24.06.2024 16:53:55 - dpa-AFX: WDH/ROUNDUP: Kreml droht den USA nach ukrainischem Raketenangriff

(Fehlendes Wort im 1. Satz des 3. Absatzes eingefügt)

MOSKAU/SEWASTOPOL (dpa-AFX) - Nach einem verheerenden Raketenangriff auf die Stadt Sewastopol auf der seit 2014 von Russland annektierten
Schwarzmeer-Halbinsel Krim will Moskau Washington zur Verantwortung ziehen. "Es
versteht sich, dass die unmittelbare Beteiligung der USA an Kampfhandlungen, in
deren Ergebnis russische Zivilisten ums Leben kommen, nicht ohne Folgen bleiben
kann", drohte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Montag Konsequenzen an. Das
russische Außenministerium bestellte zugleich die US-Botschafterin in Moskau,
Lynne Tracy, ein und übergab ihr eine Protestnote.

Auslöser der scharfen Rhetorik war ein ukrainischer Raketenangriff am
Sonntag um die Mittagszeit. Nach russischen Angaben feuerte Kiew dabei fünf
Raketen vom US-Typ ATACMS ab. Zunächst hatte das Verteidigungsministerium in
Moskau erklärt, vier Raketen abgeschossen und die fünfte zumindest mittels der
eigenen Flugabwehr abgelenkt und über einem Strand zum Absturz gebracht zu
haben. Nach Bekanntwerden der hohen Opferzahlen aber änderte das Militär seine
Darstellung. Demnach zielten die Ukrainer mit der Rakete genau dorthin, wo sie
explodierte und bezweckten viele zivile Opfer.

Getroffen wurde ein Stadtstrand im Norden von Sewastopol, das seit 240
Jahren Sitz der russischen Schwarzmeerflotte ist. Nach jüngsten Angaben wurden
bei dem Angriff 4 Menschen getötet und mehr als 150 verletzt. Etwa 80 Verletzte
sind immer noch im Krankenhaus. Rund 20 von ihnen sollen wegen der Schwere ihrer
Verletzungen nach Moskau geflogen werden. Unter den Opfern sind auch viele
Kinder.

Kremlsprecher Peskow sprach von einer "barbarischen Attacke". Moskau wisse
ganz genau, wer dahinterstecke, sagte er. Kiew sei schuld, aber es seien nicht
die Ukrainer, die solch technisch komplizierte Raketen steuerten. Vielmehr
würden amerikanische Militärberater diese bedienen. Ähnlich argumentierte das
russische Außenministerium bei der Einbestellung der US-Botschafterin Tracy. Die
USA trügen in gleicher Weise die Verantwortung wie die Ukraine, hieß es.

Die US-Regierung hatte im Herbst 2023 mit der Lieferung der von der Ukraine
länger erbetenen ATACMS-Raketen begonnen. Zudem lockerten die USA das lange
geltende inoffizielle Verbot eines Einsatzes ihrer Waffen gegen russisches
Territorium. Für die Krim hat diese Neuerung allerdings keine Auswirkungen, da
die von Russland kontrollierte Halbinsel völkerrechtlich zur Ukraine zählt. Kiew
konnte daher schon vorher militärische Ziele dort mit westlichen Waffen
bekämpfen.

Moskau nutzte die Berichte über die vielen zivilen Opfern, um seine
Darstellung eines inhumanen Westens und einer angeblich faschistischen Führung
in der Ukraine vor allem für die eigenen Bürger zu bekräftigen. Aus russischer
Sicht wirkte da der Kommentar des Beraters im ukrainischen Präsidentenbüro,
Mychajlo Podoljak, wie eine Bestätigung: der Vertraute von Präsident Wolodymyr
Selenskyj bezeichnete die Opfer pauschal als "zivile Besatzer" und die bei
Touristen beliebte Krim als Militärbasis.

Die Ukraine beklagt seit langem, dass Russland seinen Angriffskrieg sehr
stark auch über die Krim führt. Das Hauptquartier der Schwarzmeerflotte wurde
bei einem Raketenangriff im Herbst schon schwer beschädigt. Zudem befindet sich
in unmittelbarer Nähe des Strands der Militärflugplatz Belbek, der auch in dem
seit mehr als zwei Jahren währenden Angriffskrieg weiter genutzt wird. Nicht
zuletzt deshalb nahm die Ukraine die Krim vor allem in den letzten Monaten
selbst stark ins Visier. Selenskyj hat zudem erklärt, die Halbinsel von der
russischen Besatzung befreien zu wollen.

Vor allem auf Objekte der Flugabwehr hat es Kiew mit seinen Angriffen
abgesehen, wobei auch die Zerstörung zahlreicher anderer militärischer Objekte
bekannt wurde. Moskau musste dank der neuen westlichen Waffen zuletzt zahlreiche
Rückschläge einstecken. Auch deswegen dürfte nach Ansicht von Experten in Moskau
das mediale Echo auf die vielen Opfer groß sein. Die Folgen der Kiewer Angriffe
auf russisch kontrolliertes Gebiet stehen aber in keinem Verhältnis zu den hohen
Opferzahlen und schweren Zerstörungen in der Ukraine.

Welche konkreten Folgen der Raketenangriff auf Sewastopol für die USA hat,
sagte Peskow nicht. Das werde die Zeit zeigen, sagte er. Der 56-Jährige verwies
auf Aussagen von Präsident Wladimir Putin während dessen Asienreise in der
vergangenen Woche. Dort hatte der Kremlchef erneut damit gedroht, die westlichen
Waffenlieferungen an die Ukraine seinerseits mit der Weitergabe von russischen
Waffen und Technologien an Kräfte zu beantworten, die dem Westen feindlich
gegenüberstünden.

Die Aussage traf Putin vor dem Hintergrund seiner Reise nach Nordkorea, wo
Machthaber Kim Jong Un Atomwaffen entwickelt. Schon jetzt verdächtigen westliche
Staaten Moskau, trotz Sanktionen Technologien an Pjöngjang weiterzureichen - im
Tausch gegen Artilleriemunition und Raketen, die es für Zerstörungen in seinem
Angriffskrieg gegen die Ukraine einsetzt./bal/DP/jha

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