdruck sei schon im aktuellen
Jahresverlauf erheblich, sodass die Pflegekassen mit bestimmten Instrumenten
ihre Liquidität sichern müssten. Zu Beginn des kommenden Jahres dürfte der
Bestand bei den Rücklagen dann unter der gesetzlichen Vorgabe liegen. Um die
Zahlungsfähigkeit zu sichern, seien daher ab Januar 2025 zusätzliche Mittel
nötig. Ursachen seien mehr Leistungsbezieher und anstehende weitere Entlastungen
für Pflegebedürftige.

Kiefer erläuterte, dass mehrere Trends zusammenkommen, die die Finanzlage
erschweren. So stiegen der Versorgungsbedarf und die Zahl der Betroffenen. Ende
2023 gab es demnach erstmals mehr als fünf Millionen Leistungsbezieher, nämlich
5,24 Millionen. Dabei nahm die Zahl seit 2017 im Schnitt um 320 000 pro Jahr zu,
2023 gab es aber einen stärkeren Anstieg um 360 000. Zugleich könne der Ausbau
des Versorgungsangebots mit der Zunahme der Pflegebedürftigen nicht mithalten.
Diese Entwicklung gehe stark zulasten pflegender Angehöriger zu Hause.

Das System sei am Wackeln, sagte Kiefer. Dringend nötig seien ein Konsens,
um die Pflege zukunftsfest zu machen, und eine grundlegende Finanzreform. Nur an
der Beitragsschraube zu drehen, sei keine nachhaltige Lösung. Inzwischen
eingeführte Zuschläge für Heimbewohnerinnen und Heimbewohner zur Entlastung von
selbst zu zahlenden Anteilen kosteten die Pflegekassen 2023 rund 4,5 Milliarden
Euro. Sie seien aber nicht zielgenau, da alle Einkommensgruppen davon gleich
profitierten.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisierte, jetzt zeige sich, dass
die jüngste Pflegereform von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) nicht
mehr sei als ein Farbanstrich. "Eine zukunftsfähige Lösung sieht anders aus",
sagte Vorstand Eugen Brysch. Daher sei ein steuerfinanzierter Bundeszuschuss
überfällig.

Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte kürzlich deutlich gemacht, dass eine
Pflegereform angegangen werden soll, bei der es auch um die Finanzierung und die
Beitragshöhe gehen solle. GKV-Vorstand Kiefer mahnte: "Wenn nichts passiert,
wird die Luft immer dünner." Er äußerte sich skeptisch, dass eine große Reform
noch vor der Bundestagswahl 2025 umgesetzt werden kann. In der neuen
Legislaturperiode müsste sie dann aber "ganz oben auf der Agenda stehen".

Einen Zuschuss für die Pflegeversicherung aus dem Bundeshaushalt befürworten 79 Prozent, wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag
der Deutschen Presse-Agentur ergab. Eher ablehnend dazu äußerten sich 12
Prozent. Erhöhungen der Pflegebeiträge stoßen demnach mehrheitlich auf
Ablehnung. Ein von der Vorgängerregierung eingeführter Bundeszuschuss von
jährlich einer Milliarde Euro war im Zuge der Haushaltssanierung 2024 gestrichen
worden./sam/DP/ngu

© 2000-2024 DZ BANK AG. Bitte beachten Sie die Nutzungsbedingungen | Impressum
2024 Infront Financial Technology GmbH