26.05.2024 14:29:40 - dpa-AFX: HINTERGRUND/15 Jahre Todesflug Rio-Paris: Kein Ende der Aufarbeitung in Sicht

PARIS (dpa-AFX) - Knapp 15 Jahre sind vergangen, seit eine
Air-France-Maschine auf dem Weg von Rio de Janeiro nach Paris mehr als Tausend
Meter in die Tiefe stürzte und 228 Menschen im Atlantik in den Tod riss. Doch
die juristische Aufarbeitung des Unglücks, das sich am Samstag jährt, ist noch
immer nicht abgeschlossen.

Für Flugzeugbauer Airbus und Airline Air France geht es in
Paris wegen des Vorwurfs fahrlässiger Tötung erneut vor Gericht. Die Angehörigen
schwanken angesichts des jahrelangen Kampfs für Aufklärung zwischen Hoffnung und
Zermürbung.

Die Air-France-Maschine des Flugs AF 447 war am 1. Juni 2009 auf dem Weg von Rio in die französische Hauptstadt in eine Unwetterfront geraten und von den
Radarschirmen verschwunden. Der Airbus vom Typ A330 stürzte in den Atlantik. 228
Menschen starben, darunter auch 28 Deutsche. Lange war die Ursache unklar. Erst
im Mai 2011 wurden die letzten Leichen und der Flugdatenschreiber aus etwa 4000
Metern Tiefe geborgen.

Eines der Opfer war die 31-jährige Ines. Wenn ihr Vater Bernd Gans aus dem
bayerischen Vaterstetten auf die Aufarbeitung des Todesflugs zurückschaut,
spricht er von "einer perfiden Verschleppungspolitik", etwa bei der Suche nach
dem Wrack und dem juristischen Hin und Her. Dass ein Berufungsgericht Airbus und
Air France 2021 schließlich wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung auf die
Anklagebank schickte, sei für die deutschen und französischen Hinterbliebenen
eine Genugtuung gewesen, schildert der 83-jährige Vorsitzende der deutschen
Hinterbliebenenvereinigung HIOP AF447.

Doch die beiden Konzerne wurden vor gut einem Jahr freigesprochen. Sie
hätten zwar nachlässig oder unvorsichtig gehandelt, doch weil nicht eindeutig
festgestellt werden könne, dass die Verfehlungen zu dem Absturz führten, hätten
diese strafrechtlich keine Relevanz, urteilte das Gericht. Gans nennt die
Begründung willkürlich. Von der französischen Hinterbliebenenorganisation
Entraide et Solidarté AF447 hieß es, das Urteil lasse sie in einer Schockstarre
zurück.

Der Prozess drehte sich um die Frage, ob Air France seine Piloten besser
hätte ausbilden und auf Extremsituationen vorbereiten können. Airbus wurde in
der Anklage vorgehalten, die Folgen eines Ausfalls der für die
Geschwindigkeitsmessung zuständigen Pitot-Sonden unterschätzt zu haben. Die
Sonden waren bei dem Flug eingefroren. Ein Expertengutachten hatte 2012
geurteilt, die Crew sei danach mit der eigentlich beherrschbaren Lage
überfordert gewesen.

Airbus und Air France hatten die Verantwortung für den Absturz
zurückgewiesen. Im Urteil hieß es trotz des Freispruchs, Vorfälle mit den Sonden
seien von Airbus nicht ausreichend nachverfolgt worden, Informationen seien
zurückgehalten worden. Air France hätte seine Piloten besser auf Probleme mit
den Sonden hinweisen können.

Die Staatsanwaltschaft ging zur Erleichterung der Angehörigen, von denen
rund 500 als Nebenkläger auftraten, gegen das Urteil in Berufung. Einen Termin
für das Berufungsverfahren gibt es bisher jedoch nicht, wie es aus Justizkreisen
hieß.

Danièle Lamy von der französischen Hinterbliebenenorganisation steht dem
Prozess durchaus skeptisch gegenüber. "Sollen wir Familien der Opfer die Qualen
eines vergeblichen und fruchtlosen Versuchs erneut erleben, noch einmal Monate
der juristischen Unruhen erleiden?" Für die Opfer werde man nicht resignieren,
damit die Verfehlungen anerkannt würden und ein Schuldspruch gesprochen werde.

Auch Gans hofft darauf, dass das Verfahren diesmal anders ausgeht -
besonders mit Blick auf die zwei Abstürze von Boeingmaschinen des Typs 737-Max
in den Jahren 2018 und 2019, bei denen 346 Menschen ums Leben kamen. "Das ist
dort eine ähnliche Situation gewesen, aber man hat Konsequenzen gezogen", meint
Gans. Die Flugzeuge wurden am Boden gehalten.

Bei den schon vor dem Todesflug Rio-Paris gemeldeten Problemen mit den
Sonden habe die europäische Flugsicherheitsbehörde EASA die Sicherheitsgefahr
nicht hoch genug eingestuft und kein Startverbot verhängt. Gans würde in
Berufung daher auch den damaligen Chef der EASA, Patrick Goudou, gerne auf der
Anklagebank sehen.

Air France und Airbus drohen in dem Verfahren Geldstrafen bis zu 225 000
Euro. Doch den Hinterbliebenen geht es nicht um die Buße für die Konzerne. Man
möchte einen Beitrag für mehr Sicherheit im Luftverkehr leisten, sagt Gans. "Und
ich würde sagen, es ist tatsächlich eine andere Situation geworden."

Air France habe die Ausbildung verbessert. Airbus und Thales
würden sich wohl genauer überlegen, was sie in den Verkehr bringen. Und: "So
einfach die Dinger unter den Teppich zu kehren, das geht nicht mehr", sagt Gans.
Es ginge neben dem Erinnern um das Weiterdenken, um den Luftverkehr. "Insofern
kann man das wirklich nicht hoch genug einschätzen, dass auch die Rechtsprechung
sich der Probleme annimmt."

Den Jahrestag des Absturzes werden Gans und seine Frau abseits des
juristischen Gerangels um die Verantwortung für den Tod ihrer Tochter und 227
anderer Menschen in einer Kirche verbringen. Nach dem Unglück haben sie und
Mittrauernde dort Orgelpfeifen auf den Namen ihrer Tochter Ines gestiftet. "Wir
fühlen uns mit unserer Tochter dort sehr verbunden", sagt Gans./rbo/DP/he
Name WKN Börse Kurs Datum/Zeit Diff. Diff. % Geld Brief Erster Schluss
AIRBUS SE 938914 Xetra 145,780 17.06.24 17:35:29 +1,980 +1,38% 145,420 0,000 144,540 143,800
THALES S.A. EO 3 850842 Frankfurt 152,500 17.06.24 20:08:16 +1,650 +1,09% 152,600 153,300 150,250 150,850
AIR FRANCE-KLM INH. EO 1 A3EJGH Xetra 9,450 17.06.24 17:35:49 -0,168 -1,75% 0,000 0,000 9,616 9,618

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