02.07.2024 14:31:53 - dpa-AFX: POLITIK/ROUNDUP/Scholz: Hilfen für Opfer deutscher Besatzung in Polen

WARSCHAU (dpa-AFX) - Überlebende Opfer der deutschen Besatzung in Polen
während des Zweiten Weltkriegs sollen von der Bundesregierung in Kürze Hilfe
erhalten. Zudem wollen Deutschland und Polen ihre Zusammenarbeit mit einem
Aktionsplan auf eine neue Grundlage stellen. Dies sind Ergebnisse der
deutsch-polnischen Regierungskonsultationen, die nach einer mehrjährigen Pause
in Warschau stattfanden. Inmitten der Haushaltsverhandlungen war Bundeskanzler
Olaf Scholz (SPD) dafür in Begleitung von zwölf Bundes- und Staatsministern nach
Polen gereist. Das Treffen markiert einen Neustart in den schwierigen
Beziehungen zwischen beiden Ländern.

"Deutschland weiß um die Schwere seiner Schuld, um seine Verantwortung für
die Millionen Opfer der deutschen Besatzung, und um den Auftrag, der daraus
erwächst", sagte Scholz bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem polnischen
Regierungschef Donald Tusk. Deutschland stehe zu seiner historischen
Verantwortung ohne Wenn und Aber. Nach Angaben von Tusk soll die finanzielle
Unterstützung bereits in wenigen Monaten fließen.

PiS-Regierung belastete das Verhältnis mit antideutschen Tönen

In den vergangenen Jahren hatte die nationalkonservative PiS-Regierung, die
Polen von 2015 bis 2023 führte, das Verhältnis zu Berlin mit antideutschen Tönen
und Reparationsforderungen in Höhe von 1,3 Billionen Euro zerrüttet. Seit
November 2018 gab es daher auch keine Regierungskonsultationen mehr. Im Dezember
wurde die PiS-Regierung durch ein Mitte-Links-Bündnis unter Tusk abgelöst.
Seitdem hat sich das Klima verbessert.

"Die Situation älterer Opfer ist eine, die uns sehr bewegt, und da werden
wir auch Aktivitäten unternehmen," betonte der Bundeskanzler. Scholz sagte
nicht, wann und wie viel Entschädigung den etwa 40.000 noch lebenden Opfern der
deutschen Besatzung Polens gezahlt werden soll. Verantwortung für die
Vergangenheit bedeute auch Verantwortung für die gemeinsame Zukunft, sagte
Scholz weiter. "Die Sicherheit Polens ist auch Deutschlands Sicherheit". Die
Zusammenarbeit im Bereich Sicherheit und Verteidigung solle gezielt ausgebaut
werden. Man stehe gemeinsam fest an der Seite der Ukrainerinnen und Ukrainer.

Tusk: Gesten sind in der Politik auch wichtig

Tusk bezeichnete die Ankündigung des Bundeskanzlers als Schritt in die
richtige Richtung. "Es gibt keinen Geldbetrag, der all das ausgleichen würde,
was im Zweiten Weltkrieg passiert ist", sagte er. Im formalen und rechtlichen
Sinne sei die Frage der Reparationen abgeschlossen, dies hätten in der
Vergangenheit auch polnische Regierungen so gesehen. Trotzdem könne die von der
Bundesregierung versprochene Hilfe für die Opfer der Besatzung einer neuen
Öffnung in den deutsch-polnischen Beziehungen dienen. "Denn gute Gesten sind in
der Politik auch sehr wichtig", sagte Tusk.

Polens Regierungschef betonte, angesichts des russischen Angriffskriegs
gegen die Ukraine zähle für ihn derzeit vor allem das deutsche Engagement für
Sicherheit in Europa. "Für mich ist wichtig, dass Deutschland bereit ist zu
einer sehr viel größeren Verantwortung für die Sicherheit des Kontinents, dafür,
dass es bei uns in Europa keinen Krieg geben wird."

Aktionsplan legt Schwerpunkt auf Verteidigung

In einem 40-seitigen Aktionsplan hielten beide Seiten weitere Schritte der
geplanten Zusammenarbeit fest. Ein weiteres Projekt im Dienste der Aussöhnung
ist der Bau des Deutsch-Polnischen Hauses in Berlin. Das Haus soll an die
komplizierte deutsch-polnische Geschichte und die brutale deutsche Besatzung
während des Zweiten Weltkriegs (1939-1945) erinnern und einen Ort des Gedenkens
für die polnischen Opfer schaffen. Beide Seiten legen Wert auf eine
schnellstmögliche Fertigstellung dieses Baus, wie es in dem Papier heißt.

Viel Platz räumt der Aktionsplan dem Thema Verteidigung ein. Das EU- und
Nato-Mitglied Polen ist einer der engagiertesten politischen und militärischen
Unterstützer der von Russland angegriffenen Ukraine. Zudem hat das Land, das
außer an die Ukraine auch noch an Belarus und die russische Exklave Kaliningrad
grenzt, als Frontstaat neue Bedeutung erhalten. In dem Papier heißt es nun: "Wir
werden die Interoperabilität und Standardisierung unserer
Verteidigungskapazitäten verstärken, Produktionskapazitäten erhöhen und
Investitionen unserer Verteidigungsindustrie fördern."

Initiativen bei Panzern und Munition

Konkret ist davon die Rede, im Bereich Panzer und Munition gemeinsame
Initiativen zu entwickeln. Dabei geht es auch um eine erhöhte Verfügbarkeit von
Ersatzteilen für Leopard-Kampfpanzer, die beide Länder an die Ukraine geliefert
haben.

Außerdem wollen Polen und Deutschland ihre "Bemühungen zur Schaffung einer
stärkeren und leistungsfähigeren europäischen Säule in der Nato", die wesentlich
zum Abschreckungspotenzial des Bündnisses beitrage, aufeinander abstimmen, heißt
es weiter. Polen erwägt zudem, sich an der von Deutschland koordinierten
Initiative "European Sky Shield" zu einer europäischen Luftverteidigung zu
beteiligen./jr/DP/mis

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