19.06.2024 15:27:54 - dpa-AFX: POLITIK/PORTRÄT/Dreyer nach elf Jahren: 'Mir geht die Kraft aus'

MAINZ (dpa-AFX) - Sympathisches Lachen und immer einige empathische und
zuversichtliche Worte: Malu Dreyer war als Ministerpräsidentin auch außerhalb
der SPD beliebt. Seit 2013 führte sie als erste Frau eine Landesregierung in
Rheinland-Pfalz an und bekundete trotz aller Spekulationen bis zuletzt, dass sie
noch viel vorhabe. Nicht wenige glaubten, sie werde 2026 noch einmal antreten.
Jetzt entschied sich die 63-Jährige, die an Multiple Sklerose (MS) erkrankt ist,
sichtlich "schweren Herzens" für den Rückzug. "Weil mir meine Kraft ausgeht."

Dreyer kam in Neustadt an der Weinstraße zur Welt. Wie in der Pfalz üblich
wurde ihr Vorname Marie-Luise zu Malu verkürzt. Ihr Vater war Schulleiter und
überzeugter CDU-Anhänger, ihre Mutter Erzieherin. Dreyer studierte in Mainz
Jura, wurde Staatsanwältin, Bürgermeisterin von Bad Kreuznach, Sozialdezernentin
von Mainz und 2002 Sozialministerin. Als ihr Vorgänger Kurt Beck nach 18 Jahren
Amtszeit wegen der Nürburgring-Insolvenz in Bedrängnis geriet, bestimmte er
Dreyer zu seiner Nachfolgerin.

Zunächst regierte sie ab 2013 mit den Grünen. Dann führte sie ab 2016 die
erste Ampel-Regierung in Deutschland an, die 2021 bestätigt wurde. Anders als im
Bund fiel diese nie größer durch Streitereien auf - ein Verdienst Dreyers, heißt
es auch bei ihren Koalitionspartnern. Dabei lag ihr Umweltpolitik besonders am
Herzen, politisch war sie näher bei den Grünen als bei der FDP.

Im Wahlkampf 2021 setzte die Landes-SPD auch angesichts schlechter
Umfragewerte mit dem Slogan "Wir mit ihr" voll auf ihr Zugpferd und gewann gegen
die CDU und ihren Spitzenkandidaten Christian Baldauf. Fünf Jahre zuvor hatte
Dreyer überraschend gegen ihre lange in Umfragen vorne liegende Herausforderin
Julia Klöckner gewonnen.

Dreyer suchte immer das Gespräch mit Menschen, hatte für ihre Gegenüber
stets ein Lächeln oder ein paar Worte übrig. Auch führende Oppositionspolitiker
nannten sie "eine sympathische Frau", gegen die es schwer zu punkten sei. Sich
selbst beschrieb Dreyer einmal als "verlässlich, unaufgeregt und klar".

Dreyer gehört auch bundesweit zu den bekanntesten Sozialdemokraten. Einen
Wechsel in die Bundespolitik hatte sie - ein politischer Profi durch und durch -
aber stets ausgeschlossen. Dies auch, als sie nach dem Rücktritt von Andrea
Nahles 2019 rund ein halbes Jahr eine der kommissarischen Parteichefs war und am
Wahlprogramm mitarbeitete.

Die Pandemie nannte sie die "größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg" und
trat als unaufgeregte Lotsin auf, die in der Krise Zuversicht verbreitete, immer
bemüht um die richtige Balance zwischen Öffnen und Schützen. Sichtlich zu
schaffen machten ihr der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, der Gaza-Krieg
und das Erstarken der AfD. Neben sozialer Gerechtigkeit und gleichen
Bildungschancen liegen der bekennenden Katholikin Gesundheitsthemen besonders am
Herzen. Und sie machte sich stets gegen Hass und Hetze sowie Rechtsextremismus
und für Demokratie stark.

Seit 2004 ist Dreyer mit dem früheren Oberbürgermeister von Trier, Klaus
Jensen, verheiratet. In einem Interview nannte sie ihn den "Glücksfall" und das
"Dauerhoch" ihres Lebens. Das Paar wohnt in dem inklusiven Wohnprojekt
Schammatdorf in Trier. In der Freizeit gehen die beiden Sozialdemokraten gerne
spazieren, ins Kino, ins Theater oder samstags in die Stadt einkaufen. Einen
Traum hat sich Dreyer mit ihrem Mann vor einigen Jahren erfüllt: Eine Reise nach
Tansania in die Serengeti und in den Ngorongoro-Krater.

Die Ahrtalkatastrophe mit mindestens 135 Toten im Sommer 2021 wurde Dreyer
nie ganz los. Dazu kamen zuletzt die auch physisch zehrenden Wahlkämpfe für
Europa und die Kommunalparlamente - mit deutlichen Einbußen für die SPD. Der
Bundestagswahlkampf steht noch vor der Landtagswahl 2026 an. Mit ihrer
MS-Erkrankung ging Dreyer offen um, machte sie aber nicht zum Thema. "Ich bin
63, also noch nicht uralt. Aber ich muss mir eingestehen, es ist nicht mehr so
wie mit 50", begründete sie ihren Rückzug./irs/DP/ngu

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