25.06.2024 12:56:07 - dpa-AFX: ROUNDUP 2/Studie: Alleinerziehende am stärksten von Armut betroffen

(Durchgehend ergänzt um Reaktionen aus Politik und von Verbänden sowie
weiteren Detailergebnissen)

GÜTERSLOH/BERLIN (dpa-AFX) - Tagtäglicher Verzicht, kein Urlaub, keine
Rücklagen, weniger Teilhabe am gesellschaftlichen Leben: Armut trifft einer
Studie zufolge nach wie vor besonders alleinerziehende Familien. Unter den rund
1,7 Millionen Alleinerziehenden mit minderjährigen Kindern waren 2023 rund 41
Prozent einkommensarm, wie die Bertelsmann Stiftung berichtete. Zum Vergleich:
Bei den Paar-Familien galten zwischen 8 Prozent (bei einem Kind) und 30 Prozent
(bei drei oder mehr minderjährigen Kindern) als armutsgefährdet. Verbände
sprachen von einem "Skandal", forderten mehr Unterstützung und wiesen vor allem
auf die leidtragenden Kinder hin.

Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) sagte der Deutschen
Presse-Agentur, es sei entscheidend, angegangene Projekte der Ampel-Regierung
wie die Kindergrundsicherung voranzubringen. Sie wird derzeit im Bundestag
verhandelt. "Das ist ein wichtiger Beitrag, um das Armutsrisiko von
Alleinerziehenden, aber auch aller anderen von Armut betroffenen Familien zu
senken."

Die geplante Kindergrundsicherung in ihrem aktuellen Gesetzentwurf sei aber
unzureichend, um Armut wirksam entgegenzuwirken, kritisierte die
Familienexpertin der Bertelsmann Stiftung, Anette Stein. "Was jetzt auf dem
Tisch liegt, kann das Problem nicht lösen." Für einige alleinerziehende Familien
drohten sogar Verschlechterungen.

Kernergebnisse der Stiftungs-Analyse zu Alleinerziehenden

Bei den Ein-Eltern-Familien handelt es sich zu gut 82 Prozent um eine
alleinerziehende Mutter mit ihrem Nachwuchs, in knapp 18 Prozent um einen
alleinerziehenden Vater. An ihrer seit Jahren bekannten häufig prekären
Situation habe sich trotz punktueller Erleichterungen kaum etwas verbessert. Von
relativer Einkommensarmut - oder Armutsgefährdung - sind Personen betroffen, die
über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens aller Haushalte verfügen.

Unter allen 8,5 Millionen Familien deutschlandweit mit Kindern unter 18
Jahren machten alleinerziehende Familien etwa 20 Prozent aus. Der leichte
Anstieg seit 2019 auf aktuell rund 1,7 Millionen Ein-Eltern-Familien mit
minderjährigem Nachwuchs sei auch auf Geflüchtete aus der Ukraine
zurückzuführen. Es gebe regionale Unterschiede bei dem Alleinerziehenden-Anteil.
Fast die Hälfte aller Kinder, die in einer Familie mit Bürgergeldbezug
aufwächst, lebt in einem Haushalt mit nur einem Elternteil. Für alleinerziehende
Mütter sei das Armutsrisiko höher als bei den Vätern. Der Anteil
alleinerziehender Haushalte mit Bürgergeldbezug liegt in Bremen mit 55 Prozent
am höchsten, in Thüringen (27 Prozent) am niedrigsten.

Relative Armut bei vielen Alleinerziehenden sei nicht auf mangelnde
Erwerbstätigkeit zurückführen, bilanziert die Untersuchung. "71 Prozent der
alleinerziehenden Mütter und 87 Prozent der alleinerziehenden Väter gehen einer
Arbeit nach." Zur finanziell schwierigen Situation tragen demnach oft
ausfallende Unterhaltszahlungen bei - nur etwa die Hälfe der Alleinerziehenden
erhalte für die Kinder regelmäßigen und vollständigen Unterhalt. Reformen wie
beim Unterhaltsvorschuss oder dem Kinderzuschlag hätten die belastende Situation
für viele Alleinerziehende noch nicht entscheidend verbessert.

