08.05.2024 14:49:17 - dpa-AFX: HINTERGRUND: Zulassungsaus für den Corona-Impfstoff 'Vaxzevria'

BERLIN (dpa-AFX) - Für den Corona-Impfstoff "Vaxzevria" gibt es auf Wunsch
des schwedisch-britischen Pharmaunternehmens Astrazeneca keine
Zulassung in der EU mehr. Der Konzern gibt "kommerzielle Gründe" an. In sozialen
Medien wird seither über mögliche andere Ursachen spekuliert - auch wenn es von
der EU-Kommission längst hieß, "dass die Entscheidung nicht auf Zweifeln an
Sicherheit oder Wirksamkeit des Impfstoffes beruht". Womöglich ist vielen nicht
klar, dass ein solcher Schritt keineswegs mysteriös ist, wie ein Fachverband
erläutert.

Ist eine Aufhebung der Zulassung auf Antrag des Herstellers ungewöhnlich?

Nein. Das zeigen allein schon die Werte für Deutschland: "Jährlich wird
typischerweise bei 5 bis 10 Originalmedikamenten die Zulassung zurückgenommen,
fast immer aus kommerziellen Gründen", teilte Rolf Hömke, Forschungssprecher
beim Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa), in Berlin mit. "Zum
Vergleich: Im Schnitt werden pro Jahr in Deutschland rund 36 Medikamente mit
neuem Wirkstoff neu eingeführt."

Hintergrund sei oft, dass es mittlerweile zur Behandlung der betreffenden
Krankheit noch bessere Medikamente gibt und die alten deshalb kaum noch zum
Einsatz kommen und entbehrlich sind.

Zu "Vaxzevria" hatte Astrazeneca erklärt, dass es inzwischen einen
Überschuss an verfügbaren aktualisierten, also an neue Varianten angepassten
Impfstoffen gebe. "Dies hat zu einem Rückgang der Nachfrage nach "Vaxzervria"
geführt, das nicht mehr hergestellt oder geliefert wird."

Gab es solche Fälle auch schon bei Corona-Impfstoffen?

Ja. Erst im März wurde von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) auf
Antrag des Herstellers Sanofi Pasteur die Zulassung für den
Corona-Impfstoff "VidPrevtyn Beta" beendet, im Oktober die für den
Corona-Impfstoff "Valneva" des Unternehmens Valneva Austria. In beiden Fällen
wurden ebenfalls kommerzielle Gründe angegeben. Für Auffrischimpfungen zum
Schutz vor schweren Covid-19-Verläufen sind inzwischen vorwiegend an neu
aufgekommene Corona-Varianten angepasste mRNA-Impfstoffe im Einsatz. Auch bei
Impfstoffen gegen andere Krankheiten gebe es Beispiele für eine Rücknahme der
Zulassung, sagte Hömke. So sei etwa die Zulassung für den Impfstoff "Fluenz"
gegen saisonale Grippe (2011-2014) zurückgenommen worden, als das
Nachfolgeprodukt "Fluenz4" eingeführt wurde, das vor mehr Grippevirenstämmen
schützen könne.

Warum stellen die Unternehmen nicht einfach nur die Produktion ein?

"Wir können nicht sagen, wie Unternehmen im Einzelfall zwischen einem Antrag auf Zulassungsrücknahme oder einem "außer Vertrieb"-Stellen abwägen", erklärte
Hömke. Ein Erwägungsgrund sei aber sicherlich, dass Unternehmen eine
Jahresgebühr für das Aufrechterhalten einer Zulassung bei der
Arzneimittelbehörde EMA bezahlen müssen. "Ein weiterer ist, dass ein Hersteller
für alle seine zugelassenen Produkte immer wieder "Periodic Safety Update
Reports" erstellen und bei der EMA anliefern muss ? selbst dann, wenn er ein
Produkt gar nicht vermarktet." Das binde Zeit und Ressourcen.

