09.07.2024 08:30:19 - dpa-AFX: ROUNDUP: Umstrittener MSC-HHLA-Deal - Bürgerschaft entscheidet wohl später

HAMBURG (dpa-AFX) - Die Hamburgische Bürgerschaft muss als letzte Instanz
dem umstrittenen Deal zum Einstieg der weltgrößten Reederei MSC beim
Hafenlogistiker HHLA zustimmen. Eigentlich will die rot-grüne
Koalition die Pläne gerne am Mittwoch in der letzten Sitzung vor der Sommerpause
absegnen. CDU und Linke haben aber angekündigt, der von Rot-Grün geplanten
Abstimmung in erster und zweiter Lesung in der letzten Sitzung vor den
Sommerferien zu widersprechen. Das dafür notwendige Fünftel der Mandate halten
die beiden Parteien. Auch die AfD hatte sich gegen den Deal ausgesprochen. Die
Opposition könnte die endgültige Entscheidung bis nach der Sommerpause
hinauszögern, aber nicht verhindern. An der Zustimmung der Bürgerschaft zu dem
mindestens 40 Jahre laufenden Vertrag besteht angesichts der rot-grünen
Zweidrittelmehrheit jedoch kein Zweifel. Doch worum geht es bei dem Geschäft
überhaupt? Ein Überblick:

Wer ist die HHLA?

Die Hamburger Hafen und Logistik AG, kurz HHLA, ist nicht irgendein
Umschlagbetrieb. Das aus der 1885 gegründeten Hamburger
Freihafen-Lagerhaus-Gesellschaft (HFLG) hervorgegangene Unternehmen ist das Herz
des Hamburger Hafens. So wurden an seinen drei Containerterminals - Tollerort,
Altenwerder und Burchardkai - im vergangenen Jahr rund 5,9 Millionen
Standardcontainer (TEU) umgeschlagen. Das entspricht rund 77 Prozent des
Hamburger Gesamtumschlags von etwa 7,7 Millionen TEU. Darüber hinaus ist die
HHLA mit ihren knapp 6800 Beschäftigten engagiert bei Terminals im ukrainischen
Hafen Odessa, im italienischen Triest sowie im estnischen Hafen Muuga.

Mindestens genauso wichtig wie die Terminals sind für die HHLA ihre
Unternehmen zum Weitertransport der Container auf der Straße und der Schiene.
Für Bahntransporte hat die HHLA ihre Tochter Metrans, die im vergangenen Jahr
knapp 1,4 Millionen TEU vor allem in zahlreiche Länder in Mittel- und
Südosteuropa gefahren hat. Rechnerisch entspräche das mehr als der Hälfte aller
im Hamburger Hafen per Bahn bewegten rund 2,5 Millionen TEU, wobei die Metrans
auch in anderen Häfen aktiv ist.

Eine Kuriosität und der Geschichte geschuldet ist das Engagement des
Hafenlogistikers im Immobilienbereich. Weil die HFLG als ihr
Vorgängerunternehmen die Speicherstadt als damals größten Lagerhauskomplex der
Welt entwickelt und gebaut hat, ist die HHLA noch heute für das
Unesco-Weltkulturerbe zuständig, hat dort auch ihren Konzernsitz. Zudem kümmert
sich die HHLA unter anderem um Immobilien rund um den vor allem bei Touristen
beliebten Hamburger Fischmarkt.

Wie geht es der HHLA?

Die Lage ist schwierig. Als international ausgerichtetes Unternehmen treffen die Krisen der Welt die HHLA oft unmittelbar und hart. So blieb im vergangenen
Jahr bei einem Umsatz von rund 1,45 Milliarden Euro gerade mal ein Gewinn von 20
Millionen Euro übrig. Der Containerumschlag ging um 7,5 Prozent zurück, der
Containertransport um 5,4 Prozent - und bestätigte damit anders als bei den
Hauptkonkurrenzhäfen Rotterdam und Antwerpen einen seit der Weltfinanzkrise 2008
mal mehr mal weniger anhaltenden Trend. Im ersten Quartal dieses Jahres ist die
HHLA sogar in die roten Zahlen gerutscht. Bei 363,6 Millionen Euro Umsatz
verbuchte sie einen Nettoverlust von 1,1 Millionen Euro.

Hinzu kommen Umbrüche bei den großen Reedereien, die sich etwa wie Maersk
und Hapag-Lloyd in der "Gemini Cooperation" zusammenschließen und
zum Ärger der HHLA künftig vorrangig Häfen anlaufen wollen, in denen sie selbst
Terminals besitzen oder kontrollieren - in Deutschland etwa Bremerhaven und
Wilhelmshaven. Hapag-Lloyd hat bereits einen Ladungsrückgang von zehn Prozent im
Hamburger Hafen angekündigt. Entsprechend hat sich auch der Aktienkurs der seit
2007 börsennotierten HHLA entwickelt. Gestartet mit 59 Euro je Aktie krebste sie
zuletzt bei elf bis zwölf Euro herum. Dabei braucht die HHLA dringend Geld für
die Modernisierung und Automatisierung ihrer Terminals.

Was tun?

Hamburgs rot-grüner Senat - die Stadt hielt bislang rund 70 Prozent der
Aktien, der Rest war in Streubesitz - entschied sich für eine Rosskur bislang
ungekannten Ausmaßes. Am frühen Morgen des 13. September 2023 traten
Bürgermeister Peter Tschentscher, Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard,
Finanzsenator Andreas Dressel (alle SPD) überraschend vor die Presse und
verkündeten, dass die weltgrößte Reederei MSC bei der HHLA einsteigen und
künftig 49,9 Prozent des Unternehmens halten werde. Die Stadt werde ihren Anteil
auf 50,1 Prozent reduzieren. Tschentscher sprach von einer wegweisenden
Transaktion, die zu einer strategischen Partnerschaft der Stadt mit dem in Genf
ansässigen Konzern der italienischen Reederfamilie Aponte führe. "Dies kann
unserer gesamten maritimen Wirtschaft die Schubkraft geben, die in schwierigen
Zeiten gebraucht wird."