Was wird gefordert, um Abhilfe zu schaffen?

"Es ist ein Skandal, dass die Bundesregierung die Armut von Familien und
deren Kindern nicht endlich beendet", kritisierte die Diakonie. Das
Kinderhilfswerk betonte: "Kinderarmut darf keine Frage der Familienform sein."
Um den Armutskreislauf zu durchbrechen, brauche es neben materieller Absicherung
auch eine entsprechende Infrastruktur für Alleinerziehende, "armutsfeste" Löhne,
bezahlbaren Wohnraum und flexible Kinder-Betreuungsmöglichkeiten. Der
Sozialverband Deutschland sieht "alarmierende Ergebnisse" und verlangte unter
anderem die "ungerechte Lohnlücke zwischen Männern und Frauen" zu schließen.
Laut DGB steht die Politik in der Verantwortung, bessere Rahmenbedingungen zu
schaffen.

Ministerin Paus zufolge machen die Zahlen "unmissverständlich" deutlich:
"Wir dürfen nicht nachlassen, das Armutsrisiko von Alleinerziehenden weiter zu
bekämpfen." Mit der Erhöhung von Kindergeld und Kinderzuschlag oder auch dem
Kita-Qualitätsgesetz sei schon viel auf den Weg gebracht. Der Sozialverband VdK
forderte eine "gute Kindergrundsicherung in ausreichender Höhe". Auch der
Verband alleinerziehender Mütter und Väter sieht hier "noch viel Luft nach
oben." Laut Bertelsmann Stiftung ist die Reform "nur" ein erster Einstieg.

Was soll die Kindergrundsicherung bewirken?

Die Ampel-Koalition ringt seit Langem um die Kindergrundsicherung, mit der
bisherige Leistungen für Kinder gebündelt werden sollen: also etwa Kindergeld,
Zahlungen aus dem Bürgergeld für Kinder oder der Kinderzuschlag. Im Herbst 2023
hatte das Bundeskabinett einen Entwurf beschlossen, Paus und Finanzminister
Christian Lindner (FDP) hatten sich auf zunächst 2,4 Milliarden Euro Mehrkosten
geeinigt. Bei steigender Inanspruchnahme könne der Betrag auf jährlich bis zu 6
Milliarden Euro im Jahr 2028 wachsen.

Ob die Kindergrundsicherung Anfang 2025 kommt, wie Paus anstrebt, ist offen. Der Gesetzentwurf steckt im parlamentarischen Verfahren fest, viele Fragen sind
ungeklärt, die Koalitionsfraktionen SPD und FDP äußerten erhebliche Vorbehalte.
Grünen-Vizefraktionschef Andreas Audretsch sagte der dpa: "Es ist allerhöchste
Zeit, wir werden die Kindergrundsicherung nun zügig auf den Weg bringen."

Laut Bertelsmann-Studie könnte die Kindergrundsicherung die Lage mancher
Alleinerziehenden verbessern. Aber: Die Höhe - also die Existenzsicherung -
müsse neu bestimmt werden, was der aktuelle Entwurf nicht einlöse. Die aktuellen
Leistungen seien unzureichend. Die Regelbedarfe sollten realistisch neu bestimmt
und dabei Kinder und Jugendliche einbezogen werden, mahnte Expertin Stein.
Drohende Verschlechterung für einige Alleinerziehende müsse im Gesetzentwurf
unter anderem mit Änderungen zu Unterhaltsregelungen verhindert werden. Zudem
sei wichtig: Es brauche einheitliche Familienservicestellen als Anlaufstelle mit
Beratung aus einer Hand./wa/DP/tih

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