27.06.2024 14:55:31 - dpa-AFX: ROUNDUP: Commerzbank schöpfte bei Wirecard Verdacht - und fand keinen Ausweg

(Aktualisierung um Aussage Commerzbank-Sspezialistin zu verdächtigen
Geldströmen bei Wirecard)

MÜNCHEN (dpa-AFX) - Im Wirecard-Skandal meldete die Commerzbank
Finanzermittlern und Aufsicht über ein Jahr vor dem Kollaps des
Konzerns den konkreten Verdacht krimineller Machenschaften. Doch kam keine
Rückmeldung der Ermittler, wie eine Betrugsspezialistin der Bank am Donnerstag
als Zeugin im Münchner Wirecard-Prozess berichtete. Auch die Commerzbank selbst
zählte am Ende zu den Opfern: Obwohl das Frankfurter Geldhaus die
Geschäftsbeziehung zu Wirecard beenden wollte, war das bis zum Wirecard-Kollaps
im Sommer 2020 noch nicht vollzogen. Das berichtete der frühere Risikovorstand
Marcus Chromik.

Nachdem Presseberichte die Bank unruhig gemacht hatten, kam die
Betrugsspezialistin über 340 verdächtigen Überweisungen von insgesamt 350
Millionen Euro auf die Spur. Unter anderem fand sie heraus, dass 19
Wirecard-Partnerfirmen sämtlich in einem einzigen Singapurer Wolkenkratzer - 111
North Bridge Road - residierten, die zudem alle von den gleichen Menschen
geleitet wurden, "nur jeweils in ihrer Funktion vertauscht."

"Das war für mich ein Hinweis, dass es sich um ein Geflecht von Scheinfirmen handeln könnte." Im Februar 2019 meldete die Commerzbank diese Fälle der FIU,
der für Finanzkriminalität zuständigen Ermittlungsbehörde des Bundes. "Es gab
keine Reaktion der FIU", berichtete die Zeugin. Die Bank informierte demnach
auch die Finanzaufsicht Bafin.

Nach Angaben des früheren Risikovorstands Marcus Chromik beschloss die Bank
wegen der gravierenden Geldwäsche- und anderer Verdachtsmomente im Frühjahr 2019
einen "soft exit" (engl. für "weichen Ausstieg"), um die Geschäftsbeziehung mit
Wirecard zu beenden. "Das kann so nicht weitergehen, das müssen wir exiten",
beschrieb der Spitzenmanager am Donnerstag als Zeuge im Münchner
Wirecard-Prozess die damalige Entscheidung.

Die Commerzbank war mit einem Darlehensanteil von 200 Millionen Euro
Konsortialführerin der 15 Banken, die Wirecard einen gemeinsamen Kreditrahmen in
Höhe von bis zu 1,75 Milliarden Euro gewährt hatten. Tatsächlich ausgeliehen
hatte der Skandalkonzern laut Anklage gut 1,6 Milliarden Euro. Nach der
Wirecard-Pleite im Juni 2020 war das Geld größtenteils verloren.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem früheren Vorstandschef Markus Braun und
seinen zwei Mitangeklagten vor, die Banken gezielt betrogen zu haben. Der seit
vier Jahren in Untersuchungshaft sitzende Braun bestreitet sämtliche
Anklagepunkte.

In der Chefetage der Commerzbank wurde nach Chromiks Worten damals die
sofortige Kündigung des Kreditvertrags diskutiert. Dies wäre demnach jedoch
rechtlich nicht möglich gewesen. Angesichts der Tatsache, dass die Commerzbank
Verdacht geschöpft hatte, wäre ein Verkauf des Kreditengagements ebenfalls
"nicht trivial" gewesen, sagte Chromik.

So beschloss die Bank demnach, erst bei der nächsten fälligen Verlängerung
des Konsortialkredits auszusteigen - doch vorher meldete Wirecard Insolvenz an.
Auch Chromik merkte an, dass die Finanzaufsicht Bafin und die deutsche Justiz zu
diesem Zeitpunkt im Frühjahr noch in die andere Richtung marschierten und
stattdessen prüften, ob Wirecard Ziel krimineller Machenschaften von
Aktienspekulanten sein könnte. "Der Exit aus einem Dax -Konzern
wäre einmalig in der Geschichte der Bank gewesen", sagte Chromik. "Wir wussten
nicht, ob wir nicht komplett falsch liegen und dann als Deppen am Markt
dastehen."/DP/tih
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