Was ist genau verabredet?

Für knapp die Hälfte der Anteile wird die Reederei Mediterranean Shipping
Company (MSC) ihr Ladungsaufkommen an den HHLA-Terminals laut Drucksache von
2025 an erhöhen und bis 2031 auf eine Million TEU pro Jahr steigern. Außerdem
werde sie in der Hafencity eine neue Deutschlandzentrale bauen, in die auch die
Kreuzfahrtsparte MSC Cruises einziehen werde; die Mitarbeiterzahl werde sich mit
zusätzlich 700 Jobs in Hamburg mehr als verdoppeln. Zudem wollen MSC und die
Stadt das Eigenkapital der HHLA um 450 Millionen Euro erhöhen. Finanzsenator
Dressel sagte, im Vordergrund der Verhandlungen für den über mindestens 40 Jahre
laufenden Vertrag hätten zwei Punkte gestanden: "Wir müssen die Mehrheit
behalten und wir müssen die Mitbestimmung gewährleisten." Beides sei erreicht.
"Wir haben als Stadt auch weiterhin das Vorschlagsrecht für die CEO- und die
Aufsichtsvorsitz-Positionen."

Was passierte nach dem Auftritt des Senats?

Kurz: Es brach ein Sturm der Entrüstung los. Hafenarbeiterinnen und
Hafenarbeiter gingen mehrmals auf die Straße, machten in wütenden
Demonstrationen ihrem Ärger Luft, schreckten gar vor einem wilden Streik nicht
zurück. Betriebsräte, die Gewerkschaft Verdi, ja selbst Sachverständige warnten
in Expertenanhörungen und in einer Öffentlichen Anhörung der Hamburgischen
Bürgerschaft vor einem "historischen Fehler" und flehten die Abgeordneten schon
fast an: "Führen Sie uns nicht in die Katastrophe." So steht etwa in der
Drucksache, dass betriebsbedingte Kündigungen, wesentliche Änderungen der
Mitarbeiterzahl oder das Verlassen der Arbeitgeberverbände "nicht vor Ablauf von
fünf Jahren (...) in Betracht kommen". Sehr wohl aber danach, sind Kritiker
überzeugt.

Vor allem das Geschäftsgebaren von MSC steht im Feuer. Ist MSC doch nicht
gerade für ein Engagement in Sachen Mitbestimmung bekannt, feuerte in einem
Tochterunternehmen in Hamburg auch schon mal einen früheren Betriebsratschef.
Oder MSC-Chef Soren Toft selbst, der in Hamburg kein Unbekannter ist: So
versprach er 2017 noch als Vorstandschef der weltweit zweitgrößten Reederei
Maersk nach Übernahme der Reederei Hamburg Süd, dass diese eine "kommerziell
unabhängige Marke" bleibe. 2021 feierte sie noch ihr 150-jähriges Bestehen, seit
2023 gibt es nicht einmal mehr den Namen.

Wo entzündete sich die Kritik am MSC-Deal noch?

Am Preis. Etliche Kritiker sind sich sicher, dass der ausgehandelte Preis
von 16,75 Euro pro Aktie und damit knapp 233 Millionen Euro für die städtischen
HHLA-Anteile viel zu niedrig angesetzt sind. So sagte der frühere Präsident des
Unternehmensverbands Hafen Hamburg, Gunter Bonz, dem "Hamburger Abendblatt":
"Glückwunsch an MSC. Das Unternehmen hat alles richtig gemacht und den Senat
nach Strich und Faden über den Tisch gezogen." Die HHLA sei viel mehr wert,
allein die Metrans schon zwei Milliarden Euro. Der hafenpolitische Sprecher der
CDU-Bürgerschaftsfraktion, Götz Wiese, hat deshalb bereits Beschwerde bei der
Europäischen Kommission eingelegt. "Geheimverhandlungen, keine Ausschreibung,
keine Bewertung nach anerkannten Grundsätzen der Wirtschaftsprüfer, unabhängige
Experten durften die Vertragsunterlagen nicht einsehen", begründete er sein
Vorgehen.

Wer ist überhaupt MSC?

Da ist schwer zu beantworten. Bekannt ist: MSC ist die größte
Container-Reederei der Welt. Ihre Container-Sparte umfasst nach
Unternehmensangaben 760 Schiffe, die 520 Häfen in 155 Ländern anlaufen. Über die
Tochter TiL ist das Unternehmen an rund 70 Terminals weltweit beteiligt. In
Bremerhaven ist MSC in einem Joint Venture mit Eurogate mit 50 Prozent am MSC
Gate Bremerhaven beteiligt. Das war es dann im Grunde aber auch schon an
offiziellen Informationen. MSC-Chef Toft sagte bereits: "Wir geben die
Informationen, die wir geben müssen." - mehr aber auch nicht. Umsatz und Gewinn
der Reederei beispielsweise bleiben unter Verschluss. Angeblich soll MSC im Jahr
2022 mehr 86 Milliarden Euro Umsatz und 36 Milliarden Euro Gewinn erwirtschaftet
haben, was Analysten zumindest für nicht unwahrscheinlich halten - allein der
Gewinn entspräche fast dem Doppelhaushalt 2023/24 der Hansestadt
Hamburg./klm/DP/tih
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