Worauf basiert "Vaxzevria"?

"Vaxzevria" ist ein sogenannter Vektorimpfstoff auf Basis eines Virus, in
den das Gen zum Aufbau des Spike-Proteins des neuartigen Coronavirus eingebracht
wurde. Dadurch bildeten Geimpfte Spike-Proteine, die eine Immunantwort
auslösten. Eine erste Notfallzulassung hatte der Impfstoff Ende Dezember 2020 in
Großbritannien erhalten. Ende Januar 2021 wurde eine - zunächst bedingte -
Zulassung in der Europäischen Union erteilt.

Welche möglichen Nebenwirkungen einer "Vaxzevria"-Impfung sind bekannt?

Die Zulassungsstudien zeigten für Impfungen normale Reaktionen wie Schmerzen an der Einstichstelle, Müdigkeit und allgemeines Unwohlsein sowie Kopfschmerzen
und in seltenen Fällen weitere mögliche Komplikationen. Als sehr seltene
schwerwiegende Nebenwirkung wurde im Zuge der massenhaften Impfungen das
Thrombose-mit-Thrombozytopenie-Syndrom (TTS) beobachtet, meist zwei bis drei
Wochen nach der Impfung. Dabei treten Blutgerinnsel in Kombination mit einer
Thrombozytopenie ? einem Mangel an Blutplättchen ? auf. In einem Teil der Fälle
kam es zu Hirnvenenthrombosen.

Wie wurde auf den Zusammenhang zwischen "Vaxzevria"-Impfung und erhöhtem
Thromboserisiko reagiert?

Im Frühjahr 2021 wurden "Vaxzevria"-Impfungen nach Berichten über
Hirnvenenthrombosen in einigen europäischen Ländern, darunter Deutschland,
zeitweise ausgesetzt. Dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) zufolge wurden bei rund
8,5 Millionen verabreichten Impfdosen bis 25. Mai 2021 insgesamt 94 Fälle von
TTS in Deutschland gemeldet, 17 Menschen starben. Zwei Drittel der Betroffenen
waren jünger als 60.

Unter anderem die Arzneimittelbehörde EMA nahm die Fälle unter die Lupe.
Ergebnis: Der Nutzen der Impfung überwiege eindeutig das Risiko extrem seltener
potenzieller Nebenwirkungen. Bis zum Widerrufen der Zulassung mit Beschluss vom
27. März 2024 gab es eine uneingeschränkte Empfehlung der EMA.

In Deutschland empfahl die Ständige Impfkommission (Stiko) ab Ende März 2021 eine Verimpfung nur noch an Menschen über 60 Jahre. Schon seit längerem wird der
Impfstoff anders als an Varianten angepasste mRNA-Impfstoffe hierzulande gar
nicht mehr eingesetzt.

Gab es in Deutschland Klagen gegen Astrazeneca?

Ja. Im April zum Beispiel erzielte eine Frau aus Oberfranken im Prozess um
einen mutmaßlichen Corona-Impfschaden einen Teilerfolg gegen den Hersteller.
Astrazeneca wurde zu einer umfassenden Auskunft über Nebenwirkungen von
"Vaxzevria" verurteilt. Bisher sei diese Auskunft nicht eingegangen, teilte der
Anwalt der Klägerin, Volker Loeschner, am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur
mit. Das Schadensersatz- und Schmerzensgeldverfahren der Klägerin läuft weiter.
Ähnliche Klagen wurden auch andernorts eingereicht./kll/DP/stk
Name WKN Börse Kurs Datum/Zeit Diff. Diff. % Geld Brief Erster Schluss
ASTRAZENECA PLC DL-,25 886455 Xetra 146,300 23.05.24 16:24:53 +1,100 +0,76% 146,100 146,300 145,600 145,200
SANOFI SA INHABER EO 2 920657 Xetra 91,060 23.05.24 16:20:58 +0,580 +0,64% 91,060 91,110 92,140 90,480

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