03.07.2024 05:47:04 - dpa-AFX: VERMISCHTES/Studie: Felchen leiden unter höheren Wassertemperaturen

LANGENARGEN (dpa-AFX) - Steigende Wassertemperaturen können laut einer
Studie für Bodensee-Felchen bestandsbedrohend sein. Mit den Temperaturen steigt
auch die Sterblichkeit der Fischlarven, wie Biologen der
Fischereiforschungsstelle Baden-Württemberg in Langenargen und der Universität
Konstanz nun nachweisen konnten. Dafür untersuchten sie die Entwicklung von
Eiern und Larven der Blaufelchen in unterschiedlichen Wassertemperaturen. "Die
Resultate geben wenig Anlass zur Entwarnung", teilten die Forscherinnen und
Forscher mit.

Felchen schlüpfen zu früh

Die Larven der Kälte-liebenden Felchen würden bei höheren Temperaturen
deutlich früher schlüpfen - "also nicht wie üblich im Februar, sondern
vielleicht schon Ende Januar", erklärten die Forscher. Dieser "Frühstart" könne
sich als problematisch erweisen, weil zu diesem Zeitpunkt meist noch nicht
ausreichend Futterorganismen vorhanden seien. "Außerdem konnte eine höhere
Sterblichkeit der Eier nachgewiesen werden, da diese bei wärmerem Wasser mit
einem höheren Befall von Mikroorganismen zu kämpfen haben."

Für erfolgreich geschlüpfte Larven gehe der Überlebenskampf weiter.
Normalerweise seien sie über den Dottersack zunächst gut versorgt, einem kleinen
eingebauten Nahrungsvorrat. Doch bei höheren Temperaturen verbrauche sich der
Vorrat überproportional schnell - was ebenfalls die Überlebenswahrscheinlichkeit
verringere.

Bodensee wird immer wärmer

Im tiefen Wasser, wo sich die Eier der Blaufelchen entwickeln und die Larven schlüpfen, überschreite die Wassertemperaturen schon heute Werte, die
ursprünglich erst für das Jahr 2040 prognostiziert worden seien. "Auch im
Flachwasser, wo die Gangfische laichen, ist es heute rund ein Grad wärmer als
üblich."

Laut einer Auswertung des Seeforschungsinstituts Langenargen lag die
Temperatur in der Tiefe im Jahresdurchschnitt 2023 bei 5,4 Grad. Das ist ein
neuer Höhepunkt. Zehn Jahre zuvor waren es noch 4,3 Grad. Die Temperatur steigt
von Jahr zu Jahr an.

Im Jahr 2022 erreichte die Temperatur in dem Binnengewässer im
Jahresdurchschnitt an der Wasseroberfläche einen Höchstwert von 14,1 Grad. Das
Seeforschungsinstitut Langenargen der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg
(LUBW) misst die Wassertemperatur im See seit 1962. Damals betrug sie im Schnitt
noch 10,5 Grad.

Auch für die ausgewachsenen Felchen wird befürchtet, dass diese im Sommer,
wenn sie normalerweise Wasserflöhe in den lichtdurchfluteten Bereichen an der
Seeoberfläche fressen, aufgrund des zu stark erwärmten Wassers nicht mehr in
diese Bereiche einschwimmen. Dadurch seien sie von ihrer Nahrung getrennt.

Mensch muss nachhelfen

Felchen sind laut den Forschern nicht nur ein Wahrzeichen der Bodenseeregion und eine geschätzte Delikatesse: "Als Leitart des Freiwassers sind sie
gleichzeitig von immenser Bedeutung für das Funktionieren und die
Widerstandsfähigkeit des gesamten Ökosystems."

Die durch die Klimakrise verursachten Veränderungen erfolgten aus
erdgeschichtlicher Sicht so schnell, dass die natürliche Anpassungsfähigkeit oft
nicht Schritt halten könne. Deshalb müsse man bei den Felchen nachhelfen. Dies
werde durch die gezielte Aufzucht von größeren Besatzlarven versucht, die die
kritischen ersten Lebenswochen behütet und kühl in der Zucht "überspringen" und
anschließend auch kürzere Hungerphasen vielleicht besser überstehen.

Felchenfangverbot seit Januar

Weil die Felchenerträge seit Jahren zurückgehen, dürfen die Fische seit
Januar im Bodensee-Obersee nicht mehr gefangen werden. Im Fangjahr 2023 gingen
den Fischern lediglich 9,9 Tonnen ins Netz und damit 94 Prozent weniger als im
schon sehr geringen 10-Jahres-Mittel (165 Tonnen). Mit der im Juni 2023 von der
Internationalen Bevollmächtigtenkonferenz für die Bodenseefischerei (IBKF)
beschlossenen dreijährigen Schonzeit für Felchen soll sich der Bestand erholen.

Die Gründe für den dramatischen Ertragsrückgang sind vielfältig. Die Felchen finden zum einen weniger Futter, weil der Bodensee wieder nährstoffarm geworden
ist. Doch die aktuell größte Rolle spielt Fischexperten zufolge der Stichling.
Der kleine silberne Fisch wurde Anfang der 1950er Jahre erstmals im Bodensee
nachgewiesen und hat sich nach unauffälligen Jahrzehnten für alle überraschend
ab 2012 explosionsartig vermehrt und dominiert heute den größten Lebensraum des
Sees, das Freiwasser./bak/DP/zb

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