05.07.2024 12:09:38 - dpa-AFX: HINTERGRUND: Frankreichs Parlamentswahl verstehen

PARIS (dpa-AFX) - Nachdem Präsident Emmanuel Macron vor wenigen Wochen die
Nationalversammlung aufgelöst hat, stimmt Frankreich am Sonntag final über die
neue Zusammensetzung der Parlamentskammer ab. Im Gegensatz zur Bundestagswahl
werden nur Direktmandate vergeben. Zur Wahl gehören deshalb auch andere
taktische Überlegungen. Um Macrons Amt geht es bei dem Votum nicht. Dennoch ist
sie für das weitere Regieren entscheidend. So funktioniert Parlamentswahl im
Nachbarland:

Welche Rolle hat die Nationalversammlung?

Die Nationalversammlung ist das zentrale Machtzentrum des französischen
Parlaments. Die 577 Abgeordneten werden für eine Dauer von fünf Jahren direkt
gewählt. Sie stimmen über Gesetze ab. Mit dem Senat gibt es auch noch eine
zweite Parlamentskammer, die allerdings eine weniger wichtige Rolle einnimmt und
zu einem anderen Zeitpunkt gewählt wird. Sind sich die Kammern nicht einig, kann
die Regierung der Nationalversammlung das letzte Wort lassen. Der Senat ist
konservativ geprägt. In der Nationalversammlung hatte zuletzt das Mitte-Bündnis
des Staatschefs Emmanuel Macron die meisten Sitze, aber keine absolute Mehrheit.

Wie wichtig wäre eine Mehrheit für Macron?

Dass ein Regieren ohne absolute Mehrheit in der Nationalversammlung
schwierig ist, haben die vergangenen zwei Jahre gezeigt. Eine absolute Mehrheit
würde Macron daher sehr helfen. Nur ist quasi ausgeschlossen, dass dies gelingt.
Folgen hat das vor allem, da das Unterhaus die Regierung per Misstrauensvotum
stürzen kann. Sollte ein anderes Lager als das von Macron eine absolute Mehrheit
erhalten, wäre der Präsident faktisch gezwungen, einen Regierungschef aus deren
Reihen zu ernennen. Die Rechtsnationalen machen sich große Hoffnung darauf, an
die Regierung zu kommen. Auch wenn es bei der Wahl nicht um Macrons Posten geht,
wäre seine Position in einem solchen Szenario deutlich geschwächt.

Wie läuft die Wahl ab?

Die Abgeordneten werden nach dem Mehrheitswahlrecht direkt vom Volk gewählt. Wer mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen in seinem Wahlkreis erhält,
bekommt den Parlamentssitz, sofern dies mindestens einem Viertel der
eingeschriebenen Wähler dort entspricht. Das schafften im ersten Wahlgang am
vergangenen Sonntag 76 Kandidatinnen und Kandidaten.

Der Großteil der Sitze wird in den Stichwahlen vergeben. In diese Endrunde
kommt, wer mindestens 12,5 Prozent der Stimmen der eingeschriebenen Wählerinnen
und Wähler bekommen hat. In jedem Fall kommen die beiden Erstplatzierten weiter.
Es gewinnt in der zweiten Runde dann die Person mit den meisten Stimmen.

Warum sind einige Kandidaten vor der zweiten Runde zurückgetreten?

Durch das Mehrheitswahlrecht zählen am Ende nur die Stimmen für den Gewinner im Wahlkreis für die Sitzvergabe. Wenn mehr als zwei Personen in die Endrunde
kommen, schließen Parteien daher häufig Bündnisse, um sich nicht gegenseitig
Stimmen wegzunehmen. In diesem Fall haben sich das Linksbündnis und Macrons
Mitte-Kräfte auf eine solche Zweckallianz verständigt. An vielen Orten, wo aus
ihren Reihen ein Kandidat auf Platz drei gelandet ist, wurde die Kandidatur
zurückgezogen. Stattdessen wird zur Wahl des noch verbleibenden linken oder
liberalen Kandidaten aufgerufen. Die Parteien hoffen, so die Wahl von möglichst
vielen Kandidaten des rechtsnationalen Rassemblement National zu verhindern.

Wie wirkt sich das Wahlsystem auf die Sitzverteilung aus?

Das Mehrheitswahlrecht macht es kleinen Parteien bei der Parlamentswahl
schwer. Denn deren Kandidaten schaffen es oft gar nicht erst in die zweite
Runde. Viele in Frankreich beklagen, dass das Parlament wenig repräsentativ
ist./rbo/DP/jha

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