16.05.2024 12:29:55 - dpa-AFX: POLITIK/ROUNDUP: Ausnahmezustand in Neukaledonien - weiter Krawalle

NOUMÉA (dpa-AFX) - Im französischen Überseegebiet Neukaledonien ist es die
dritte Nacht in Folge zu Krawallen von Separatisten gekommen. Offiziellen
Angaben zufolge sind bei den schweren Unruhen bislang fünf Menschen ums Leben
gekommen, darunter zwei Polizisten. Am Donnerstag starb ein Polizist nach
Angaben von Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin durch "einen
versehentlichen Schuss", wie der Sender France Info berichtete. Hunderte weitere
Menschen wurden verletzt.

Örtliche Medien veröffentlichten Bilder von geplünderten und völlig
zerstörten Supermärkten und Tankstellen. Noch immer wurden Brände in Geschäften
und Einkaufszentren gemeldet. Seit Anfang der Woche setzen
Unabhängigkeitsbefürworter Läden und Autos in Brand.

Bei den Protesten von Befürwortern einer Unabhängigkeit geht es um eine
geplante Verfassungsreform der Regierung in Paris, die Tausenden
französisch-stämmigen Bürgern, die seit mindestens zehn Jahren ununterbrochen in
Neukaledonien leben, das Wahlrecht einräumen würde. Sie würden somit mehr
politischen Einfluss bekommen. Vor allem die Bevölkerungsgruppe der Kanaken -
Neukaledoniens Ureinwohner - hofft schon lange auf einen eigenen Staat.

Seit Start der Ausschreitungen wurden 206 Menschen festgenommen, sagte
Darmanin dem Sender France 2. "Die Ruhe wird wieder hergestellt." Zusätzliche
Polizisten würden nach Neukaledonien verlegt und zur Unterstützung auch einige
Militärkräfte. "Es wird keine Armee in den Straßen Neukaledoniens geben", sagte
er aber.

Paris hatte als Reaktion auf die Gewalt in der Inselgruppe im Südpazifik,
die 1500 Kilometer östlich von Australien liegt, am Mittwoch für zunächst zwölf
Tage den Ausnahmezustand verhängt. Unter Leitung von Präsident Emmanuel Macron
sollte es am Donnerstag eine erneute Krisensitzung geben.

Das Hochkommissariat in Neukaledonien gab bekannt, dass rund 5000
Randalierer im Großraum der Hauptstadt Nouméa an den Unruhen beteiligt seien.
Trotz Ausgangssperren war die Lage nicht unter Kontrolle. Das größte Krankenhaus
des Archipels teilte mit, derzeit vorwiegend Notfälle zu behandeln. Wegen
Straßenblockaden hätten viele Erkrankte aber Probleme, die Klinik überhaupt zu
erreichen.

Riesiger wirtschaftlicher Schaden

Der Flughafen La Tontoura blieb weiter geschlossen. Vor vielen Geschäften
bildeten sich lange Schlangen, weil Lebensmittel rationiert werden, wie der
Sender 1ère Nouvelle-Calédonie berichtete. Tankstellen ging das Benzin aus. "Das
Leben wird von nun an nie mehr dasselbe sein. Es wird viele Monate dauern, alles
wieder aufzubauen, wenn das überhaupt möglich ist", zitierte der britische
"Guardian" die Einwohnerin Lizzie Carboni aus Nouméa. "Vor ein paar Tagen gingen
wir aus, saßen in Cafés und lachten zusammen, aber innerhalb weniger Stunden hat
sich alles verändert."

Die Präsidentin der Südprovinz Sonia Backès, eine prominente Aktivistin für
einen Verbleib bei Frankreich, bat Paris um finanzielle Unterstützung. Den
Schaden für die Wirtschaft Neukaledoniens schätzte die Industrie- und
Handelskammer bereits auf 150 Millionen Euro.

Der nationale Rat der Kanaken - Inaat Ne Kanaky - verurteilte derweil "den
ungerechtfertigten Vandalismus und die Gewalt mit Schusswaffengebrauch auf
öffentlichen Straßen" und forderte die Festnahme der Verantwortlichen.
Gleichzeitig bedauere der Rat, dass die französische Regierung die umstrittene
Verfassungsreform angenommen habe, ohne den Widerstand der großen Mehrheit der
indigenen Bevölkerung zu berücksichtigen.

Von 1853 bis 1946 war Neukaledonien französische Kolonie. Die Inselgruppe
hatte durch das Abkommen von Nouméa 1998 bereits weitgehende Autonomie erlangt.
Für Paris ist das Territorium vor allem geopolitisch, militärisch und wegen
großer Nickelvorkommen von Bedeutung. Derzeit versucht Paris, mit den
politischen Kräften in Nouméa ein neues Abkommen zu schließen./cfn/DP/men

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